Unternehmensgründung ohne Cloud-basierte IT? Ohne Businessplan, ohne Social Media - überhaupt: ohne Internet? Das ist heute fast unvorstellbar.
Umso spannender ist der Blick zurück in eine gar nicht allzu ferne Zeit, in der das Netz der Netze noch ferne Zukunftsmusik war. Die meisten Systemhäuser entstanden in dieser Ära. Wenn heute vom großen Paradigmenwandel die Rede ist und von den radikalen Veränderungen, die insbesondere für Systemhäuser damit einhergehen, dann zeigt ein Rückblick, dass viele erfolgreiche Systemhäuser auch in den zurückliegenden 20 Jahren gravierende technologische Wandel gemeistert haben - und das sogar fernab der Metropolen.
Startup ohne Cloud und Google
Eines dieser Unternehmen ist die vor rund 25 Jahren gegründete Krämer ITSolutions aus dem saarländischen Eppelborn, das heute über 55 Mitarbeiter beschäftigt.
Die Gründerjahre sind rückblickend nicht nur deshalb spannend unter dem Aspekt: Wie machte man sich in der Internet-losen Zeit eigentlich selbständig? Sondern sie ist auch in anderer Hinsicht ungewöhnlich: Denn wer den Firmengründer Michael Krämer damals beobachtet hätte, sähe den 17-jährigen Schüler, dessen Vater erst kurz zuvor verstorben war, zunächst auf seinem Fahrrad zum Amtsgericht radeln - aber keineswegs mit dem Gewerbeschein in der Hand.
Unter den Arm geklemmt hatte er vielmehr den Antrag auf Anerkennung der Volljährigkeit, den die Mutter nach vielem hin und her schließlich doch widerstrebend unterzeichnet hatte.
Zwei Wochen später lag der Bescheid des Amtsgerichts im Kasten: Es bescheinigte dem 17-Jährigen offiziell die Volljährigkeit. Damit war der Weg für den Antrag auf den Gewerbeschein frei.
Auf die Ämter geeilt war Krämer allerdings nicht, um sich mit der Firmengründung einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen. Der Grund dafür war viel handfester: "Ich hatte für ein Fahrradgeschäft, in dem ich als Schüler gejobbt hatte, ein kleines Lagerverwaltungsprogramm entwickelt, und dafür 1.000 D-Mark Honorar vereinbart. Um das Geld zu bekommen, musste ich eine Rechnung stellen. Das ging aber wiederum nur, wenn ich eine Firma gründete." So kam der Stein für die Selbstständigkeit ins Rollen.
Doch welche Unterlagen braucht man? Wie bekommt man einen Gewerbeschein? In der noch Google-losen Zeit kein leichtes Unterfangen. Krämer fragte sich bei Bekannten, Verwandten und Freunden durch. Zu Hause warnte die Mutter eindringlich vor den Risiken der Unternehmensgründung ohne eigenes Kapital.
Hardware ergänzt das Software-Portfolio
Doch schließlich war der Gewerbeschein da - und damit die Überlegung: "Eigentlich könnte ich jetzt vielleicht auch ein bisschen Hardware verkaufen." Die Suche nach Lieferanten begann. In der Fachzeitschrift C´t gab es damals die kleine Rubrik: "Händleranfragen erwünscht", und es gab das Branchenbuch: "Wer liefert was?".
Krämer erschloss sich mit Bluechip, Dataram, SEH, Frank & Walter, Siewert & Kau die ersten Bezugsquellen. Er kaufte PC-Komponenten, schraubte mit einem Freund im Keller des Wohnhauses die PCs zusammen und verkaufte sie - allerdings nur in der Freizeit. "Nebenher absolvierte ich eine kaufmännische Ausbildung im Immobilienbereich", berichtet Krämer. Darauf hatte die Mutter bestanden, "falls das mit der Selbstständigkeit nicht funktioniert."
Diese Ausbildung zum Immobilienkaufmann absolvierte Krämer mit Feuereifer. "Ich bin dafür rückblickend sehr dankbar, denn sie war eine gute Basis", sagt der heutige Manager.
Ehe Krämer seine gesamte Zeit seiner jungen Firma widmen konnte, stand erst noch der Zivildienst an. Noch während des Zivildiensts stellte Krämer einen Mitarbeiter und einen Azubi ein - nicht aus strategischem Kalkül, sondern erneut aus praktischer Notwendigkeit heraus: Wegen des Zivildiensts konnte er während der Woche nur spätabends und am Wochenende für seine Firma arbeiten. "Das war meine Passion- aber die Zeit war zu knapp. Also brauchte ich Personal", erzählt Krämer.
Wie stabiles Wachstum ohne Neukunden-Akquise funktioniert
So entwickelt sich das Unternehmen in den Anfangsjahren zwar nur langsam, aber sehr kontinuierlich. Kurzfristige extreme Wachstumsphasen, in denen sich Umsätze überschlagen und die Strukturen nicht nachkommen, gab es deshalb nicht, und Krämer hält bis heute daran fest: "Ich trete immer auf die Bremse - das Unternehmen soll kontrolliert, oder gerne auch mal ein Jahr gar nicht wachsen."
Dann sagt Krämer einen Satz, der nicht nur für ein börsennotiertes Unternehmen irritierend klingt: "Wir bemühen uns nicht aktiv um Neukunden. Deshalb wachsen wir wahrscheinlich auch so stabil."
Für den erstaunten Zuhörer löst Krämer das Paradox auf: "Weil wir nicht händeringend um Neukunden kämpfen, müssen wir auch keinem Kunden das Blaue vom Himmel versprechen, um den Auftrag zu bekommen. Sondern man kann sich die Freiheit - und die Seriosität - behalten und ein Projekt so aufsetzen, wie man es für sinnvoll erachtet. Und man kann sagen: ‚Wir machen es so, oder wir machen es lieber gar nicht.‘ Die Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt dann auch sehr gut funktioniert und der Kunde zufrieden ist, ist dann eben sehr hoch. Und das führt wiederum dazu, dass wir auch weiter empfohlen werden, nach dem Motto: ‚Ach, wenn Du mal Probleme mit der IT hast, dann frag‘ doch mal in Eppelborn nach."
Das funktioniert offenbar. Fast alle Neukunden kommen über Weiterempfehlungen zu Krämer IT. "Wir erleben es auch sehr oft, dass diese Kunden mit völlig aus dem Ruder gelaufenen Projekten zu uns kommen, für die sie händeringend nach einer Lösung suchen. Wenn wir die akutesten Probleme binnen weniger Tage in den Griff bekommen, und anschließend an den Entwurf der künftigen Lösung gehen, erwächst daraus ein tiefes Vertrauen und eine Anerkennung der Kompetenz.", lüftet Krämer das Erfolgsgeheimnis.
Das Problem der Branche sei, dass beim Kunden Dutzende von Systemhäusern aufschlagen mit der Ansage: "Ich bin der Beste". Der Kunde aber könne gar nicht einschätzen, wer wirklich gut ist und wer nicht. "Wer einmal bewiesen hat, dass er Probleme lösen kann, genießt einen Vertrauensvorschuss. Und wenn später mal was schief geht - das kann uns wie allen anderen auch passieren, - dann denkt der Kunden dennoch nicht: "Ach, der kann ja gar nichts", sondern er weiß einfach, "beim ersten Mal hat er es gezeigt, dass er etwas kann."