Die Pleiten von traditionsreichen Handelsketten wie Karstadt, Schlecker und Quelle; das große Umsatzwachstum von Onlinehändlern wie Amazon, Cyberport und Notebooksbilliger; und schließlich ein gewandeltes Konsumentenverhalten, das sich unter anderem in Barcode-Scanning, „Showrooming“ und „Beratungsklau“ manifestiert: Wer heute noch im stationären Handel aktiv ist – und das auch in Zukunft bleiben möchte –, hat es nicht leicht. Da ist es schon verständlich, wenn man ein Bedürfnis nach aufmunternden Worten verspürt. Balsam auf geplagte Händlerseelen sind daher zwei aktuelle Wirtschaftsbücher, die sich mit Gegenwart und Zukunft des lokalen Handels auseinandersetzen: Der stationäre Verkauf gewinne gerade angesichts zunehmender Digitalisierung an Bedeutung, schreibt Andreas Haderlein im Vorwort seines Buchs „Die digitale Zukunft des stationären Handels – Auf allen Kanälen zum Kunden“ (mi-Wirtschaftsbuch 2012, 34,99 Euro). Und sogar das Motto „Die Zukunft von online ist offline“ zitiert Gerrit Heinemann in „No-Line-Handel: Höchste Evolutionsstufe im Multi-Channeling“ (Springer Gabler 2013, 39,95 Euro).
Beiden Autoren muss man allerdings zugutehalten, dass sie ihren Lesern keine Illusionen machen: Ein so-weiter-wie-bisher ist für sie keine realistische Alternative. Wer auch weiterhin vom stationären Handel leben will, muss sich stattdessen ernsthaft mit den aktuellen Entwicklungen auseinandersetzen und die im Netz entwickelten Verkaufstrends in sein Geschäftsmodell integrieren. „Bricks & Clicks“ heißt das bei Haderlein, „No-Line-Handel“ bei Heinemann. Während beide Autoren damit ein möglichst weit gefasstes Multichannel-Modell vertreten, gibt es doch auch Unterschiede in den Ansätzen, die ihre Bücher für den interessierten Händler unterschiedlich geeignet machen.
So ist Haderleins „Digitale Zukunft des stationären Handels“ schon vom optischen Eindruck her das einfachere der beiden Fachbücher. Bullet Points, Web- und Youtube-Links sowie gestalterisch abgesetzte Kästen mit „Bricks & Clicks Innovationen“ sorgen für Übersichtlichkeit und machen die theoretische Stoßrichtung auf konkrete Weise begreiflich. Zudem wird das Buch von einer Webseite begleitet, auf welcher der Autor sein Thema kontinuierlich weiterentwickelt. Inhaltlich listet Haderlein fein säuberlich alles auf, was die Fachdiskussion der letzten Monate bestimmt hat: Mobiles Web, Local- und Instore-Dienste, Couponing, Social Commerce, QR-Shopping, Mobile Payment bis hin zum Kunden-Monitoring und zeitgemäßem Mitarbeiter-Recruiting. Endpunkt des Buchs sind „Zehn Goldene Regeln des Multi-Channeling“, die allerdings merkwürdig knapp bleiben und vor allem eines aussparen: Die Kundenperspektive.
Hier liegt dagegen das große Plus von Gerrit Heinemanns „No-Line-Handel“: Das am Anfang des Buchs des Professors an der Fachhochschule Niederrhein stehende Kapitel über „Grundlagen und Formen des No-Line-Handel“ setzt konsequent beim Kunden an und beschäftigt sich unter anderem mit der gewandelten Customer Journey, den Mediennutzungsgewohnheiten, Möglichkeiten zur Kundengewinnung und Strategien zur Begeisterung der Konsumenten. Das ist weit mehr als ein kosmetischer Unterschied und macht anschaulich begreifbar, dass es sich bei den im weiteren Verlauf des Ratgebers beschriebenen Verkaufsstrategien nicht nur um modischen Schnickschnack handelt, sondern um existenziell wichtige Antworten auf fundamentale Herausforderungen für den Handel. Auch Heinemann referiert im Folgenden die Trendthemen Multi-Channel-Funktionen, Mobile Dienste, Crossmedia-Marketing, aber auch Aspekte wie Crowdsourcing, Gamification und Mass Customization, die für viele Händler noch einen hohen Neuigkeitswert haben dürften. Positiv zu erwähnen ist, dass der FH-Professor auch betriebswirtschaftliche Handreichungen wie Empfehlungen für einen Business-Plan, Organisationstipps und Merkmale zur Bewertung der eingesetzten Systeme in sein Buch integriert hat. Damit erreicht „No-Line-Handel“ allerdings auch eine Komplexität, die das Fachbuch wohl eher für ein schon recht gut informiertes mittelständisches Handelsunternehmen geeignet macht, als für den kleinen Einzelhändler vor Ort.
Während die Bücher von Haderlein und Heinemann durchaus für das jeweilige Klientel ihren Wert besitzen, gibt es bei beiden Autoren doch ein großes Manko: Die angeführten Best Practices. Beide Handelsexperten schreiben, dass es in Deutschland noch keine entsprechend geeigneten Multi-Channel-Erfolgsgeschichten gibt und greifen deshalb fast ausschließlich auf Beispiele aus den USA und UK zurück. Auf den ersten Blick mögen Best Buy, Sears und Nordstrom gut klingende Namen sein, doch ist nicht nur Best Buy ein Spiegelbild des im Filialgeschäft kriselnden europäischen Retail-Marktführers Media-Saturn. Wer von den Zukunftschancen eines modern aufgestellten stationären Handels schreibt, sollte dies mit guten Beispielen – auch aus dem Inland – belegen. Denn wie die Synaxon AG, Cyberport und vielleicht bald auch EP zeigen, gibt es solche Beispiele nicht zuletzt sogar im deutschen Elektronikhandel. (mh)