Ivanti hat eine Übernahmevereinbarung mit Cherwell Software unterzeichnet. Der Käufer will damit sein Angebot im Bereich Enterprise Service Management ausbauen, dass er bereits in der Vergangenheit durch zahlreiche Übernahmen aufgebaut und erweitert hat. Zu den finanziellen Details der aktuellen Transaktion hat Ivanti in der Ankündigung keine Angaben gemacht.
Die Cherwell-Produkte für das IT Service Management sollen die "Neurons"-Plattform von Ivanti ergänzen. Allerdings verspricht Ivanti, sowohl die Cherwell- als auch die Ivanti-Service-Management-Plattformen weiterhin zu pflegen und in sie zu investieren. Übernommene Produkte fortzuführen, ist bei dem durch zahlreiche Übernahmen und Unternehmensfusionen im Wesentlichen aus Landesk (das unter anderem Wavelink, Shavlik und Appsense übernahm) und Heat Software (das wiederum aus der Fusion von Frontrange Solutions und Lumension Security hervorging) entstandenen Unternehmen schon Tradition. Es gelang allerdings in der Vergangenheit mal mehr und mal weniger gut.
Cherwell-Partner in Deutschland sind aktuell jedoch vorsichtig optimistisch, was die weitere Entwicklung anbelangt. Leicht getrübt wird die Erwartung unter anderem dadurch, dass Ivanti erst im Herbst 2020 für rund 870 Millionen Dollar in einem Zuge Mobile Iron und Pulse Secure übernommen hatte. Manche halten die Integrationsfähigkeiten des Unternehmens damit vorerst für ausgelastet.
Beunruhigende Signale für Cherwell-Partner
Jim Schaper, Chairman und CEO, der Anfang 2020 vom ERP-Anbieter Infor zu Ivanti kam, ist - wie zu erwarten - diesbezüglich jedoch zuversichtlich: "Die Kombination von Cherwell und Ivanti beschleunigt unsere Innovation an der Schnittstelle von Unified Endpoint Management, IT-Sicherheit und Enterprise Service Management. Die Verschmelzung unserer beiden Unternehmen mit ihren starken und komplementären Produktfähigkeiten wird das Potenzial unserer Hyper-Automatisierungsplattform für den Service aller IT-Assets und Endgeräte im gesamten Unternehmen weiter ausbauen." Gemeinsam werde man eine tiefergehende und vertikal ausgerichtete Lösung für Enterprise Service Management aufbauen.
Sam Gilliland, Chief Executive Officer bei Cherwell, ergänzt: "Mit Blick auf die Zukunft der Arbeit teilt Ivanti unsere Überzeugung, dass sichere, automatisierte Arbeitsabläufe das tägliche Leben der Mitarbeiter dramatisch verändern und verbessern können und gleichzeitig zuverlässige Geschäftsergebnisse liefern." Gilliland sieht eine wachsende Nachfrage nach solchen Lösungen im Markt.
Umso verwunderlicher ist es, dass Schaper US-Medien gegenüber bereits eine deutliche Reduktion der Anzahl der Partner angekündigt hat. Bereits vor einem Jahr hat Ivanti eine umfassende Channel-Konsolidierung in Angriff genommen. Damit wurden die Versäumnisse früherer Übernahmen aufgearbeitet. Laut Schaper wurde dadurch die Anzahl der Partner insgesamt von 6.000 auf 2.000 reduziert. Laut Schaper hatten sowohl MobileIron als auch Pulse Secure ähnliche Partnerstrukturen wie Ivanti. Bei Cherwell ist das anders, da das Unternehmen sowohl regional unterschiedliche mit dem Channel interagierte als auch im Verlauf der Zeit seinen Ansatz mehrmals änderte.
"Wir werden uns auf die Partner mit hoher Wertschöpfung konzentrieren und die Anzahl unserer Partner reduzieren", betonte er jetzt erneut. Ziel sei es, ein einheitliches Master-Channel-Programm für alle Bereiche und Regionen zu haben. Das könnte dann in Deutschland vor allem Partner treffen, die bisher nur Cherwell-Partner waren, wer zusätzlich bereits Beziehungen zu Ivanti hat, darf sich sicherer fühlen.
Die Sicht anderer Marktteilnehmer
"Wir sehen am Markt gerade zwei Trends", sagt Stephan Scheer, der beim europäischen Anbieter Efecte für da Deutschland-Geschäft verantwortlich ist. "Ein Teil der Anbieter, versucht ServiceNow nachzueifern und strebt nach Größe. Ein anderer Teil – vor allem der lang etablierten Anbieter – sieht dringenden Bedarf ihr Angebot technologisch zu aktualisieren: Automatisierung, Cloud, SaaS und die Integration von Ai ist mit alten Plattformen oft nicht ohne weiteres möglich, aber für zukunftsfähige Lösungen dringend erforderlich."
Der Kauf von Cherwell durch Ivanti ist wohl eher dem Wunsch entsprungen, mehr Präsenz am Markt zu bekommen. An Funktionen kommt dadurch wenig Neues hinzu. Allerdings könnte die Cloud-Fähigkeit interessant sein. Generell sieht Efecte-Manager Scheer die Firmen stärker gefordert, die schon länger am Markt sind: Sie hätten es oft schwer, ihre für On-Premise konzipierten Angebote in die Cloud zu bringen.
Zudem seien ihre Lösungen bei der Einrichtung in Firmen vor einigen Jahren oft hochgradig angepasst worden, aber grundsätzlich relativ starr. Änderungen ließen sich da nur schwer und mit viel Aufwand umsetzen. "Viele unserer Kunden ersetzen derzeit solche Lösungen und professionalisieren sich gleichzeitig im ITSM-Bereich, denn der Reifegrad nach dem ITIL-Modell ist oft noch gering", so Scheer. Das biete auch für Partner gute Ansatzpunkte.
Die Vielfalt am Markt sei zwar hoch, aber wegen der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten sieht Scheer auch Platz für viele Anbieter. Und nicht nur die Ablösung, auch die Koexistenz mit anderen Anbietern sei eine Option: "Wir haben schon Projekte durchgeführt, wo konzernseitig ServiceNow vorgegeben ist, für neue, agile Teilbereiche aber mehr Flexibilität gefragt ist und wir zum Zuge gekommen sind", so Scheer.
ITSM-Markt insgesamt wird interessanter
Seit im Herbst 2019 der ehemalige SAP-Chef Bill McDermott als CEO bei ServiceNow, anfing, erfährt der Markt für ITSM-Software und -Services mehr Aufmerksamkeit. Investoren wittern hier ihre Chance, wodurch eine weitere Konsolidierung wahrscheinlich ist. Möglich wären sogar Übernahmen durch "branchenfremde", etwa klassische IT-Sicherheitsfirmen, die im Zuge von Automatisierung immer komplexerer und vielfältigerer IT-Infrastrukturen die reine Erfassung und Verwaltung integrieren wollen.
Zumindest für den Großteil der Partner uninteressant geworden ist dagegen nach dem Kauf durch Broadcom in dem Umfeld CA (ComputerAssociates). Es zehrt eigentlich nur noch von einstiger Größe und teilt damit das Schicksal des ebenfalls von Broadcom übernommenen Security-Spezialisten Symantec.
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Gleichzeitig haben viele der ursprünglich auf Großkunden ausgerichteten Anbieter, die bisher nur einen kleinen Teil ihres Geschäftes über Partner abwickelten, den indirekten Vertriebsweg entdeckt, um sich breiter aufzustellen und auch künftig weiter zu wachsen. Dazu gehören zum Beispiel ServiceNow oder der europäische Anbieter Efecte. Auch der deutsche Anbieter USU Software vertreibt über eine - allerdings noch überschaubare - Anzahl recht renommierter Partner
Dazu gehörte auch Ivanti, dessen neuer Deutschland-Chef Karl Werner nach Stationen beim Datenbankspezialisten Crate.io,als Leiter des Partnergeschäfts bei Workday und dem Business-Intelligence-Spezialisten Qlik zu Ivanti kam und sich fest vorgenommen hat, den Partnerkanal auszubauen. Außerdem will er die Marktposition von Ivanti in den Marktsegmenten "UEM" (Unified Endpoint Management) und "ESM" (Enterprise Service Management) festigen. Da dürfte die Cherwell-Übernahme willkommene Unterstützung bieten.
Cherwell laut Analysten eine echte Verstärkung für Ivanti
Stärkere Hinwendung zum Channel hatte sich aber auch Cherwell auf die Fahnen geschrieben. Den ersten Anlauf machte das Unternehmen bereits 2016. Ein weiterer Anlauf erfolgte 2019 mit der Ernennung von Oliver Krebs zum EMEA-Chef und noch im November 2020 ging Cherwell mit einem neuen Programm ausdrücklich auf Managed Service Provider zu.
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Wie sich diese Initiative unter dem neuen Besitzer weiterentwickelt, ist noch offen. Wahrscheinlich wird sie jedoch mit dem bestehenden MSP-Programm von Ivanti zusammengeführt, an dem sich in Deutschland rund 80 Partner beteiligen, darunter unter anderem Bechtle, Cancom, Comparex, Computacenter, Insight, Magelan, MSG, Software One, SVA und Vintin.
Mit dem Kauf von Cherwell kommt auch Vertriebskompetenz im Mittelstand dazu. Denn die Analysten von Forrester haben das Unternehmen gerade für seine klare Ausrichtung auf ESM für den Mittelstand gelobt und dem in Besitz des Investors KKR befindlichen Unternehmen ein starkes Wachstum bescheinigt. Unter anderem habe die Verfügbarkeit über den AWS Marketplace einerseits die Einstiegshürde für Kunden gesenkt, sie sei andererseits aber auch ein Vertrauensbeweis für den Anbieter und erhöhe dessen Glaubwürdigkeit im Mittelstand. Positiv hob Forrester auch die Low-code/No-code-Entwicklungs-Plattform von Cherwell sowie die Integrationsmöglichkeiten mit Cloud Providern hervor.
Unterm Strich sei Cherwell trotz Fehlens einiger Enterprise-Funktionen eine gute Wahl für mittelständische Unternehmen, die nach einer ESM-Lösung suchen, so Forrester. Gleichzeitig stuften die Analysten in ihrer Marktübersicht für Enterprise Service Management sowohl was den Umfang des Angebots, die Präsenz im Markt als auch die strategische Positionierung anbelangt, Cherwell jeweils deutlich besser als Ivanti ein. Das kann sich also mit der Übernahme tatsächlich spürbar verstärken und zu Mitbewerbern wie Axios, Micro Focus, BMC Software, USU Software und ServiceNow aufschließen. Angesichts der Äußerungen von CEO Schaper ist allerdings die Frage, wie die Partner davon profitieren.
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