Der Frauenanteil in ITK-Unternehmen lag 2023 nach Zahlen des Bitkom im Durchschnitt bei 15 Prozent - und damit in etwa auf Vorjahresniveau. Trotz zahlreicher Initiativen in Wirtschaft, Ausbildungseinrichtungen und Schulen steigt er seit Jahren kaum an.
In Germering, im Westen von München, ist das anders. Beim Software-Anbieter DocuWare liegt der Frauenanteil aktuell bei 34 Prozent - ist also bemerkenswert hoch. ChannelPartner hat bei Sabina Molka, Director People Engagement & Development, und Uta Dresch, Vice President Client Experience Management, nachgefragt, wie das gelungen ist und was dadurch vielleicht anders ist, als in anderen IT-Firmen.
ChannelPartner: DocuWare ist ein Unternehmen mit einem ungewöhnlich hohen Anteil an Frauen in der Belegschaft. War das schon so, als sie angefangen haben? Und wie ist das jetzt: Kommen neue Kolleginnen auch oder gerade deshalb, weil der Frauenanteil hoch ist?
Sabina Molka: Bei DocuWare wurde tatsächlich schon immer auf einen hohen Frauenanteil geachtet. Aktuell liegen wir unternehmensweit bei rund 34 Prozent - in den technischen Abteilungen bei 25 Prozent. Als ich bei DocuWare angefangen habe, war die Frauenquote in bestimmten Abteilungen, beispielsweise der Entwicklung, etwas niedriger. Dennoch ergab sich kein Bedarf für spezielle Werbekampagnen, um den Frauenanteil zu erhöhen. Vielmehr setzen wir auf Employer-Branding-Maßnahmen, die auf unsere vielfältige, offene und flexible Unternehmenskultur hinweisen.
Auf Instagram beispielsweise zeigen wir unseren Alltag bei DocuWare und lassen regelmäßig Mitarbeitende aus unterschiedlichen Abteilungen, Nationen, unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten und Altersstufen zu Wort kommen - wenn diese es denn möchten. Ich bin mir sicher, dass das ein Grund dafür ist, dass bei uns das Thema Frauenquote auch in Vorstellungsgesprächen so gut wie nie zur Sprache kommt und Bewerberinnen bereits wissen, dass ein diverses Kollegium auf sie wartet.
Als einer der Treiber für eine höhere Frauenquote sehe ich dagegen beispielsweise viel eher das Thema Flexibilität. Zwar entwickeln sich Familienmodelle stetig weiter, nichtsdestotrotz sind immer noch mehr Frauen auf flexible Arbeitsmodelle und Teilzeitstellen angewiesen. Unternehmen, die weder hybride Arbeitsmodelle noch flexible Arbeitszeiten anbieten, werden vermutlich auch langfristig nicht die Frauenquote erhöhen und riskieren, umkämpfte Talente zu verlieren.
Was ist Ihrer Ansicht nach der Grund für den geringen Frauenanteil in der IT-Branche insgesamt?
Sabina Molka: Wir haben in der Branche immer noch mit traditionellen Geschlechterrollen und Stereotypen zu kämpfen. Viele Frauen denken, dass IT- und technologiebezogene Berufe "typisch männlich" und damit oft von männlich geprägten Strukturen und Verhaltensweisen geprägt sind. Davon werden Frauen, die sich eigentlich für den Bereich interessieren, häufig abgeschreckt und verlieren ihr Interesse.
Uta Dresch: Das Problem, das Sabina Molka hier anspricht, wird meiner Meinung nach durch zwei Dinge weiter gefördert - das Bildungsumfeld und die, trotz aller bislang erreichten Gleichstellungsbemühungen, vorzufindende Grundeinstellung von Frauen, sich insbesondere in techniknahen Bereichen relativ unterzuordnen.
Um dem entgegenzuwirken, benötigen wir zum einen mehr mädchenorientierte Schulprojekte, zum Beispiel Programmierkurse. Zum anderen sollten Frauen, die Karriere in der IT-Branche machen, häufiger in Schulen präsent sein und hier ihren Arbeitsalltag praxisnah darstellen. Damit können sie vielen Mädchen die Angst nehmen, Vorbehalte geraderücken und deren Selbstbewusstsein stärken.
Kann die Schule da wirklich etwas bewirken? Es gibt ja seit Jahren vielfältige Förderprogramme - vom "Girls´Day" über Aktionen von Bundesländern wie der Initiative "BayFID" in Bayern bis zur "Mission MINT" des Bundesforschungsministeriums. Dennoch sind viele "frauentypische" Berufe als Ausbildungsberufe und "frauentypische" Studiengänge bei jungen Frauen immer noch hoch im Kurs.
Uta Dresch: Ja, die Schule spielt meiner Meinung nach definitiv eine Rolle dabei und kann Stereotype in Bezug auf die Berufswahl und Studiengänge aufbrechen. Schon in der Schule sollten Schülerinnen und Schüler neutral über verschiedene Berufsfelder und Studiengänge informiert werden, um sich entsprechend Ihrer Interessen und nicht aufgrund ihres Geschlechts an bestimmten Berufsfeldern zu orientieren. Lehrer sollten außerdem darauf achten, die Fähigkeiten und Interessen aller Schülerinnen und Schüler unabhängig von deren Geschlechtsidentität zu fördern, um ihr Selbstbewusstsein und ihre Motivation weiter zu stärken.
Wir sind diesbezüglich zwar schon deutlich weiter als noch vor einigen Jahren, dennoch kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass hier noch Aufholbedarf besteht: Bevor ich im vergangenen Jahr mit meiner Familie berufsbedingt in die USA gezogen bin, habe ich Schülerinnen und Schülern regelmäßig Workshops zum sicheren Agieren im Internet und Programmierkurse zu Scratch angeboten. Anhand der Reaktionen im Klassenzimmer zeigte sich, weshalb sich Mädchen teilweise bereits in jungen Jahren von dem Thema abwenden.
Im Rahmen des Projektes konnten die Kinder ihr eigenes kleines Spiel entwerfen. Die Gruppe der Jungen nahm eines der vorgegebenen Objekte (in der Regel ein Auto) und implementierte einen Parkour. Das Auto, das am schnellsten das Ziel erreichte, erhielt die meisten Punkte und gewann. Die Mädchengruppe hingegen entwarf einen Mal-Editor - sie konnten auswählen, welches Tier sie malen, Formen und Hintergründe hinzufügen sowie Farben ändern. Bedauerlich war, dass die Jungen über die Mädchen lachten, als sie deren Ergebnis sahen. Obwohl die Mädchen von dem Autorennen gelangweilt waren, wagten sie es nicht, dies kundzutun.
Erfahrungen wie diese können dazu führen, dass Mädchen schon in jungen Jahren schnell ihr Interesse am Programmieren verlieren und Schwierigkeiten haben, die nötige Portion Selbstbewusstsein zu entwickeln. Ich bin mir sicher, dass die Schule - aber natürlich auch die Eltern - hier mit bestimmten Maßnahmen gegensteuern können.
Immer wieder erhalten wir in der Redaktion Mitteilungen über weibliche Neuzugänge im Management von IT-Firmen. Schaut man dann genauer hin, sind es dann aber oft doch wieder Positionen in technikfernen Bereichen innerhalb des Unternehmens - also etwa Marketing. HR oder Finanz- und Rechtsabteilung. Ist das denn zielführend? Dürfen diese Frauen als "Frauen in der IT" mitzählen - oder müssen es wirklich Technikerinnen, Entwicklerinnen und Informatikerinnen sein?
Sabina Molka: Dadurch, dass die IT-Branche historisch von Männern dominiert wurde, ist für mich persönlich jede zusätzliche Frau, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ihre Position in einem IT-Unternehmen bekommen hat, ein Schritt in die richtige Richtung. Sie alle tragen zu dem Erfolg des IT-Unternehmens bei, in dem sie tätig sind.
Allerdings ist es wünschenswert, auch den Frauenanteil in technischen Bereichen zu erhöhen. Frauen sind hier immer noch oft unterpräsentiert. Eine größere Vielfalt im Team kann dabei nicht nur zu neuen Perspektiven, sondern auch zu einer angenehmeren Arbeitsatmosphäre und verbesserten Leistung führen.
Lässt sich rückblickend auf die Geschichte von DocuWare noch feststellen, ab welchem Anteil Frauen in der Firma nicht mehr etwas Besonderes waren, sondern einfach dazugehörten? Gibt es da einen Prozentwert - oder sind das andere "Kipppunkte" - etwa wenn bestimmte Positionen mit Frauen besetzt sind?
Sabina Molka: Für uns gehörten Frauen in der Firma von Anfang an dazu. Eine gute Frauenquote war schon immer Teil unserer Unternehmensphilosophie.
Ein Vorschlag von Ihnen, Frau Dresch - den Sie auch schon selbst in die Tat umgesetzt haben - ist ja bereits in der Schule mit mädchenorientierten Schulprojekte, zum Beispiel Programmierkursen, anzufangen. Was ist da besser: Die als freiwilliges Zusatzprogramm anzubieten oder sie verpflichtend zu machen?
Uta Dresch: Meiner Meinung nach sollte eine Kombination aus beidem angeboten werden - für Jungen und Mädchen gemeinsam. Gemischte Kurse tragen dazu bei, traditionelle Geschlechtergrenzen aufzubrechen. Getrennte Kurse hingegen sorgen eher für das Gegenteil und schaffen einen nicht vorhandenen Unterschied.
In Pflichtprogrammen sollten Schülerinnen und Schüler im Optimalfall bereits an die Thematik herangeführt werden und ein erstes Interesse daran entwickeln. In freiwilligen Zusatzkursen kann das erlangte Wissen dann vertieft werden. Eine spielerische Herangehensweise in beiden Programmen stellt sicher, dass der Spaß daran nicht verloren geht. Wichtig ist hier nur, darauf zu achten, dass die Angebotspalette möglichst breit ist, um alle Bedürfnisse und Interessensfelder zu bedienen.
Damit es im Rahmen dieser Programme nicht zu Reaktionen kommt, wie ich sie in meinem Programmierkurs erlebt habe, sollten Schulen mit entsprechendem Lehrmaterial - sowie Eltern in ihrer Erziehung - die Gleichstellung aller Geschlechtsidentitäten weiter fördern.
Als Feedback bekommen wir von IT-Firmen oft zu hören, dass sie gerne Frauen einstellen würden, sich aber halt keine bewerben. Ist da schon bei der Stellenausschreibung was falsch gelaufen? Muss man Stellen anders ausschreiben und anders rekrutieren? Muss man sich anders darstellen?
Sabina Molka: Wir achten bei uns generell auf eine geschlechtsneutrale Ausschreibung und eine entsprechende Bildsprache, die unsere vielfältige Belegschaft zeigt. Damit ist es aber nicht getan. Das Ziel, die Frauenquote zu erhöhen, muss sich in der Unternehmenskultur widerspiegeln. Wenn ein Unternehmen also explizit davon spricht, dass es Frauen rekrutieren möchte, aber nicht bereit ist, die Unternehmenskultur entsprechend auszurichten, dann wird das Unternehmen vermutlich wenig Erfolg damit haben.
Worauf wir ansonsten noch setzen, ist das Active Sourcing. Einfach abzuwarten, bis sich jemand auf eine Stelle bewirbt, ist nicht mehr ausreichend. Es ist mittlerweile essenziell, aktiv auf potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten zuzugehen - insbesondere bei Frauen. Denn nicht selten kommt es vor, dass Frauen dadurch auf Stellen angesprochen werden, auf die sie sich normalerweise vermutlich nicht beworben hätten, da sie beispielweise nicht alle erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten erfüllen. Die Herangehensweise von Männern ist da doch deutlich selbstbewusster.
Glauben Sie, dass Software-Firmen wie DocuWare es ein bisschen leichter haben, Frauen für sich zu gewinnen, als Hardware-Firmen? Oder ist das jetzt schon eine typisch männliche Frage?
Sabina Molka: Meiner Meinung nach macht hier nur die Unternehmenskultur den Unterschied und nicht, ob es sich um ein Hard- oder Software-Unternehmen handelt.
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