Nachhaltig möchten viele Unternehmen sein. Allerdings war das zunächst auch leicht gesagt. Seitdem sich die Vorgaben aus dem "Treibhausgasprotokolls" (GHG Protocol – Greenhouse Gas Protocol) als Ziele herauskristallisieren, an denen sich solche Aussagen messen lassen müssen, ist das schwieriger geworden. Es reicht nicht mehr, einmal einen Baum zu pflanzen oder die Mitarbeiter einen Tag im Jahr mit dem Fahrrad ins Büro kommen zu lassen. Inzwischen ist der Grad der Emissions-Vermeidung oder Emissions-Kompensation detailliert zu dokumentieren und nachzuweisen.
Grundlage dafür ist das "Treibhausgasprotokoll". Entwickelt wurde das Standardwerk ab 1998 vom World Resources Institute (WRI), einer Denkfabrik zum Thema Umweltschutz, und dem Unternehmensverband World Business Council for Sustainable Development (WBCSD).
Zu den Treibhausgasen gehören neben Kohlendioxid (CO2), Distickstoffoxid, Methan auch vier Gruppen von fluorierten Gasen (Schwefelhexafluorid, teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe, perfluorierte Kohlenwasserstoffe und Stickstoff-Trifluorid). Angegeben werden die Treibhausgasemissionen in Tonnen Kohlendioxid-Äquivalenten (CO2e) - also dem Erwärmungspotenzial einer Tonne CO2. Unternehmen, die ihre Treibhausgasemissionen ausweisen wollen, müssen sie berechnen können.
Obwohl es sich um eine Initiative aus der Wirtschaft handelt, hat GHG – wie es kurz genannt wird – inzwischen breite Anerkennung gefunden und enorme Auswirkungen. Zum Beispiel basiert darauf der Standard ISO 14064 (Verifizierung der CO2-Bilanz). Außerdem sind die darin seit 2001 definierten drei "Scopes" („Rahmen“ oder „Geltungsbereiche“) in Großbritannien Grundlage für die obligatorische Berichterstattung zu Treibhausgasen.
Als Kategorisierung für den Grad der Klimafreundlichkeit setzen sie sich auch in Deutschland immer mehr durch - oft aufgrund Maßnahmen international agierender Hersteller. Sobald die sich "nur" die Erreichung der Ziel aus Scope 1 oder Scope 2 auf die Fahne geschrieben haben, betrifft das die Vertriebspartner nicht. Sobald sie aber auch Ziel aus Scope 3 erreichen wollen, kann das auch ihre Partner betreffen. Und falls Unternehmen sich um Scope-3-Ziele bemühen, kann das auch dazu führen, dass sie Erwartungen an die Klimaschutzaktivitäten ihrer IT-Dienstleister haben.
Drei Stufen der Klimafreundlichkeit
Der "Scope" der Klimaschutzaktivitäten eines Unternehmens beschreibt, wie weitreichend sie sind – und was es möglicherweise für Kunden oder Partner bereits mit übernimmt.
Das GHG-Protokoll unterteilt Treibhausgasemissionen von Unternehmen in drei Bereiche (Scopes):
Scope 1: Direkte Emissionen aus Aktivitäten des Unternehmens und von ihm kontrollierten Anlagen.
Scope 2: Indirekte Emissionen aus eingekaufter und genutzter Energie.
Scope 3: Alle indirekten Emissionen aus Quellen, die nicht vom Unternehmen kontrolliert werden, die aber durch seine Aktivitäten bedingt sind.
Scope 3 erstreckt sich damit auf die gesamte Wertschöpfungskette. Dabei wird Scope 3 in sogenannte Upstream- und Downstream-Aktivitäten unterteilt (vorgelagerte beziehungsweise nachgelagerte Wertschöpfungskette).
Upstream-Aktivitäten sind vor allem solche, die dazu dienen, Produkte oder Services in den Markt zu bringen. Dazu gehören etwa gekaufte Waren, Geschäftsreisen und Pendleraktivitäten von Mitarbeitern, das Abfallaufkommen im eigenen Betrieb sowie eingekaufte Güter. Aber auch eingekaufte Dienstleistungen fallen darunter.
Zu den Downstream-Aktivitäten zählen Transport und Verteilung, Weiterverarbeitung verkaufter Zwischenprodukte sowie Entsorgung und Recycling der Produkte. Sogar die Emissionen von Franchise-Partnern oder Leasinggeschäfte zählen dazu.
Scope 3 erfasst auch Dienstleister und Lieferanten
Das könnte etwa dazu führen, dass ein Unternehmen nach dem CO2-Fußabdruck seines Managed-Print-Services-Anbieter fragt. Oder dass es sich für die CO2-Bilanz der neuen Notebooks interessiert und wissen will, wie es um die Klimaneutralität der Manged Security Services (eingekaufte Dienstlestungen) steht. Selbst wenn Unternehmen selber keine Ambitionen zur CO2-Reduktion haben, könnten sie also durch Kunden oder Geschäftspartner dazu aufgefordert werden.
Manche Anbieter denken schon daran. Zum Beispiel hat Brother bekannt gegeben, dass sein europäisches Werk zur Aufbereitung von Tonerkartuschen in der Slowakei als klimaneutral zertifiziert ist. "Marketing-Gag", könnte man denken - bis man ein Projekt verliert, weil es dem Mitbewerber leichter fällt, dank der Tonerkartuschen aus diesem Werk klimaneutrale Druckdienstleistungen anzubieten.
Weiteres Beispiel ist Lenovo, dass für PC und Notebooks einen CO2-Offset-Service anbietet. Damit kümmert sich der Hersteller auf Wunsch beim Kauf der Geräte um die CO2-Kompensation. Vorteil des Käufers: Er muss sich um nichts kümmern und bekommt einen Nachweis, den er wiederum als Nachweis für seine Klimaziele einsetzen kann.
Mitarbeit der Partner gefragt
Um den Anforderungen gerecht zu werden, streben Firmen zudem nach mehr Kontrolle über den Lebenszyklus der von ihnen vertriebenen Produkte und nehmen auch Vertriebspartner immer stärker in die Pflicht. Der Prozess steht am Anfang – wird aber eine ganze Lawine an Veränderungen nach sich ziehen. Ein Beispiel: Am Rande der UN-Klimakonferenz in Glasgow im November 2021 deutete Microsoft-Präsident Brad Smith an, dass der Konzern Partnerschaften mit Firmen ohne Klima-Ambitionen auf den Prüfstand stellen könnte.
Das ist nachvollziehbar: Denn strebt Microsoft Klimaneutralität nach Scope 3 ernsthaft an, muss es auch dafür sorgen, dass die Emissionen durch Vertrieb und Nutzung seiner Produkte kompensiert werden. Dazu gehört im Zweifelsfall auch die Fahrt des Vertriebsmitarbeiters des Partners zum Kunden.
Verständlich, dass Firmen daher ein Interesse daran haben, dass Partner selbst emissionslos arbeiten – ihnen also diese Aufgabe abnehmen. Kyocera hat damit bereits angefangen und einen Partnerstatus für nachhaltig wirtschaftende Fachhändler eingeführt. Es ist vorstellbar, dass in absehbarer Zukunft alle große IT-Firmen Nachweise von ihren Partnern verlangen – so wie eine Zertifizierung nach ISO 9001 (Qualitätsmanagement) oder im IT-Security-Bereich nach ISO 27001.
Cloud-Dienste und Klimaneutralität
Bei Cloud-Diensten wie Microsoft 365 muss der Anbieter dafür sorgen, dass die Emissionen kompensiert werden. Bei einem Cloud-Dienst ist die Berechnung der Emissionen vergleichsweise einfach. Im Wesentlichen entfallen sie auf das Rechenzentrum. Wird hier (nach Scope 2) Strom CO2-neutral eingekauft, ist schon viel gewonnen.
Microsoft weiß natürlich, dass es als Anbieter und Dienstleister seinen Kunden ein gute CO2.Bilanz nicht nur präsentieren, sondern uch ermöglichen muss. Vor diesem Hintergrund ist auch die Ankündigung zu sehen, das das Unternehmen selbst 2030 sogar mehr CO2 aus der Atmosphäre entnehmen als ihr zuführen will. Oder der Hinweis, dass Unternehmen beim Umstieg auf die Microsoft-Cloud CO2- Einsparungen von bis zu 93 Prozent erreichen können.
Bei einem Drucker dagegen kann der Hersteller beim klassischen Verkauf überhaupt nicht wissen und belegen, wie viel Emissionen das Gerät während der Nutzungsdauer verursacht. Werden damit 1.000, 10.000 oder 100.000 Seiten gedruckt? Wird es zwei, drei oder vier Jahren genutzt – oder fällt es nach sechs Wochen vom Tisch, geht kaputt und wird zum Wertstoffhof gebracht?
Nachhaltigkeit braucht Kontrolle und Nachweise
Es muss also mehr Kontrolle über die verkauften Produkte her. Die Druckerbranche ist dank des langjährigen Trends zu Managed Print Services dafür schon gut aufgestellt. Rechenzentrumsausrüster wie HPE, Dell, Fujitsu oder Hitachi Vantara schaffen mit nutzungsabhängigen Angeboten bereits die Grundlagen für die erforderliche Kontrolle. In weiteren Bereichen werden die Hersteller diese Einblicke in und die Kontrolle über den Produktlebenszyklus ebenfalls anstreben.
Diese Entwicklung hat zwei Seiten: Zum einen droht der Channel seine Mittlerrolle zwischen Hersteller und Kunden zu verlieren. Zum anderen wird die Verwaltung der diversen Herstellerbeziehungen für Unternehmenskunden schwierig werden. Möglicherweise tun sich da neue Betätigungsfelder auf. Alternativ können Dienstleister den Emissionsaspekt schon jetzt in Managed Services mit aufnehmen. Für manche Kunden dürfte zum Beispiel ein klimaneutraler Webshop oder eine andere, nachgewiesenermaßen klimaneutrale Dienstleistung, durchaus interessant sein.
Werbung mit "klimaneutral" muss transparent sein
Nicht zuletzt sind die Wild-West-Zeiten beim Umgang mit dem Begriff "klimaneutral" vobei. Erste Gerichtsentscheidungen bestätigen die Auffassung der Wettbewerbszentrale, der Selbstkontrollinstitution der Wirtschaft für fairen Wettbewerb, dass bei der Werbung mit dem Begriff "klimaneutral" transparente Angaben darüber erforderlich sind, wie die beworbene Klimaneutralität erreicht wird.
Das Landgericht Konstanz stellte in einem Verfahren etwa fest, dass darüber aufgeklärt werden muss, ob das werbende Unternehmen zumindest teilweise – durch eigene Energieeinsparungen im Betrieb oder durch Einsatz regenerativer Energien – zur Verringerung der CO2-Emissionen beiträgt oder ob es lediglich CO2-Zertifikate kauft (Aktenzeichen 7 O 6/21 KfH).
Das Landgericht Kiel (Aktenzeichen 14 HKO 99/20) bemängelte in einem anderen Verfahren, dass die Aussage "klimaneutral" im Zusammenhang mit dem Unternehmensnamen den falschen Eindruck erwecke, dass das gesamte Unternehmen klimaneutral sei. Im verhandelten Fall wurden jedoch lediglich bestimmte Produkte klimaneutral gestellt. Da sich Klimaneutralität mit unterschiedlichen Mitteln erreichen lasse, sei es für Verbraucher wichtig, beim Kauf unproblematisch Informationen darüber zu erhalten, auf welche Weise die Klimaneutralität erreicht wird.
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