Neulich hörte ich es wieder: Die Digitalisierung lässt keinen Stein auf dem anderen, etablierte Geschäftsmodelle fahren vor die sprichwörtliche Wand und jeder, der dies noch nicht mitbekommen hat, so die Empfehlung, sollte sich Kodak oder Nokia ansehen - Mahnmale ehemals führender und dann doch überholter gleichsam niedergegangener Branchen-Musterknaben. Und da war sie wieder: Die Frage, wer solch flachen Gedanken-Emittenten eine Bühne bereiten konnte. Erinnert es doch an längst vergessene Schulzeiten, wo der Eifer mancher lediglich im Auswendiglernen von Bekanntem lag, dass sie mit großer Inbrunst als neue Erkenntnis vertraten - womit sie schon damals unsympathisch erschienen.
Doch so verhält es sich gegenwärtig im Diskurs zur Digitalisierung. Das einzig Neue vieler Protagonisten ist, dass Bekanntes offenbar nur noch nicht von allen gesagt bzw. geschrieben wurde. Ich kann es nicht mehr hören: Das Geschwafel der Dilettanten-Prediger, die, mit klassischer Anwenderkenntnis ausgestattet, nun als Digital-Evangelisten Unsinn zum Thema erklären während sie den Eindruck erwecken, als hätten sie einen heiligen Gral entdeckt, den sie dann im teenagergleichen Sendungsbewusstsein von YouTube-Sternchen verbreiten. Kernthese vieler: Die Digitalisierung ist etwas Neues, bislang nie dagewesenes, sich exponentiell Fortentwickelndes. Falsch! Erstens, die Digitalisierung ist ein bereits Anfang der 1990er Jahre begonnenes striktes Fortentwickeln von IT-Entwürfen, für deren Umsetzung nun (endlich) die technischen Rahmenbedingungen vorliegen - somit: Evolution statt Revolution.
"Unsinn 4.0"
Zweitens ist eine exponentielle Entwicklung etwas, das von vielen, die solch eine Entwicklung bemühen, offensichtlich nicht verstanden wurde: Offen bleibt, an welcher Variable eine Exponentialität abgelesen werden kann und ob eine lineare Weiterentwicklung nicht schon bedeutungsschwer genug wäre. Sicher ist: Das Einzige, was exponentiell zunimmt, ist die Verbreitung solcher Gedanken und der damit oftmals verbundene »Unsinn 4.0«.
Die Digitalisierung ist zu allererst ein IT-Thema, dann ein ökonomisches, schließlich - in direkter Folge - ein gesellschaftliches. Sie betrifft uns alle, das stimmt. Doch ist sie aller Einfachheit der Nutzung des Digitalen zum Trotz kein Boulevardthema für jeden selbsternannten Experten. Selbst meine Mutter kann ein Smartphone bedienen, aber sie maßt sich indes nicht an, Expertin im Digitalen zu sein.
Für Unternehmen ist die Digitalisierung nicht irgendein, sondern das Thema. Dabei suchen sie Orientierung, denn es herrscht Unsicherheit und Ungewissheit angesichts der technologischen Zukunft sowie vieler weiterer Unbekannten. So agieren Unternehmen heute nicht mehr nur auf lokalen Märkten und ebenso nicht in einem »global village«, das zwischenzeitlich von vielen bemüht wurde. Unternehmen operieren in einer »global city«, wo sich Einzelstaaten nur noch als deren Vorstädte wiederfinden. In einem solchen Geflecht muss sich jeder seinen Platz suchen, seine Chancen wahrnehmen - selbst ein ehemals beschaulich agierender Mittelständler aus dem Westerwald. Wobei der erste Schritt oft ebenso schwierig wie einfach ist: die konsequente Rückkehr zur ausnahmslosen Kundenorientierung.