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Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen musste sich damit befassen, wie weit das Recht des Arbeitgebers reicht, wenn bei geschützten Personengruppen wie Betriebsratsmitgliedern der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht. Konkret ging es darum, ob eine fristlose Verdachtskündigung bei mutmaßlichem Drogenkonsum in den Betriebsräumen zulässig war.
Die Sachlage war folgende: Ein Betriebsratsmitglied eines Logistikunternehmens wurde von einem anderen Betriebsratsmitglied dabei beobachtete, wie es in den Betriebsräumen weißes Pulver durch ein Röhrchen in die Nase zog. Auf Nachfrage behauptete er zunächst, es handle sich um "nichts Illegales". Später erklärte er, es sei lediglich "Schnupftabak mit Traubenzucker" gewesen.
Drogentest verweigert
Zur Klärung forderte der Arbeitgeber den Mitarbeiter auf, einen Drogentest zu machen. Dies lehnte er jedoch ab. Daraufhin sprach der Arbeitgeber mit Zustimmung der restlichen Betriebsratsmitglieder die fristlose Kündigung aus.
Der Gekündigte klagte dagegen vor dem Arbeitsgerichts Oldenburg. Er machte geltend, weder illegale Substanzen konsumiert zu haben noch verpflichtet gewesen zu sein, einem Drogentest zuzustimmen. Zudem hätte der Arbeitgeber vor der Kündigung die in der Gesamtbetriebsvereinbarung vorgesehenen Interventionsstufen (etwa Fürsorgegespräche) ausschöpfen müssen.
Nachdem das Arbeitsgericht Oldenburg die Klage abgewiesen hatte, wandte sich der Gekündigte an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen. Aber auch das erklärte die fristlose Verdachtskündigung für rechtmäßig.
Konsum von Kokain ist "schwerwiegender Verstoß"
"Nach Ansicht des Gerichts begründete der Konsum von Kokain im Betriebsratsbüro einen schwerwiegenden Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten, der einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB darstelle. Dies gelte auch für Betriebsratsmitglieder, deren Kündigung nach § 15 Abs. 1 KSchG nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig ist", teilt Volker Görzel, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Köln und Leiter des Fachausschusses "Betriebsverfassungsrecht und Mitbestimmung" des VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V., dazu mit.
"Entscheidend war, dass die Umstände einen dringenden Verdacht einer schweren Pflichtverletzung nahelegten. Das Gericht wies darauf hin, dass die Erklärungen des Betriebsrats widersprüchlich waren und er trotz der Möglichkeit eines Drogentests nicht zur Aufklärung beigetragen habe. Die Verweigerung des Tests habe den Verdacht bestärkt. Laut Gericht hätte der Mitarbeiter mit einem einfachen Drogentest den Verdacht entkräften können", berichtet Görzel.
Sofortiges Handeln des Arbeitgebers war erforderlich
Die in der Gesamtbetriebsvereinbarung vorgesehenen Interventionsstufen mussten laut Gericht nicht greifen, da es sich um einen schwerwiegenden Verdacht handelte, der sofortiges Handeln des Arbeitgebers erforderlich machte. Auch die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats wurde vom Gericht bestätigt.
"Das Urteil des LAG Niedersachsen zeigt, dass auch Betriebsratsmitglieder nicht vor einer fristlosen Kündigung gefeit sind, wenn ein dringender Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht", sagt Görzel. Arbeitgebern, die mit ähnlichen Fällen konfrontiert werden, rät er jedoch zu großer Sorgfalt. Sie sollten vor allem die folgenden drei Aspekte beachten
Dringender Verdacht als Grundlage: Eine Verdachtskündigung setzt voraus, dass der Verdacht auf eine schwerwiegende Pflichtverletzung durch konkrete und nachvollziehbare Indizien begründet ist. Widersprüchliche Aussagen oder eine Verweigerung der Mitwirkung bei der Aufklärung können den Verdacht stärken.
Erforderlichkeit der Anhörung: Vor der Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist die Zustimmung des Betriebsratsgremiums einzuholen. Hierbei ist auf eine ordnungsgemäße Anhörung zu achten.
Keine Pflicht zur Anwendung von Interventionsstufen bei schwerwiegenden Fällen: Wenn der Verdacht einer gravierenden Pflichtverletzung besteht, müssen Fürsorge- oder Interventionsgespräche nicht zwingend vor der Kündigung erfolgen.
Ein weiteres Urteil im Jahr 2024 unterstrich die Tatsache, dass geschützte Personengruppen wie Betriebsratsmitglieder in Bezug auf Kündigungen zwar besondere Rechte genießen, sich aber dennoch nicht folgenlos über geltende Regeln hinwegsetzen dürfen. Damals ging es vor dem Arbeitsgericht Köln um Arbeitszeitbetrug durch eine Betriebsratsvorsitzende.
Der Arbeitgeber warf ihr vor, in fast 100 Fällen bewusst Abweichungen zwischen ihren eigenen Aufzeichnungen und der elektronischen Zeiterfassung zu ihren Gunsten vorgenommen zu haben. Am Ende ging es um eine Differenz von 628 Minuten. Außerdem hielt sich die Betriebsratsvorsitzende nicht an die Weisung, ihre Betriebsratstätigkeit am Firmensitz zu erbringen und ignorierte eine Einladung zu einem Personalgespräch. Als sich nach Abmahnungen der Betriebsrat gegen die Zustimmung zur fristlosen Kündigung stellte, zog der Arbeitgeber vor Gericht - und setzte sich da durch.
Fristlose Kündigung trotz Betriebsratsamt
Ratgeber für Arbeitgeber: Kündigung wegen Straftat im Betrieb