"Mehr miteinander statt gegeneinander arbeiten"
Andreas Kunzmann (United Systems), ist seit 1987 in der IT-Branche tätig und bereits vor 30 Jahren gleich in ein Systemhaus eingestiegen, wo er sich ab 1993 im Preiskampf gegen die großen Player behaupten musste: "Da haben wir uns als IT-Dienstleister aufgestellt und Services wie Installation bezahlen lassen." 1999 wurde sein Systemhaus von Bull übernommen, danach wurde Kunzmann Geschäftsführer bei Maxdata "Dort habe ich die Erfahrung gemacht, dass es kleineren Systemhäusern an Consulting-Konzepten und -Kompetenzen mangelt. Und genau diese Lücken haben wir mit unseren Services bei Maxdata aufgefüllt."
Seit April 2019 agiert Kunzmann als CEO beim mittelständischen Systemhaus United Systems. "Das ist eine höchst spannende Aufgabe. Ich habe bisher noch kein Unternehmen erlebt, das mit so wenigen Mitarbeitern - bei United Systems sind es gerade mal 35 - so prozessorientiert arbeitet. Hier werden Managed Services bereits seit 20 Jahren vorgelebt. Dieses Konzept, dieses digitale Know-how, würden wir gern anderen Systemhäusern, etwa den von Herrn Kapitän betreuten, zur Verfügung stellen - in einem Franchisesystem". Mit dieser Maßnahmen möchte Kunzmann dem gegenwärtigen Systemhaussterben entgegenwirken, denn viele Systemhausbetreiber kommen nun ins Rentenalter, die Übergabe an die nachfolgende Generation ist oft nicht möglich, und so werden viele der kleinen Systemhäuser von den großen wie Bechtle aufgekauft.
"Wir sollten mehr miteinander statt gegeneinander arbeiten", appelliert Kunzmann. Seiner Meinung nach ist aktuell das "Netzwerken" angesagt, um eben gegen Größen wie NTT, Dimension Data & Co zu bestehen. "Nirgendwo anders in der Welt gibt es eine derartige Vielfalt an kleinen, mittelständischen und großen Systemhäusern wie in Deutschland", analysiert der United Systems-Manager.
Jakob Rinkewitz, seit fünf Jahren bei Vintin, kann nicht mit so viel Erfahrung wie Kunzmann aufwarten, er ist ja erst 1987 geboren, aber mit neuen Management-Methoden ist er bestens vertraut. Neben der Marketingleitung bei Vintin hat er noch die Rolle des Digital Transformation Strategen bei der Vintin-Ausgründung "Wolkenmacher" eingenommen. Dort sollen neue Wertschöpfungsmodelle für die Mutter gefunden werden, zum Beispiel Managed Services und neue digitale Lösungen. "Meine Aufgabe ist es, Märkte und Zielgruppen zu beobachten, um zu eruieren, wie wir auf die dort stattfindenden Änderungen reagieren können."
Seine Definition der Managed Services geht weiter, als bei typischen Systemhäusern üblich: "Wenn ich Managed Services nur aus dem rein operationalen Blickwinkel betrachte, dann habe ich im Prinzip nichts Neues geschaffen. Ich ersetze Projekte durch fortlaufende Services, aber Menschen muss ich für beides abstellen. Das skaliert nicht und hat keine Zukunft."
So managt auch Vintin große Rechenzentren der eigenen Kunden. Hierfür benötigt das Systemhaus Manpower, denn selbst mit derartigen Services lässt sich der Fachkräftemangel nicht ausgleichen. "Schon gar nicht in Schweinfurt, wo wir sitzen", meint Rinkewitz. "Unseren ersten 'Managed Workplace' haben wir bereits 2005 etabliert - Citrix-basiert. Der Kunde zahlt dafür einen fixen Betrag pro Monat und Arbeitsplatz, er findet das aber nicht besonders schick, auch wenn alles einwandfrei funktioniert", meint der "Wolkenmacher".
Rinkewitz kennt auch die Klagen vieler Systemhäuser, wie schwer es sei Office 365 oder Teams an den Mann zu bringen. "Nichts leichter als das", entgegnet er ihnen. "Ihr müsst das Ganze als Lösung und nicht als Service vermarkten. Der Kunde will keinen Managed Service sondern einen Digitalen Arbeitsplatz, dafür ist er auch bereit, Geld zu bezahlen." So bietet Vintin seinen Kunden auch viel Consulting an, die Microsoft 365-Seminare des Systemhauses sind bereits weit in die Zukunft ausgebucht. Denn dort erfahren die Kunden sehr praxisnah, was sie mit den neuen modernen Lösungen überhaupt anfangen können.
Kunzmann von United Systems bestätigt die Ausführungen von Rinkewitz: "Viele der Vertriebler bei den Systemhäusern verlieren oft den Fokus auf die eigentlichen Bedürfnisse der User beim Kunden und lassen sich von den Interessen der dortigen IT-Abteilungen ablenken". Sie sollten stattdessen mit der Fachabteilung direkt kommunizieren und deren Wünsche unmittelbar in Erfahrung bringen.
Das gelte insbesondere beim Erbringen von Managed Services. Und hier bringt der United Systems-Chef ein Krankenhaus exemplarisch ins Spiel: "Dort herrschen oft chaotische IT-Verhältnisse, aber es kommt doch vor allem drauf an, dass dort den Patienten geholfen wird. Daher sollten Systemhäuser viel mehr auf die Bedürfnisse der Kunden ihrer Kunden, in dem Fall der Patienten, eingehen und weniger in Produktkategorien denken", so Kunzmann.
Da geht Rinkewitz von Vintin noch weiter und bemängelt die unausgegorene Produktentwicklung bei vielen IT-Herstellern: "Oft stehen dort die Funktionen im Vordergrund und weniger der unmittelbare Nutzen für den Kunden." Hier sieht Thomas Neumeier die Systemhäuser in der Pflicht: "Sie müssen die Lösung dem Kunden erklären und ihm den Nutzen aufzeigen."
Doch bei Systemhäusern hapere es oft am nötigen Wissen, meint Kunzmann: "Viele von ihnen verkaufen Azure, ohne dieses komplexe System überhaupt zu verstehen. Das tun wahrscheinlich nur die Top-300-Microsoft-Partner." Dem widerspricht Kai Kapitän und verweist auf die von Microsoft gestartete und wieder abgeschaltete "Deutschland Cloud". Denn seiner Ansicht nach verfolgt der Konzern ausschließlich die eigenen originären Interessen: "Man denke da nur an die widersprüchlichen Aussagen der Redmonder zum Windows Server 2019". Und das schränke viele Systemhäuser in ihrem "Daily Business" doch sehr ein.
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Deswegen plädiert Kapitän für mehr Zukunftssicherheit seitens der IT-Hersteller und wünscht sich in Deutschland eine gemeinsame Vertretung aller Systemhäuser, die so konzentriert ihre Produktwünsche Herstellern gegenüber mit dem nötigen Nachdruck äußern könnte: "Ich muss nicht jede Sau, die mir ein Hersteller vorsetzt, durchs Dorf treiben!" Das Systemhaus sollte seinen Kunden genau die Lösung liefern, die er benötigt, und nicht jene, die ein Hersteller gerade in den Markt bringen möchte.
Soviel Eigenständigkeit und Behauptungswillen gegenüber dem Hersteller dürfte jedoch selten anzutreffen sein, meint Kunzmann: "Da kuschen viele Partner und geben nach, um einen Bonus zu erhalten." Doch wer soll nun die Interessen der deutschen Systemhäuser gegenüber den Herstellern vertreten? Hier waren sich die Diskutanten wieder sehr einig: weder Bitkom noch die Kooperationen iTeam, comTeam oder Nordanex.
Systemhäuser sollten sich strategisch neu aufstellen
Jakob Rinkewitz glaubt, dass Hersteller den Systemhäusern, sofern sie einen hohen Partnerstatus erreicht haben, schon zuhören, aber kaum Einfluss auf die Produktpolitik ausüben könnten - da gibt sich der Vintin-Manager keiner Illusion hin. Er sieht aber ein grundsätzliches Problem in der Vertriebspolitik vieler Systemhäuser: "Sie lösen on-premise-Systeme ihrer Kunden durch Cloud-Services ab, beispielsweise aus Azure. Aber damit ersetzen sie lediglich ihr on-premise-Infrastruktur-Geschäft durch ein Cloud-basiertes. Doch die Margen für Azure-Abos werden auch bald sinken."
Laut Rinkewitz ist damit ein Systemhaus für den Kunden austauschbar. "Das ist aber nur bei den ganz großen Kunden der Fall", widerspricht ihm Kapitän. "Der kleine Steuerberater wechselt nur sehr ungern seinen IT-Lieferanten." Seiner Wahrnehmung nach setzt der Mittelstand auf Vertrauen, da spiele der Preis für die erbrachte Leistung nur eine untergeordnete Rolle. Dem stimmt Thomas Neumeier zu und führt noch ein weiteres Argument für die enge Kunden-IT-Lieferanten-Bindung ins Feld: die Spezialisierung. "Mit Office 365 allein ist man in der Tat austauschbar, aber reichert man diese Infrastruktur mit Branchen-Know-how an, dann sieht es schon anders aus."
"Genau das tun wir mit unserem Fokus auf die Industrie", bestätigt ihn Carsten Grunert von Axians. Und dann ist es seiner Erfahrung nach auch völlig egal, von welchem Hersteller die darunterliegende Infrastruktur stammt: "Google, AWS und Azure sind austauschbar." Neben dem Branchen-Fokus können die Systemhäuser nur noch mit ihrer schieren Größe punkten: "Dann greifen die Skalierungseffekte", meint Grunert. "Get big, get niche or get out" - diese Devise gelte auch heute noch.
"Kleinere Systemhäuser müssen sich zwangsläufig spezialisieren, denn die Informationstechnologie ist mittlerweile so komplex, dass sie nur Teilbereiche davon abdecken können", fasst Kapitän zusammen. Deswegen plädiert er dafür, dass sich unterschiedlich spezialisierte Systemhäuser zusammentun und gemeinsam auf Kunden zugehen. Dann bekämen sie auch eine größere Marktmacht gegenüber den Herstellern.
Das könnte schon funktionieren, räumt Kunzmann ein, aber nur, wenn der Druck auf die Hersteller auch von der Kundenseite kommt: "Dann überlegen schon manche von ihnen, bestimmte auf dem deutschen Markt benötigte Funktionen in ihre Produkte einzubauen."