Grade besonders intelligente Menschen tappen mitunter in eine "Intelligenzfalle". Sie sind verleitet, ihre gefestigte Meinung zu verteidigen, statt nach Alternativen zu suchen oder offen zu bleiben für Veränderungen und Überraschungen. Das hat der britische Mediziner, Kommunikationswissenschaftler und Schriftsteller Dr. Edward de Bono schon vor Jahren beschrieben. Im Zuge der digitalen Transformation in Organsisationen und der Gesellschaft entfaltet dieses Verhalten jedoch eine besondere Sprengkraft, wenn Entscheider und Gestalter in der Intelligenzfalle sitzen.
Diese intelligenten Menschen sind Gefangene falscher Ansichten, denn sie können ihren Standpunkt gut rechtfertigen. Außerdem will ein Mensch, der sich daran gewöhnt hat, intelligenter als andere zu sein (vielleicht durchaus eine berechtigte Meinung), von seiner Intelligenz profitieren. Das geht am schnellsten und besten, wenn er andere Meinungen widerlegt. Diese Strategie bringt sofortigen Erfolg und beweist seine Überlegenheit.
Anders ausgedrückt: Konstruktiv sein lohnt sich oft gar nicht. Schließlich kann es Jahre dauern, nachzuweisen, dass eine neue Idee richtig ist. Wer kritisch und destruktiv ist, hat also mehr Spaß an seiner Intelligenz. Was der Entwickler der Kreativitätstechnik "Sechs Denkhüte", Edward de Bono, im "Management-Handbuch" Denkschule anspricht, ist auch für den Unternehmensalltag in gewissem Sinne problematisch. Nicht selten stellen sich die besten Ingenieure nach einer Beförderung als die schlechtesten Manager heraus.
Doch Veränderungen zwingen uns dazu, gewohntes Verhalten zu hinterfragen und neu hinzuzulernen. Vor allem mit der digitalen Transformation hat sich die Geschwindigkeit, in der sich Wirtschaft und Gesellschaft verändern, spürbar erhöht. Neue Technologien wie Smartphones, soziale Netzwerke, Künstliche Intelligenz und Analysen schier endloser Datenbestände erlauben völlig neue Geschäftsmodelle.
Da die Möglichkeiten dieser Technologien exponentiell steigen – und nicht linear, wie es unserer kognitiven Gewohnheit und der Erfahrung aus anderen intellektuellen Disziplinen entspricht – erscheinen uns die Veränderungen radikal.
Weil die neuen Technologien in Organisationen auch neue Rahmenbedingungen schaffen, hat sich die "Halbwertzeit" gesicherter Erkenntnisse – also dessen, was man glaubt zu wissen und was man nicht in Frage stellt – erheblich verkürzt. Dazu gehören Aspekte wie
extreme Kundennähe und Kundenzentrierung,
Agilität in der Projektdurchführung und -organisation,
Führung verteilter Teams und
Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg.
Was im Business heute noch gelebte Gewohnheit ist, kann längst schädlicher Ballast sein. In der heutigen VUCA-Geschäftswelt ist die Gefahr, in de Bono's Intelligenzfalle zu tappen, also noch viel größer als je zuvor.
Für die Unternehmensleitung lassen sich damit konkrete Handlungsanweisungen ableiten:
Versuchen Sie, ein bisschen wie ein Kind die Haltung eines Anfängers beziehungsweise Neulings zu bewahren. Im japanischen Zen spricht man von "shoshin". Lernen Sie von jungen Kolleginnen und Kollegen. Oder von Kindern aus Ihrem privaten Umfeld.
Nutzen Sie Techniken wie Design Thinking und Prototyping, um neue Ideen "gefahrlos" auszuprobieren und schnell zu erkennen, was fehlschlägt oder schiefgeht. Und haben Sie keine Scheu, Experimente dann auch zu beenden.
Nehmen Sie Ihren Mitarbeitenden die Angst vor Fehlern, die in den meisten Kulturen leider allzu tief verwurzelt ist. In einer neuen Zeit gelten neue Gesetze. Da darf man auch mal nass werden. Um Schwimmen zu lernen, muss man ins Wasser!
Führungskräfte werden normalerweise darauf getrimmt, sich schnell eine Meinung zu bilden und auch zu urteilen. In ihrem digitalen Umfeld sollten sie jedoch zurückhaltender urteilen, bis sie es auch ausprobiert haben. Es ändert sich einfach zu viel gleichzeitig.
- 1. Keine offene Kommunikation
Es wird zu wenig miteinander geredet. Führungskräfte schieben als Grund oft das Tagesgeschäft und mangelnde Zeit vor. In der Realität ist jedoch oft Unbehagen oder der Mangel an Know-how bezüglich angemessener Gesprächsführung der wahre Grund. - 2. Druck wird an Mitarbeiter weitergeleitet
Der aufgrund der anspruchsvollen Wettbewerbsbedingungen entstehende Druck schlägt ungefiltert auf die Mitarbeiter durch. Anstatt miteinander an Lösungen zu arbeiten, wird gegeneinander gearbeitet. Das fordert von allen Beteiligten sehr viel Kraft. Angemessen ist es, ressourcenschonend mit den Herausforderungen umgehen zu lernen. - 3. Zu wenig Interesse am Menschen
Führungskräfte haben meist sehr wirksame Erfolgsstrategien, die in der Zusammenarbeit mit Menschen oft nicht funktionieren. Sie sind häufig der Auffassung, alles alleine schaffen zu können. Spannungen und nichtkonstruktives Miteinander sind vorprogrammiert. Hieraus können permanente Überlastungsgefühle sowie Unzufriedenheit auf beiden Seiten resultieren, die zu Gesundheitsproblemen und möglicherweise zu innerer Kündigung führen können. Daraus resultierende wirtschaftliche Probleme sind nicht zu unterschätzen. - 4. Nicht offen für Ideen und Optimierungsvorschläge
Wenn Mitarbeiter regelmäßig auf taube Ohren stoßen, machen sie irgendwann zu und bringen sich nicht mehr ein. Resignation und innere Kündigung ist die Folge. - 5. Zu wenig Anerkennung
Regelmäßiges Lob fehlt. Vor allem Leistungsträger sehen keinen Sinn für ihre Anstrengungen, wenn ihre Leistung nicht wertgeschätzt wird. - 6. Meinung wird nicht gehört
Viele Mitarbeiter sind der Auffassung, ihre Meinungen hätten kein Gewicht. Häufig ist mangelnde Wertschätzung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter der Grund. - 7. Kein konstruktives Feedback
Jeder Beschäftigte will einen guten Job machen. Hierfür jedoch benötigt er den Vorgesetzten zur Standortbestimmung. Die dafür auch erforderliche konstruktive Kritik scheut der Vorgesetzte aber zumeist. - 8. Zu wenig Zeit für Mitarbeiter
Da Führungskräfte zu sehr mit ihren eigenen Themen und Arbeitsaufgaben beschäftigt sind, bekommen Mitarbeiter viel zu wenig Rückmeldung zu ihrer eigenen Arbeit. - 9. Persönliche Entwicklung wird nicht gefördert
Wenn sich niemand für den Menschen interessiert und dem Mitarbeiter keine persönlichen Entwicklungsziele in Aussicht gestellt werden, wird der Mensch unzufrieden. Die Folge: Er sucht nach einem passenden Job in einem anderen Unternehmen oder resigniert. Gezielte Förderung vermindert Abwanderungstendenzen erheblich. - 10. Die Aufgabe passt nicht zur Person
Menschen erzielen dann Höchstleistungen, wenn sie das machen können, was ihnen Freude macht. Das Unternehmen muss ein Umfeld aktiv bereit stellen, damit sich die Mitarbeiter entfalten und wohl fühlen können. Auch müssen die Erwartungen an den Mitarbeiter jeder Zeit klar sein.
Die digitale Transformation ist nämlich tiefgreifend, sie bringt einen epochalen Kulturwandel. Immer daran denken: Gerade die brillantesten Köpfe des Unternehmens, die am gewandtesten argumentieren oder auch am lautesten trommeln, könnten diejenigen sein, die am tiefsten "in der Denkfalle" stecken.