Mögen wir uns im Alter zwar grundsätzlich schwertun fundamental neue Dinge zu erlernen, bleibt uns heute im Angesicht der radikalen Veränderungen unseres Lebens- und Arbeitsalltags, kaum eine andere Wahl. Ob die Funktionsweise der neuen Digitalkamera oder die Anwendung agiler Methoden im Projekt-Team, neue Lernmöglichkeiten und -erfahrungen sind fester Bestandteil unseres Lebens. Sich diesen bewusst zu entziehen kann sowohl auf privater als auch beruflicher Ebene dazu führen, abgehängt zu werden.
Lernen liegt uns im Blut
Ohne den ureigenen Instinkt zur ständigen Adaption und Lernfähigkeit, wäre unsere menschliche Zivilisation längst nicht bis ins 21. Jahrhundert vorgedrungen. Angekommen in einer Ära unbegrenzter Möglichkeiten, ist unsere Lernmotivation mehr denn je gefragt. Veränderte Kompetenz- und Fertigkeitsanforderungen und die dramatisch abnehmende Halbwertszeit von Wissen zwingen uns dazu, kontinuierlich dazuzulernen. Das zu verinnerlichen, kann uns nicht zuletzt auch auf der Karriereleiter einen großen Schritt weiterbringen. Entsprechend hoch sind die Ansprüche an den Arbeitgeber
Weiterbildungsangebot als Lockmittel für Talente
Talente wollen nicht nur als solche wahrgenommen, sondern auch als diese gefördert und entwickelt werden. Top Talente suchen ihren Job schon lange nicht mehr ausschließlich nach Prestige und Jahresgehalt aus. Auch der Firmenwagen reizt nur bedingt. Vielfältige Lernmöglichkeiten und die Perspektive sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln, stehen mittlerweile ganz oben auf der Wunschliste. Um im viel zitierten "War of Talents" nicht den Kürzeren zu ziehen und die besten Talente für sich zu gewinnen bzw. diese langfristig ans Unternehmen zu binden, müssen Unternehmen entsprechend reagieren und ihr aktuelles Weiterbildungsprogramm auf den Prüfstand stellen.
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Lernen im Fluss des (Arbeits-)Alltags
Wenn wir ehrlich sind, ist das Thema Lernen, insbesondere im organisationalen Kontext, nichts wirklich Neues. Eine Bitkom-Umfrage aus dem Jahr 2018 zeigt, dass die meisten Unternehmen zumindest den Ernst der Lage verstanden haben. Halten mit 90 Prozent nahezu alle befragten Unternehmen das Thema Weiterbildung für wichtig, geben gerade mal 43 Prozent an, eine entsprechende Weiterbildungsstrategie zu haben. Gleichsam konträr wirkt die extrem niedrige Zahl an Weiterbildungstagen pro Jahr. Im Jahr stehen Mitarbeitern*innen durchschnittlich 2,3 Weiterbildungstage pro Jahr zur Verfügung. Nicht gerade ein Zeugnis dessen, dass dem Arbeitgeber die berufliche Weiterbildung seiner Mitarbeiter*innen am Herzen liegt.
Führen wir uns vor Augen, dass wir durchschnittlich 6,5 Stunden pro Tag vor dem Computer sitzen und fast die Hälfte der Zeit Mails schreiben und Informationen sammeln, stellt sich ohnehin die Frage, woher die Zeit für eine intensivere Weiterbildung eigentlich kommen soll. Schließlich muss die Arbeit ja erledigt werden.
Ganztägige Seminare und Workshops, sind in der Praxis leider kaum in den Trubel des Arbeitsalltages zu integrieren. Neben zeitlichen Engpässen fehlt es organisationalen Weiterbildungsprogrammen häufig an attraktiven Angeboten und einem übergreifenden Rahmen. Ein modernes, intuitives Lernmanagementsystem ist allerdings nur ein Teil der Lösung.
Im Kern müssen sich Lernspezialisten im Unternehmen darüber Gedanken machen, wie sich Lernprozesse in den Fluss des (Arbeits-)Alltags integrieren lassen. Lernen und Arbeiten dürfen dabei keinen Widerspruch mehr darstellen. Wer arbeitet lernt gleichzeitig und andersrum. Stelle ich meine Mitarbeiter*innen vor die Wahl sich zwischen Arbeits- und Lernzeit zu entscheiden, fällt die Entscheidung tendenziell immer in Richtung der Zeitinvestition aus, die sich am Ende des Tages mehr lohnt.
Das richtige Format finden
Um Lerninhalte in den Arbeitsalltag zu integrieren, sollten organisationale Lernprogramme grundsätzlich sinnvoll und nachvollziehbar für den Lernenden sowie kontextbezogen sein. Je klarer der Bezug, desto höher die Lernmotivation und die Aufmerksamkeitsspanne. Darüber hinaus sollte ein zukunftsorientiertes Lernprogramm zu einem Großteil aus kleinen Brainsnacks, also möglichst kurzen, leicht verdaulichen Lernhäppchen bestehen.
Natürlich muss es auch in Zukunft für bestimmte Themen weiterhin ganz- oder mehrtägige Seminare geben, um fundierte Grundlagen zu vermitteln, gemeinsam in Präsenz im Team zu arbeiten und Vertrauensverhältnisse aufzubauen. Lerninhalte in kurzen Sequenzen, seien es Videos, Artikel oder Podcasts aufzubereiten, ist nicht nur zeiteffizienter, sondern häufig auch inspirierender und spannender als die häufig monotone Frontalbeschallung in Seminarräumen.
Ein wesentlicher Vorteil von Brainsnacks besteht darin, dass sie über digitale Medien konsumiert und damit eine zeit- und ortsunabhängige Lernerfahrung nach individuellen Bedürfnissen ermöglichen. Ob Lerninhalte morgens beim ersten Kaffee, im Auto auf dem Weg zur Arbeit oder im Zug auf dem Weg nach Hause konsumiert werden, spielt dabei keine Rolle. Der Lernprozess ist individuell steuerbar und lässt sich damit deutlich einfacher in den Lebensalltag integrieren.
Lerninhalte so aufzubereiten, bedeutet einen ganz neuen Weg einzuschlagen, welcher weder aus der Schulzeit noch aus den meisten Lernprogrammen bekannt ist. Dafür sind zum Teil Programmierer, Designer, Methodiker, Trainer und Neurowissenschaftler nötig, um Lernreisen im neuen Zeitalter zu konzipieren.
Hört sich erstmal komplex an? Ist es auch. Nichtsdestotrotz lohnt sich der Aufwand, denn mit der Investition ins Thema Lernen werden die Weichen für die Zukunft gelegt. Gelingt es Unternehmen auf rein operativer Ebene ihr Lernprogramm an den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen auszurichten, ist lediglich ein erster Schritt getan. Die spannendsten Lerninhalte, auf der modernste Lernplattform, im coolsten Design anzubieten, fördert für sich alleine noch keine Haltung in Richtung lebenslanges Lernen. Es gilt insbesondere auf kultureller Ebene die notwendigen Impulse zu setzen.
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Authentische und offene Lernkultur - überall
Gestaltet sich die Suche nach einer passenden Definition eher schwierig, möchte ich hier die Definition des Corporate Executive Board hervorheben. Das CEB definiert Lernkultur als " a culture that supports an open mindset, an independent quest for knowledge, and shared learning directed toward the mission and goals of the organization".
Nicht weiter verwunderlich spielt das Thema Offenheit, wie an so vielen Stellen, auch hier eine wichtige Rolle. Würden sich auf Anhieb wahrscheinlich die meisten von uns als grundsätzlich offenen Typ beschreiben, sieht es in der Praxis oftmals anders aus. Offenheit zeigen wir in der Regel dann, wenn wir uns in unserer Komfortzone bewegen. Sind wir gezwungen diese zu verlassen, fahren wir wie selbstverständlich unsere Scheuklappen hoch und verstecken uns hinter unserem Schutzpanzer. Gründe dafür können der mit nicht wirklich grüne Kollege, die neue Teamleitung oder schlichtweg die neue Aufgabe im Projektteam sein. Vorbehalte solcher Natur sind zwar menschlich, aber maximal hinderlich wenn es um das Thema Lernen geht. Wirklich nachhaltige Lernerfahrungen können nur dann entstehen, wenn wir uns bewusst öffnen und uns auch mal mit denjenigen Kollegen*innen austauschen, die uns eigentlich nie auf dem Gang begrüßen. Wenn ich meine Lernerfahrungen ehrlich reflektiere wird mir klar, dass ich insbesondere dann Lernfortschritte erziele, wenn ich herausgefordert bin, privat sowie beruflich.
Sind Unternehmen geprägt durch Menschen mit einer egoistischen, passiv - verschlossenen Grundhaltung, befindet sich die Organisation im Stillstand und kann perspektivisch einen Schritt zurück machen. Will ich als Unternehmen offene, lernbereite Mitarbeiter haben, kann ich allerdings nicht einfach davon ausgehen, dass eine vergoldete Tafel mit blumig formulierten Leitlinien im Foyer des Eingangsbereichs alle Wunden heilt. Deutlich wirksamer sind authentische Führungskräfte die als Vorbild vorangehen. Sie wollen das ihre Mitarbeiter*innen mehr Lesen um up to date zu bleiben? Lesen Sie zu allererst selbst und sorgen Sie dafür, dass ihre Mitarbeiter*innen von ihrer Lesefreude und ihren Erkenntnissen erfahren. Sie wollen das sich ihre Mitarbeiter*innen kontinuierlich weiterentwickeln und ihre Expertise im Sinne des Teams stetig verbessern? Fangen Sie zunächst bei ihrer eigenen Expertise an. Werden Sie in ihrem Team als fachlich kompetent wahrgenommen? Natürlich sind auch Führungskräfte keine "Übermenschen" und nicht fehlerfrei. Sollten sie nichtsdestotrotz ein Vorbild an Kompetenz und Lernbereitschaft sein?
Ein weiteres wesentliches Merkmal einer Lernkultur ist die Bereitschaft, (Erfahrungs-) Wissen oder auch Herausforderungen und Fragen mit anderen zu teilen. Wie die Definition des CEB verdeutlicht, geht es dabei nicht darum, ungefiltert alles zu teilen was uns gerade unter den Nägeln brennt. Geteiltes Wissen sollte im Idealfall auf die Unternehmensziele einzahlen und einen direkten Mehrwert generieren. Wenn es um das Teilen von Wissen geht, besteht in den meisten Unternehmen allerdings noch Nachholbedarf. Inwiefern Sharing-KPI's einen möglichen Lösungsansatz darstellen könnten, können Sie in diesem Beitrag von mir lesen
Neben sinnvollen Belohnungsstrukturen, spielt auch die Zusammensetzung von Arbeits- und Projektteams eine wesentliche Rolle. Meine persönliche Erfahrung zeigt, dass Menschen vor allem dann (mehr) Lernen, wenn Sie durch Teammitglieder unterstützt und begleitet werden. In gut funktionierenden Teams, werden Lernprozesse durch gegenseitiges, vertrauensvolles Feedback angestoßen und Lernerfahrungen gemeinsam reflektiert und geteilt. Für Egoismus ist in solchen Teams kein Platz. Es geht vielmehr darum, starke Teams und eine inspirierende Lernatmospähre zu schaffen. Gelingt es Unternehmen eine Vielzahl solcher Teams zu schaffen, ist auch der Schritt zu einer gelebten Lernkultur nicht mehr weit.
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass Unternehmen in Anbetracht sich radikal veränderter Umweltbedingungen, sowie insbesondere neuer Bedarfe an Kompetenzen und Fähigkeiten, das Thema Lernen wieder neu fokussieren müssen. Da Skillbedarfe und- anforderungen ebenso einem ständigen Wandel unterliegen, reichen klassische Weiterbildungsprogramme kaum aus, um diese nachhaltig zu decken. Die Herausforderung liegt darin, ein geeignetes Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter*innen kontinuierlich lernen und ihre Fähigkeiten und Kompetenzen ausbauen können. Um ein solches Umfeld zu schaffen, gilt es neben einer zukunftsorientierten Ausrichtung des Lernprogramms auf operativer Ebene, in erster Linie eine authentische Lernkultur zu schaffen. Eine durch Offenheit und gegenseitigen Austausch geprägte Lernkultur, in der Wissen ausnahmslos geteilt und weitergegeben wird, liefert wiederum die Basis für kontinuierliche Lernprozesse im Unternehmen.