So gut wie jede Branche setzt große Hoffnungen in die Themen Künstliche Intelligenz (KI) und Automation - bei der Implementierung und Umsetzung hapert es allerdings häufig noch. Wie weit klaffen Ihrer Erfahrung nach diese beiden Aspekte auseinander?
Christoph Charles: Die Erfahrung in unseren Projekten hat gezeigt, dass nur ein Bruchteil der Aufwände in den eigentlichen Teil des Machine oder Deep Learnings geht. Das haben auch Forscher bei Google im letzten Jahr in einem Paper beschrieben, in dem sie feststellten, dass nur zehn Prozent des Code in einem KI-Projekt Machine Learning beinhaltet. Daneben sind Dinge wie Datenvorbereitung, Konsistenzprüfungen, Datenflusskontrolle, Datenhaltung, Monitoring, Sicherheit, uvm. umzusetzen. Diese vollständige Kette von der Datenerzeugung bis zur Integration der Ergebnisse in die Wertschöpfungskette des Kunden beherrschen nicht viele Unternehmen.
Sie haben mit Ihrem Team bei T-Systems inzwischen rund 30 AI-Projekte (Artificial Intelligence) umgesetzt. Lässt sich daraus eine Strategie-Empfehlung ableiten für Anwender, die mit dem Einsatz von KI in Ihrem Unternehmen liebäugeln? Wie sähe diese aus?
Charles: Zunächst ist es wichtig festzustellen, was die eigentliche Herausforderung ist und ob diese mit Hilfe von KI gelöst werden kann. Manchmal reichen auch klassische Verfahren, zum Beispiel solcher der mathematischen Optimierung, um bestimmte Aufgabenstellungen zu lösen.
Dann ist es wichtig herauszufinden, ob die für die Lösung des Problems notwendigen Daten vorhanden sind und ob diese auch genutzt werden können. Dabei spielen legale Regeln oder auch Unternehmensregeln eine wichtige Rolle.
Zuletzt sollte man sich darüber im Klaren sein, dass KI nicht deterministisch ist und daher auch zu unerwünschten Ergebnissen führen kann. Dazu ist es wichtig, bereits im Vorfeld klare Regeln für den Umgang mit solchen Fällen festzulegen.
Wenn diese Grundsatzfragen geklärt sind, sollte zunächst ein Proof-of-Concept durchgeführt werden, in dem überprüft wird, ob mit den vorhandenen Daten und dem gewählten Vorgehen, die gewünschten Ergebnisse erzielt werden.
Was ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie aus der Implementierung von KI- und Automation-Lösungen bei Ihren Kunden mitnehmen konnten?
Charles: KI bietet mittlerweile ein mächtiges Instrument, um Automatisierung in industriellen Prozessen zu verbessern und um besser und vor allem objektiver als ein Mensch Entscheidungshinweise geben zu können. Dabei sind allerdings eine Menge Dinge zu beachten, um nicht am Ende von den Ergebnissen enttäuscht zu werden. Das fängt ganz vorne bei den Daten und deren Qualität an und endet beim Monitoring der Ergebnisse. Und bei allem ist es wichtig, dass der Mensch ständig die Kontrolle über die KI behält.
Vertrieb und Kundenbeziehungen profitieren von KI
Auf welche Unternehmensbereiche werden KI- und Automation-Lösungen Ihrer Ansicht nach die größten Auswirkungen haben?
Charles: Im Wesentlichen sehen wir vier Bereiche, in denen KI deutliche Verbesserungen erzielen können. Zum einen ist der Einsatz von KI heute schon im Vertrieb im B2C nicht mehr wegzudenken. Dies wird auch in Zukunft verstärkt bei B2B den Vertrieb deutlich verbessern können.
Zum anderen sind besonders hohe ROIs bei Prozessen zu erzielen, die heute sehr standardisiert und datenbasiert manuell oder teilautomatisiert durchgeführt werden.
Auch die Kundenbeziehungen lassen sich wesentlich besser durch den Einsatz von KI individualisieren und tragen damit zu einer höheren Kundenbindung bei.
Zuletzt sehen wir als ganz wesentliches Einsatzgebiet für KI die Mobilität. Hier sind bereits heute komplexe Herausforderungen über multimodale Ketten hinweg sowohl in der Logistik als auch der Personenbeförderung zu lösen, bei denen KI wertvolle Hilfestellung leisten kann.
Laut einer Studie von PwC sollen bis 2030 rund 35 Prozent aller Arbeitsplätze durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz bedroht sein. Wie ist dieses Ergebnis Ihrer Ansicht nach einzuordnen?
Charles: Es ist sicherlich richtig, dass mittels KI viele standardisierte Prozesse automatisiert werden können und damit diese Arbeitsplätze entfallen. Auf der anderen Seite stellen wir auch fest, dass sich dadurch Kosten einsparen lassen, die dann in die Qualität insbesondere von Services investiert werden können. In der Folge sorgt das für Verschiebungen der Arbeiten zu mehr kundenorientieren Tätigkeiten.
Was war Ihr Kernanliegen, das Sie auf der aitomation conference adressiert haben?
Frank Litsch: Uns ist es wichtig, dass unsere Kunden über den gesamten Prozess von der ersten Idee bis hin zum sicheren und stabilen Betrieb einer Lösung einen verlässlichen Partner haben, ohne sich dabei auf bestimmte Technologien oder Hersteller festlegen zu müssen. Daher beraten und entwickeln wir unsere Lösungen unabhängig von Herstellern und suchen immer nach der effizientesten Lösung für die Herausforderung unserer Kunden.
Im Barcamp haben Sie am Beispiel des bereits realisierten AI-Projekts bei der Deutschen Bahn die grundlegenden Herausforderungen und Lösungen - speziell im Bereich Data Foundation - demonstriert. Was sind die Kernherausforderungen für die Zukunft?
Litsch: Unsere Kernherausforderungen beim Einsatz von KI sehen wir in folgenden fünf Feldern:
Fairness
Wie stellt man sicher, dass für das Training der KI die richtigen Daten genutzt werden, so dass die Entscheidungen ohne Bias durchgeführt werden?
Explainability
Die Entscheidung einer KI lässt sich bei White Box Modellen (klassische Machine Learning) entgegen Black Box Modellen (Deep Learning) nachvollziehen. Wir beschäftigen uns gerade intensiv mit Methoden zur Schaffung von Transparenz in BlackBox Modellen.
Robustness
Es muss sichergestellt sein, dass KI-Systeme zum einen keine falschen Ergebnisse erzielen und zum anderen auch kriminellen Angriffen wiederstehen.
Lineage
Es muss sichergestellt werden, dass die riesigen und komplexen Datenmengen, die für den Einsatz von KI notwendig sind, so verwaltet werden, dass Änderungen der Daten im Entwicklungs- und Betriebsprozess noch nachvollziehbar sind
Demnach sind also die Qualität der Daten, Zentralisierung, Prozesse, Datenhaltung und Performance die limitierenden Faktoren. Wie schaffen Sie es, die AI in den Edge-Bereich zu bringen - also dorthin, wo diese Daten entstehen?
Litsch: Häufig entstehen Unmengen an Daten, beispielsweise bei der Kameraüberwachung von Produktionsprozessen, die nur teilweise für die weitere Bearbeitung benötigt werden. Auch hier kann KI schon am Ort der Datenentstehung intelligent die relevanten Daten erkennen und nur diese übertragen. Je nach Anwendungsfall nutzen wir dazu ganz einfache Devices wie zum Beispiel einen Raspberry PI aber auch bei höheren Anforderungen spezielle GPU Boards.
Herausforderung: Bilderkennung in den Bereichen Wartung, Produktion und Lagerhaltung
Sie sind auf der aitomation im Rahmen eines Beispiels für Predictive Maintenance auch auf den Aspekt der Anomalie-Erkennung eingegangen. Könnten Sie uns eine kurze Zusammenfassung Ihres Workshops geben?
Charles: Im Bereich der vorausschauenden Wartung wird in der Regel versucht eine bestimmte Störung vorherzusagen. Dazu sind zum Training der KI viele Daten notwendig, die bei existierenden Ausfällen gesammelt wurden. Wir haben jedoch festgestellt, dass entweder diese Ausfälle zwar sehr teuer sind, aber nur selten vorkommen, oder keine Daten dafür vorhanden sind.
Daher haben wir ein Verfahren entwickelt, in dem wir die KI darauf trainieren, welcher der Normalzustand eines Gerätes ist und davon abweichende Muster zu erkennen. In vielen Fällen können wir damit bereits vier bis fünf Tage vor einem tatsächlichen Ausfall diesen vorhersagen, da die Anomalien sich in der Regel vor einem Ausfall langsam aufschaukeln.
Das Thema intelligente Bilderkennung verbinden viele zu allererst mit Bildern von Tieren - vorzugsweise Katzen - oder Gegenständen, die von der KI sofort erkannt und zugeordnet werden können. Es gibt aber sicherlich mächtigere Systeme, die für die Erkennung von Anomalien wesentlich ist. Können Sie dazu Beispiele nennen?
Charles: Bei unseren Kunden sind vor allem industrielle Teile und Anlagen für die Bilderkennung in der Wartung, im Produktionsprozess oder auch bei der Lagerhaltung wichtig. Diese ähneln einander viel stärker als das bei Gegenständen aus der Natur der Fall ist. Zudem ist das industrielle Umfeld für Bilderkennung immer sehr herausfordernd, da die Lichtverhältnisse sehr schwanken und Staub und andere Störmaterialien die Kameras oft beeinflussen. Hier arbeiten wir schon seit einiger Zeit an Systemen, die auch im industriellen Umfeld funktionieren.
Auf der automation Conference präsentierten Sie an Ihrem Stand auch live zwei AI-ShowCases. Um was genau handelte es sich dabei?
Litsch: Zum einen haben demonstriert, wie industrielle Teile mit Hilfe eines Smartphones korrekt identifiziert werden. Zum anderen zeigten wir unseren Prognoseautomaten, der die Ankunfts- und Abfahrtszeiten heute schon bei der Deutschen Bahn vorhersagt. Außerdem gaben wir noch weitere Use Cases an unserem Stand zum Besten.