Das Zahnrädchen in der großen Maschine
Ein Unternehmen besteht nicht aus hermetisch abgeriegelten Einheiten, sondern aus abteilungs- und bereichsübergreifenden Prozessen. Was ein Mitarbeiter einer Abteilung "produziert", hat meist mehrere Abnehmer in anderen Abteilungen. Eine reibungslose Zusammenarbeit in diesen Schnittstellen entscheidet darüber, ob das Unternehmen produktiv arbeitet und profitabel ist oder nicht.
Weiß ein Mitarbeiter was andere von ihm erwarten (dürfen)? Wissen die Interviewer, was andere von einem künftigen Mitarbeiter erwarten werden? Falls ja, geben alle die gleiche Antwort?
Zur Verdeutlichung des Problems bleiben wir beim Beispiel des Programmierers. Er arbeitet - mit Überstunden versteht sich - an zwei großen, zeitkritischen Kunden-Projekten.
Kundenbetreuer 1 (vs. Kundenbetreuer 2) verlangt: Bei uns im Unternehmen hat die strikte Einhaltung der Termine (vs. Qualitätszusagen) die höchste Priorität. Beide verweisen auf die jeweilige Passage in der Stellenausschreibung des Programmierers, die diese Aussage untermauert. Und jeder der beiden betont, dass sein Kunde - der wichtigste Kunde des Unternehmens - besonders anspruchsvoll ist und bevorzugt behandelt werden sollte.
Kundenbetreuer 3 möchte den Programmierer beim Akquisitionsprozess eines Großauftrages bei seinem Schlüsselkunden - dem wichtigsten Kunden des Unternehmens - einbinden. Er verweist auf die Passage "Kundenorientierung" in der Stellenausschreibung.
Sein Programmierer-Kollege möchte, dass er ihm administrative Aufgaben abnimmt, weil er an einem Großprojekt - das wichtigste Projekt des Unternehmens - arbeitet und daher keine Zeit hat. Er verweist auf die Passage "Teamfähigkeit" in der Stellenausschreibung.
Der Programmierer wendet sich mit der Bitte um Klärung der Prioritäten an seinen Vorgesetzten. Dieser betont: Bei uns im Unternehmen hat die Einhaltung der Kosten/ Budgets die höchste Priorität. Von einer Person in Ihrer Position erwarte ich, dass Sie sich kostspieligen Erwartungen anderer erfolgreich widersetzen. Er verweist auf die Passage "Selbstständigkeit und Zielorientierung" in der Stellenausschreibung.
Dies vorausgeschickt stellt sich die Frage: War es überhaupt richtig, einen "Programmierer" zu suchen? Wäre ein Diplomat des Auswärtigen Amtes mit langjähriger Erfahrung in der Krisendiplomatie nicht der bessere Quereinsteiger-Kandidat für diese Position gewesen? Anders formuliert: Auch wenn die Interviewer die besten Talente anwerben, aus einer Kakophonie wird deswegen noch lange keine Symphonie.
Manchmal ist weniger mehr
Was in den meisten Unternehmen fehlt, ist eineeinvernehmliche Klärung der gegenseitigen Rollenerwartungen für die Schlüsselpositionen im Unternehmen. Eine Stellenbeschreibung beschreibt, was eine Person macht. Bei der Rollenerwartung geht es jedoch um solche Fragen: Was ist anders und besser, weil Sie da sind? Welchen Mehrwert bringt Ihre Arbeit für meine Arbeit?
Eine Rollenklärung mag einfach aussehen, sie ist aber leider nicht leicht, denn die Tücke steckt im Detail. Es bedarf Übung, um konfliktäre Erwartungen zu erkennen und Auswirkungen von Erwartungen abzuschätzen. Und es bedarf das nötige Handwerkszeug, um identifizierte Konflikte aufzulösen.
Neben den oben beispielhaft skizzierten prozessualen Erwartungen kommen hierarchische Rollenerwartungen hinzu. Ein leitender Angestellter ist nämlich - von oben und von unten - mit einer Fülle von unrealistischen und widersprüchlichen Erwartungen konfrontiert. Welche Prioritäten darf er im Falle eines Konflikts setzen? Solange das für ihn selbst nicht geklärt ist, wird er im Interviewgespräch auch kein Erwartungsmanagement beim Bewerber betreiben können.
Die Auswirkungen einer fehlenden Rollenklärung spüren Interessenten nicht nur in Bewerbungsgesprächen sondern sie sind auch in unproduktiven Diskussionen und Abwehrhaltungen im Tagesgeschäft zu erkennen.
Fazit
Gewusst wie, ist man in einigen wenigen Wochen mit dem Gröbsten durch und die Schlüsselpersonen Ihres Unternehmens haben zuverlässige Orientierungsgrößen im Umgang miteinander. Der Austausch wird produktiver und Abwehrhaltungen lösen sich nach und nach auf.
Ein positiver Nebeneffekt: Sie werden nicht nur genau wissen, wen Sie rekrutieren wollen, sondern Ihr Rekrutierungsprozess wird realitätsnah ablaufen und die Gefahr einer Falschbesetzung ist minimiert. (bw)