New Normal

Aufbruch ins Marketing- und Sales-Zeitalter 4.0



Dr. Rudolf Aunkofer ist Direktor am Institut für Information & Supply Chain Management (iSCM) der Hochschulie für angewandtes Management in Ismaning bei München.
Technologischer Fortschritt einerseits und Anwender-Bedürfnisse andererseits bestimmen das Spannungsfeld, dass letztendlich für den Markterfolg von Produkten & Services verantwortliche zeichnet. Dieses Grundprinzip hat auch im New Normal weiter Bestand. Allerdings verlagert sich der Schwerpunkt deutlich in Richtung „Anwender“. Ein „Neues Denken 4.0“ in Bezug auf Marketing & Sales wird für die Tech Industrie unabdingbar.
Nach schwacher Performance im vierten Quartal 2019 wurden Hersteller und Distributoren im ersten Quartal 2020 vom Channel deutlich besser beurteilt. Auch danach erhielt die Distribution mehr positive als negative Bewertungen.
Nach schwacher Performance im vierten Quartal 2019 wurden Hersteller und Distributoren im ersten Quartal 2020 vom Channel deutlich besser beurteilt. Auch danach erhielt die Distribution mehr positive als negative Bewertungen.
Foto: iSCM Institute

Kennen Sie die Top-Gartner Tech-Trends, die 2021 prägen sollen: Internet of Behaviors, Privacy Enhancing Computation, Cybersecurity Mesh, Distributed Cloud, Hyperautomation, Anywhere Operations, Total Experience, Intelligent Composable Business, AI Engineering? Überlegen Sie kurz und beurteilen Sie selbst, inwieweit diese Tech-Trends

  • (A) heute relevant für ihre Kunden sind

  • (B) wie viele derartiger Services sie in diesem Jahr anbieten (können/wollen) und

  • (C) wieviel Umsatz sie damit im Jahr 2021 wirklich machen werden?

Technologische Möglichkeiten übersteigen Nutzerbedürfnisse

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie sich technologische Möglichkeiten und die breite Masse der Kunden/Anwender mittlerweile voneinander entfernt haben. Für eine wachsende Anzahl an Unternehmen - v.a. im Mittelsand - rücken rein technologische Aspekte mehr und mehr in den Hintergrund. Die Argumentation von IT-Spezialisten und ganzer IT-Abteilungen werden von Entscheidungsträgern aus dem Management - mit Ausnahme von Security - regelmäßig ignoriert, der Fokus liegt eindeutig auf einer pragmatisch-geschäftsorientierten Nutzung von (ausgereiften) technologischen Lösungen und entsprechendem Investment.

Diese Entwicklung ist weder neu, noch pandemiebedingt. Es zeigt sich bereits seit mehreren Jahren, dass neue Technologien nicht mehr automatisch im B2B-Umfeld adaptiert werden, dass Technologien den Weg zum Markt nur mit Verspätung finden oder sich nur in von Großunternehmen dominierten Marktsegmenten durchsetzen.

Deutliches Indiz hierfür sind beispielsweise die erheblichen Anstrengungen von Hersteller oder Distributoren "komplexe High-Tech-Lösungen" an mittelständisch denkende Kunden zu verkaufen oder Branchen, die in punkto Digitalisierung eine abwartende Grundeinstellung besitzen, hin in Richtung Digitalisierung zu bewegen.

Dr. Rudolf Aunkofer, Direktor am Institut für Information & Supply Chain Management (iSCM): "B2B-Kunden sind heute deutlich besser informiert."
Dr. Rudolf Aunkofer, Direktor am Institut für Information & Supply Chain Management (iSCM): "B2B-Kunden sind heute deutlich besser informiert."
Foto: iSCM Institute

Die Suche nach den Ursachen gestaltet sich hier einfach: Aufgrund des technologischen Fortschritts übererfüllen viele Anwendungen die Anforderungen eines durchschnittlichen Nutzers bei weitem, weitere Verbesserungen werden somit nur noch bedingt honoriert, hohe Migrationskosten tun ihr Übriges dazu. Selbst eine noch so gute Beschreibung der Produkt- & Leistungsmerkmale kann Unternehmen nicht davon überzeugen zu migrieren oder upzudaten.

Für Großunternehmen die Cloud in nicht-unternehmenskritischen Bereichen als akzeptabel einstufen, sind Service-Modelle (XaaS) eine mögliche Lösung, für mittelständische Unternehmen, die oftmals noch an einem ausgeprägten on-premises Ansatz festhalten, ist oftmals vor allem die Überzeugungskraft des jeweiligen Systemhauspartners entscheidend.

New Normal bedeutet Markt-Transparenz

Hinzu kommt, dass sich das New Normal durch eine neue digitale (Markt-) Transparenz auszeichnet. Lockdown bedingt wurden relevante Informationen verstärkt digital, in didaktisch ansprechender Weise zur Verfügung gestellt bzw. das zur Verfügung stellen mit Blogs, Bildern oder Videos deutlich kundenfreundlicher gestaltet.

Die Kombination aus "Übererfüllung von Anforderungen" und "Transparenz in Leistungs- & Preisgestaltung" führt dazu, das B2B-Kunden heute deutlich besser informiert sind, die klassischen "4Ps" des Marketings - product (Produkt & Services), price (Preis & Sales-Aktionen), placement (Distribution & Verfügbarkeit), promotion (Werbung & Marketing-Aktionen) - verlieren dadurch rasch und unwiederbringlich an Bedeutung.

Ein von Expertise geprägtes B2B-Umfeld, technische, virtuelle Produkte & digitale Services, Lock-in Effekte & hohe Migrationskosten, länger werdende Wiederkaufszyklen, Subscription Modelle, digitale Ökosysteme (Plattformökonomie) sowie eine begrenzte Anzahl an Partnern (Händler, Distributoren wie Hersteller), alles Gegebenheiten, die auf den deutschen IT-markt zutreffen, verstärken diese Entwicklung zusätzlich.

Im New Normal, das uns mit Lichtgeschwindigkeit in eine digitalisierte Welt befördert, wie es in 2019 noch nahezu niemand für möglich gehalten hätte, ändern sich weniger die uns begleitenden Technologien, noch unsere Anwender-Präferenzen oder unser Nutzungs-Verhalten, sondern viel mehr die Art und Weise wie wir Produkte & Services kaufen. Das ist die Disruption, die wir erleben, die das New Normal gestaltet und weiter gestalten wird. Der Aufbruch in ein neues Marketing & Sales 4.0 Zeitalter in der Tech-Industrie ist die Basis, um weiter erfolgreich zu bleiben. Aber was bedeutet das für uns konkret?

Marketing & Sales - von 1.0 nach 4.0

Die Entwicklung des Marketings lässt sich vereinfacht in vier Schritten darstellen:

  • Marketing 1.0 ab den 1950er Jahre, Fokus: Produkt-Features & Produkt-Nutzen

  • Marketing 2.0 ab den 1970er Jahre, Fokus: Kunde & Produkt-Anwendung

  • Marketing 3.0 ab den 1980er Jahre, Fokus: Produkt-Erfahrung & -Erlebnis

  • Marketing 4.0 ab den 2010er Jahre, Fokus: Mensch & inhaltlicher Dialog

Bedingt durch die Natur der Produkte ist die Tech-Industrie auch in den 2020er Jahren stark in den Marketing-Prinzipien des letzten Jahrhunderts verankert: Produkt-Features & -Nutzen (Marketing 1.0) sowie Kunden- & Anwendungsbeispielen (Marketing 2.0). Lediglich im B2C-Umfeld hat eine teilweise Fokussierung auf Erlebniskauf (Marketing 3.0) stattgefunden, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass Konsumenten für technische Produkte "Effizienz" im Einkauf deutlich gegenüber "Erlebnis" bevorzugen (was nebenbei angemerkt zum Siegeszug der Onliner und zu den bekannten Herausforderungen des stationären Handels in der Tech-Industrie führte).

Im New Normal sind nun aber aufgrund des raschen Voranschreitens von Digitalisierung mehr und mehr Informationen digital verfügbar. Zudem wurden auch Entscheidungsträger im B2B-Umfeld aufgrund der Lockdown-Situation und dem damit verbundenen Social Distancing erstmals gezwungen, sich auch mit diesen digital verfügbaren Informationen zu befassen. Beides führt in Konsequenz zu einer Situation, wie wir sie (privat) im Consumer-Umfeld bereits erleben können:

das Wissen des gut informierten Kunden ist punktuell umfassender als das eines "breit aufgestellten oder manchmal nur bedingt vorbereiteten" Verkäufers. Dies Verschiebung der "Informations- bzw. Wissens-Balance" und somit auch der "Macht-Balance" im Verkaufsgespräch hin zum Kunden, wird ein elementarer Faktor des New Normals sein: der Kunde hat gelernt bzw. musste lernen, selbst aktiv nach Informationen zu suchen, er nutzt die digitale Informationstransparenz und die sich hieraus bietenden Vorteil beim Kaufprozess.

Das antiquierte "Produkt-Feature-Nutzen-Anwendungs-Marketing" bedarf in New Normal somit dringend eines "Updates 4.0", das zusätzlich einen inhaltlichen, partnerschaftlichen Dialog in den Mittelpunkt stellt. Dialog bedeutet, den Kunden als Partner zu sehen,

  • ihn aktiv mit seinen Erfahrungen entlang des Produktlebenszyklus einzubinden,

  • regelmäßig Feedback zur eigenen Leistung einzuholen,

  • gemeinsam vertretbare Preispunkte gegenüber Endkunden zu finden &

  • Herausforderungen beim Endkunden einvernehmlich zu lösen.

Dem folgend ist auch die Beurteilung der Zusammenarbeit mit Herstellern und Distributoren ein elementarer Bestandteil von Marketing 4.0. Sie ist die Basis und der gemeinsame Ausgangspunkt, um die partnerschaftliche Zusammenarbeit inhaltlich wie auch für beide Seiten erfolgreich zu gestalten.

Marketing 4.0: Beurteilung von Herstellern & Distributoren

Die Analyse - jeweils für Hersteller und Distributoren aggregiert - zeigt, dass die IT Lieferkette durch die Lockdowns gefordert und ihre Resilienz (Flexibilität) getestet wurde. Sie hat diesen Test - im Vergleich zu anderen Branchen - sehr gut bestanden! Zwar sind nach dem ersten Lockdown gewisse "Müdigkeitserscheinungen" erkennbar, was nicht verwundern und menschlich verständlich sein sollte. Das Zusammenspiel von Hersteller und Distribution, das 2-stufige Vertriebsmodell hat sich aber über das gesamte Jahr bestens bewährt.

Die B2B-IT-Sonderkonjunktur wird auch im aktuellen Jahr und im New Normal weiter Bestand haben. Produkt, Service und eine funktionierende Lieferkette werden weiter Basis sein. In Ergänzung ist allerdings ein deutliches Mehr an Marketing 4.0 erforderlich, um in einem transparenten Markt seine eigenen Anteile sichern und weiter ausbauen zu können. Im New Normal werden die Karten neu gemischt - gutes Marketing 4.0 macht den Unterschied!

Alle weiteren iSCM-Analysen finden Sie hier.

Zur Startseite