Seit Jahren kämpft der stationäre Handel gegen die immer stärker werdende Konkurrenz von Online-Händlern. Das ECC Köln hat in Kooperation mit 25 Industrie- und Handelskammern rund 400 Einzelhändler - schwerpunktmäßig kleine und mittlere Unternehmen (KMU) - befragt. Dabei zeigt sich: Aktuell betreiben sechs von zehn Händlern keinen eigenen Online-Shop und planen dies auch in Zukunft nicht. Haupthinderungsgründe sind der zeitliche Aufwand und die anfallenden Kosten. Rund acht Prozent der Händler sind dabei online gar nicht präsent und verfügen nicht einmal über eine Unternehmenswebsite. Ob sich diese Unternehmen halten können, bleibt fraglich.
Erfolgreich wird in Zukunft sein, wer Ladengeschäft und Internet miteinander verzahnt. Dabei reicht es jedoch nicht, einen konzeptlosen Webshop zu installieren - erforderlich ist vielmehr ein fantasievolles Geschäftsmodell, das eine intelligente Vernetzung von Online und Offline vorsieht. Wir haben ein paar Ideen zusammengetragen, wie Sie den Handel in Ihrem Geschäft beleben können und Einkäufe zum Erlebnis machen.
Outfittery: digitale Vermessung
Outfittery, der Online-Berater für Männermode, wagt den Schritt aus dem Internet in die reale Welt. Zu diesem Zweck hat Outfittery eine Vermessungsmaschine entwickelt, die des Mannes wahre Größe berechnet. Man(n) geht in eine Art Umkleidekabine und stellt sich auf einen Drehteller. Dann hebt er die Arme und wird einmal langsam um die eigene Achse gedreht. Eine Kinect vermisst den Körper, eine Software berechnet Bein- und Armlänge, Gesäßumfang, Bund- und Brustumfang sowie Taille und Halsumfang und errechnet aus diesen Daten automatisch T-Shirt- und Hemdgröße, Kragenweite und Hosengröße.
Mit der Vermessungsmaschine verfolgt der Berliner Online-Händler zwei Ziele: Erstens Retouren mindern. Denn Kunden, die Kleidung in der exakt richtigen Größe bekommen, haben keinen Grund, sie umzutauschen. Zweitens: Aufmerksamkeit erregen. Erste Tests mit dem Messautomaten in der Filiale der Deutschen Bank in der Friedrichstraße in Berlin haben gezeigt, dass die Männer neugierig sind, die technische Vermessung cool finden und gern annehmen.
Wer anschließend bei Outfittery bestellt, bekommt obendrein auch noch ein auf seinen persönlichen Daten beruhendes Figürchen seiner selbst in 3D ausgedruckt. Es wird bei der ersten Bestellung mitgeliefert. Der große Rollout der Vermessungsmaschine soll im ersten Halbjahr 2015 in großen Shopping Malls, Flughäfen und weiteren Bankfilialen deutschlandweit erfolgen. Outfittery hat es damit geschafft, Shoppen als Erlebnis zu inszenieren und ein nachhaltiges Markenerlebnis zu schaffen.
Bogner: Stilberatung per Videokonferenz
Auch Unternehmen wie der Münchner Modeanbieter Bogner oder der Herzogenauracher Sportartikelhersteller Adidas setzen auf Erlebnis - online und offline. Bogner zeigt in seinem weShop, wie er in Zukunft Kunden auf allen Kanälen bedienen möchte. Im intelligenten Verkaufsraum von Bogner verschmelzen reale und virtuelle Welt auf innovative Art und Weise miteinander.
So werden Kunden mittels Beacon-Technologie im Shop besondere Angebote auf ihr Smartphone unterbreitet und Kunden können nicht vorhandene Produkte über Shop-Tablets bestellen und zwischen Home Delivery oder Lieferung in den Laden wählen. Kunden zuhause können eine Stilberatung per Videokonferenz ("Call an expert") starten, indem sie einfach in einem Call Center anrufen und sich dann von einem hoffentlich kompetenten Service Mitarbeiter beraten lassen. Im Shop wiederum sorgen digitale Spiegel für ein nachhaltiges Markenerlebnis.
So können die Kunden das gerade anprobierte Produkt noch in weiteren Farben sehen - die Farben werden direkt auf das Spiegelbild des Kunden gerendert. Außerdem erkennt die Umkleidekabine automatisch, welche Kleidungsstücke anprobiert werden wollen. Auf einem Touchscreen werden sofort Alternativen und passende Accessoires angeboten. Und auch diese können per Knopfdruck im Spiegel direkt am eigenen Körper begutachtet werden. Gemeinsam mit den Technologiepartnern Cancom, Cisco und NEC sowie den Ladenbau-Profis der Vitrashop Gruppe hat die Serviceplan Gruppe das Konzept weShop für Bogner realisiert.
- Multichannel-Werkzeuge sinnnvoll einsetzen
Kanäle wie der eigene Onlineshop, Newsletter, soziale Netzwerke und die stationäre Filiale sollten konsequent miteinander verzahnt werden. Quelle: Prodware - Starke IT im Hintergrund
Unternehmen, die das Thema Crosschannel erfolgreich umsetzen möchten, müssen die Weichen in erster Linie mit einer optimalen IT-Infrastruktur stellen. Quelle: Prodware - Potential des stationären Handels nutzen
Geht es um Elektronik und Mode, kaufen Verbraucher ihre Produkte vorzugsweise im stationären Geschäft. Quelle: Prodware - Kanäle klug verzahnen
Mit der stetig wachsenden Zunahme an mobilen Endgeräten erwarten Kunden mehr denn je, Produktinformationen jederzeit und überall abrufen zu können und im besten Falle auch zu kaufen. Quelle: Prodware
Adidas: interaktive Umkleidekabine mit Flair
Adidas und Professor Bodendorf vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik der Friedrich Alexander Universität Erlangen Nürnberg arbeiten ebenfalls einer interaktiven Umkleidekabine. "CyberFIT", so der Name der Kabine, sorgt für Erlebnis pur. Denn jedes Kleidungsstück, das in die Kabine mitgenommen wird, wird per RFID-Chip erkannt. Und je nach Gattung wird auf den Spiegeln in der Umkleide mit stimmungsvollen Bildern das passende Ambiente eingeblendet.
Buttons im Spiegel bieten auf Knopfdruck weitere Infos zum Material des Kleidungsstücks. Außerdem können Sie ihre Freunde aus der Kabine heraus via Facebook zu ihrer Meinung befragen. Wichtig für die Händler: ein Feedback-Knopf ermöglicht es dem Händler herauszufinden, warum der Kunde die Ware nicht kauft. Hier kann der Kunde anklicken, ob die Ware zu klein, das Material nicht flauschig genug oder die Farbe die falsche war.
Noch sind diese virtuellen Umkleiden nicht serienreif. Eine Hürde besteht darin, dass die Preise für große Displays viel zu hoch sind, um die Spiegel für den Handel bezahlbar zu machen. Ebenfalls noch Zukunftsmusik: Mittels 3D-Vermessung wird ein virtueller Avatar erzeugt, der in Größe und Proportion der des Kunden entspricht. Damit können Kunden vor einem virtuellen Spiegel Kleidungsstücke anprobieren, ohne diese tatsächlich anziehen zu müssen. Microsofts Spielcontroller Kinect soll mittels einer von Prof. Bodendorf und seinem Team entwickelten Methoden ermöglichen, digitale Ganzkörpermodelle von Menschen zu erzeugen.