Pilotprojekt

Deutschland testet die Vier-Tage-Woche

18.09.2023
Kürzer arbeiten, dafür aber weiterhin volles Gehalt bekommen - dass diese Idee bei Arbeitnehmern gut ankommt, dürfte nicht überraschen. Aber ist sie auch umsetzbar in einer zuletzt schwächelnden Volkswirtschaft?
Nach dem Vier-Tage-Wochen-Projekt in Großbritannien zogen die meisten der teilnehmenden Unternehmen ein sehr positives Fazit.
Nach dem Vier-Tage-Wochen-Projekt in Großbritannien zogen die meisten der teilnehmenden Unternehmen ein sehr positives Fazit.
Foto: Sinseeho - shutterstock.com

100-80-100 - ist das das Modell der Zukunft? Dieser Frage geht in Deutschland bald ein Pilotprojekt nach, ab Donnerstag können sich Arbeitgeber zur Teilnahme bewerben. 100 Prozent Leistung in 80 Prozent der Zeit bei 100 Prozent Bezahlung - kurzum: eine Vier-Tage-Woche - soll dabei über sechs Monate erprobt und die Umstellung wissenschaftlich ausgewertet werden. "Wir erhoffen uns, die Debatte um die Vier-Tage-Woche auf ein neues Niveau zu heben - mit wissenschaftlicher Unterstützung", sagt dazu Unternehmensberater Jan Bühren von Intraprenör.

Die Firma mit Sitz in Berlin organisiert das Projekt in Deutschland gemeinsam mit der Organisation 4 Day Week Global. Die Nichtregierungsorganisation hat solche Studien bereits in anderen Ländern initiiert, unter anderem ein viel beachtetes Projekt in Großbritannien. "Uns stört es, dass die gesamte Diskussion quasi im luftleeren Raum passiert - weil alles nur in Theorie besprochen, aber nicht ausprobiert wird", sagt Bühren. Das soll sich nun auch in Deutschland ändern.

Vier-Tage-Woche nicht gleich Vier-Tage-Woche

Das Pilotprojekt setzt explizit auf eine Vier-Tage-Woche, bei der die Arbeitszeit reduziert wird, Gehalt und angestrebte Leistung aber gleich bleiben sollen. Andere Modelle sehen beispielsweise vor, dass mit weniger Arbeitszeit auch weniger Lohn einhergeht. Darüber hinaus versuchen sich einige kleinere Unternehmen in einem Konzept, in dem an vier Tagen etwas mehr gearbeitet wird, um dann am fünften Tag die Mehrstunden der Vortage durch Freizeit auszugleichen.

Am meisten diskutiert wird aber über die erste Variante, also weniger Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Diese strebt auch die IG Metall an, wenn sie bei ihren Forderungen für die nächsten Tarifverhandlungen in der Eisen- und Stahlindustrie eine Vier-Tage-Woche fordert. Die Idee dahinter ist: Wer nur an vier Tagen in der Woche arbeiten muss, ist konzentrierter und motivierter bei der Sache - und erfüllt seine Vorgaben auch in der geringeren Zeit noch erfolgreich.

In Umfrage hohe Zustimmung für Vier-Tage-Woche

Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die Vier-Tage-Woche bei Arbeitnehmern eine beliebte Vorstellung ist - zumindest in Kombination mit gleichem Lohn. In der Befragung der Stiftung sagten gut 73 Prozent, dass sie sich eine Vier-Tage-Woche mit entsprechend kürzerer Arbeitszeit wünschen. Rund acht Prozent wünschen sich diese auch mit weniger Lohn. Insgesamt 17 Prozent lehnten die Vier-Tage-Woche ab. Bei den Gründen wurde der Punkt "Weil ich mehr Zeit für mich selbst haben will" am häufigsten genannt (96,5 Prozent). Dahinter folgte "Weil ich mehr Zeit für meine Familie haben will" (89 Prozent).

Jene Befragten, die die Vier-Tage-Woche ablehnten, sagten besonders häufig, dass sie Spaß an der Arbeit hätten (86 Prozent). Insgesamt 82 Prozent zeigten sich skeptisch, dass eine Arbeitszeitverkürzung etwas an den Arbeitsabläufen ändern würde. Rund 77 Prozent gehen davon aus, dass sie die Arbeit dann nicht mehr schaffen würden.

Mittelstandsverband skeptisch

Der Mittelstand schaut dagegen skeptischer auf die Vier-Tage-Woche. Individuelle Lösungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern seien zu befürworten, sagte Christoph Ahlhaus, Bundesgeschäftsführer beim Bundverband Mittelständische Wirtschaft der dpa. Staatliche Einmischung, die weniger Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich vorsieht, lehne der Mittelstand aber ab, "weil bei verringerter Arbeitszeit Produktivitätsverluste drohen, unter denen zuerst die Unternehmen und dann wir alle zu leiden haben". Er halte es für ausgeschlossen, dass eine nennenswerte Zahl der Mitglieder angesichts des Fachkräftemangels eine "staatlich verordnete Vier-Tage-Woche" einführen werde.

Große Arbeitgeber-Zustimmung nach Projekt in Großbritannien

Nach dem Vier-Tage-Wochen-Projekt in Großbritannien zogen die meisten der teilnehmenden Unternehmen ein sehr positives Fazit. Insgesamt 56 von 61 Arbeitgeber teilten mit, dass sie die Vier-Tage-Woche beibehalten wollen. Die Krankheitstage gingen demnach während des Testzeitraums um rund zwei Drittel (65 Prozent) zurück und die Zahl der Angestellten, die in dieser Zeit das Unternehmen verließen, fiel um mehr als die Hälfte (57 Prozent). Durchschnittlich stieg der Umsatz der beteiligten Unternehmen der Analyse zufolge während der Testphase um 1,4 Prozent. Die Analyse nahmen Forscher aus Boston und Cambridge vor, sie führten auch Tiefeninterviews mit Beteiligten.

Die Ergebnisse beruhen allerdings auf der Auswertung von Unternehmen, die sich freiwillig zur Teilnahme gemeldet hatten. Eine zufällige Auswahl gab es nicht. In Großbritannien nahmen Unternehmen aus dem Finanzsektor, der IT- und Baubranche sowie der Gastronomie und dem Gesundheitswesen teil. Insgesamt beschäftigen die beteiligten Unternehmen etwa 2.900 Angestellte. Einige Betriebe führten flächendeckend ein dreitägiges Wochenende ein, während andere den freien Tag der Angestellten über die Woche staffelten oder an Ziele koppelten.

Intraprenör will mehr als 50 Unternehmen in Deutschland überzeugen

Hierzulande soll das Projekt ähnlich ablaufen wie in Großbritannien: Interessierte Unternehmen können sich ab Donnerstag für die Teilnahme bewerben. Intraprenör hat sich zum Ziel gesetzt, mehr als 50 Unternehmen in Deutschland von einer Teilnahme zu überzeugen. Noch in diesem Jahr soll auch der Testzeitraum beginnen.

Die teilnehmenden Unternehmen sollen die Vier-Tage-Woche dann mindestens sechs Monate lang ausprobieren. Innerhalb dieses Zeitraums können sie Intraprenör zufolge auf Experten zurückgreifen, neue Methoden lernen und mit den anderen Arbeitgebern in den Austausch gehen. Auch Kontakte zu Unternehmen, die bereits dauerhaft auf die Vier-Tage-Woche umgestellt haben, sollen ermöglicht werden. Die wissenschaftliche Auswertung übernimmt die Universität Münster.

Studie der Hans-Böckler-Stiftung

Für die Analysen wurde die neunte Befragungswelle der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung verwendet. Diese Befragung ist eine Onlinebefragung, bei der die Personen seit April 2022 zu ihrer Arbeits- und Lebenssituation befragt werden. Die erste Befragungswelle umfasste 7.677 Erwerbspersonen ab 16 Jahren, die in einem computergestützten Online-Interview zu ihrer Haushalts- und Erwerbssituation befragt wurden.

Mehr als 4.000 von ihnen nahmen auch an der neunten Befragungswelle im November 2022 teil. Die Stichprobe wurde auf Grundlage eines Online-Access-Panels nach bestimmten Quoten der Merkmale Alter, Geschlecht, Bundesland und Bildung gezogen, - sodass die entsprechenden Bevölkerungsmerkmale adäquat und repräsentativ für die Erwerbspersonen in Deutschland abgebildet werden. Insgesamt wurden 2.575 Beschäftigte (1.644 Männer und 931 Frauen) beobachtet, die die Frage nach dem Wunsch zur 4-Tage-Woche beantwortet haben.

Abgefragte Gründe für die 4-Tage-Woche:

  • Weil Sie Ihre Arbeitsbelastung verringern wollen?

  • Weil Sie gesundheitliche Probleme haben?

  • Weil Sie mehr Zeit mit der Familie haben wollen?

  • Weil Sie mehr Zeit für sich selbst haben wollen?

  • Weil Sie mehr Zeit für Hobbies, Sport, Ehrenamt etc. haben wollen?

Abgefragte Gründe gegen die Vier-Tage-Woche:

  • Weil die Arbeit sonst nicht zu schaffen wäre?

  • Weil Sie häufig für Kollegen einspringen müssen?

  • Weil Sie Spaß an der Arbeit haben?

  • Weil sich an den Arbeitsabläufen nichts ändern würde?

  • Weil Sie beruflich nicht vorankommen würden?

  • Weil Sie es sich finanziell nicht leisten können?

  • Weil Ihre Arbeit nicht einfach einen Tag ruhen - kann? (dpa/rs)

Zur Startseite