"Oh nein, nicht auch noch der Dörner", dachte ich neulich, nachdem ich Stephan Dörners Artikel mit dem schicksalshaften Titel "So chancenlos ist Deutschland in der digitalen Welt" gelesen hatte. Und wieder war der Mittelstand an (fast) allem Schuld.
"Der deutsche Mittelstand ist so wenig innovativ wie fast nirgendwo in Europa", heißt es in einem aktuellen Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Ganz so prekär, wie es scheint ist es zwar nicht, denn der Mittelstand ist nicht ganz untätig. Er kann diese Innovationen aber zu weniger Umsatz und Patenten machen als die europäische Konkurrenz.
Der Mittelstand muss es ausbaden
In den Diskussionen um die Digitalisierung, Datenschutz und Industrie 4.0 dienen Mittelstand und KMU immer häufiger als diffuse Strohmänner, die den etwas zähen Weg zur digitalen Wettbewerbsspitze versperren. Das liegt sicher daran, dass viele Studien offen zeigen, wie zurückhaltend Unternehmensleiter wirklich sind. Da gibt es Angst vor Veränderungen, eine abwartende Haltung sowie Unwillen, zu investieren.
Doch schaut man sich einmal die externen Gründe an, warum sich Unternehmen weigern, Hals über Kopf in die Digitalisierung einzutauchen, ergibt sich ein etwas vielschichtigeres Bild.
Die Politik redet viel und fördert wenig
Bereits 2015 platzte Götz Piwinger dabei fast schon der Kragen, denn für KMU gäbe es: "Keine Rahmenbedingungen, keine Fördergelder, keine erleichterten Kredite, keine praktische Beratung." Zumindest letzteres wird mittlerweile vom Bund angeboten, doch das aktuelle Innovationsgutachten stimmt mit ein: "Zu hohe Innovationskosten und ein zu hohes wirtschaftliches Risiko" seien in Deutschland ein Grund für die Zurückhaltung der KMU, sich digital allzu weit aus dem Fenster zu lehnen. Es gibt einfach zu wenig Förderung für Forschung & Entwicklung.
Hinzu kommt, dass digitale Kundenprozesse, E-Commerce und Online-Angebote auch nur dann fruchten, wenn die Verbindung nicht wackelt - bei dem deutschen Breitbandausbau ist das jedoch nicht wirklich garantiert.
Und wo wir schon bei den Grundlagen einer guten digitalen Innovationslandschaft sind: das Thema Datenschutz kann noch so klein geredet werden, es ist und bleibt notwendig sowohl für Unternehmen als auch die Kunden der Unternehmen. Solange es keine geltenden und vor allem aktuellen Standards gibt, bleibt das digitale Geschäft risikoreich, da aktuelle Datenschutzbestimmungen mitunter gefährlich ambivalent formuliert sind.
Anbieter verweigern die Transparenz
Wir leben in einem Informations- und Datenzeitalter und dennoch halten sich Software-Anbieter zurück, wenn es um hilfreiche Informationen bezüglich ihres Datenschutzes und Anwendungsbereichen geht.
Man möchte sich fast die Haare raufen, wenn das Kleingedruckte eines Cloud-Speichers keine konkreten Hinweise bietet, ob dort personengebundene Daten sicher und legal gelagert werden können. Man kann doch nicht von KMU erwarten, dass sie sich in der eh schon unüberschaubaren Auswahl an Möglichkeiten auch noch zahlreiche AGB und Datenschutzbestimmungen durchlesen müssen. Und das nur, nur weil die Anbieter nicht auf die Kundenwünsche von Transparenz und klaren Informationen eingehen, da sie befürchten, der Umsatz bricht ein, wenn herauskommt, dass die Software für Unternehmen ungeeignet ist.
Aller Anfang ist schwer
Und eine Lanze möchte ich noch für den Mittelstand brechen: die digitale Transformation lässt sich nicht von heute auf morgen organisieren. Alleine das Anforderungsmanagement digitaler Software-Lösungen kann ein monatelanger Prozess sein. Dies vor allem dann, wenn Firmen nicht nur Einzelbereiche in völliger Isolation digitalisieren, sondern das gesamte Unternehmen auf den digitalen Weg bringen möchten.
Da gilt es die individuellen Anforderungen, Schnittstellen und Systeme festzumachen, Software- und Infrastruktur-Lösungen zu evaluieren und alles so in die Arbeitsabläufe zu integrieren, dass nicht plötzlich alle Mitarbeiterdaten verloren gehen, nur weil eine App nicht kompatibel ist.
Zusätzlich müssen Compliance-Regelungen eingehalten werden und alle Angestellten müssen darauf vorbereitet werden - und zwar nicht nur technisch, sondern auch mental.
Das geht nun einmal nicht mit einem Fingerschnipp und das sollte den Experten, Politikern und Evangelisten klar sein.
Was macht der Mittelstand falsch?
Es stimmt, es gibt Chefetagen, die weigern sich, obwohl es eindeutig Bedarf an digitalen Lösungen gibt - etwa von Kundenseite oder durch die Mitarbeiter. Es gibt IT-Abteilungen, die aus Angst vor Outsourcing lieber den technologischen Wandel aufhalten, als ihn mitzugestalten. Und es gibt Mitarbeiter, die sich mit jeder neuen Software aufführen, als müssten sie nach Alaska ziehen und dort lernen, wie man Holzhäuser baut.
Aber der Mittelstand besteht nicht nur aus diesen Beispielen, die wir uns gerne für unsere Artikel zurechtlegen. Es ist eine heterogene Gruppe aus innovativen, altmodischen, digital versierten und technik-aversen Menschen aller Couleur. Und wenn sich dennoch ein Großteil des Mittelstandes nicht so verhält, wie man es von ihm erwartet, sollte man vielleicht nicht nur mit dem Finger auf ihn zeigen, sondern auch an anderen Stellen nach den Ursachen suchen. Denn wenn sich an den Rahmenbedingungen nichts ändert, werden wir auch in fünf Jahren noch den leidigen Satz lesen: "Deutschland verliert den digitalen Anschluss." (bw)