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Zeig mir dein Gesicht - und ich sag dir, wie du bist ...

24.08.2009
Ob man von der Physiognomie auf die Persönlichkeit schließen kann, untersucht Kurt-Georg Scheible.

Ein Bewerber betritt das Büro eines Personalleiters. Die beiden blicken einander kurz an. Und schon hat der Personaler eine Vorstellung davon, ob der Bewerber ein interessanter Kandidat sein könnte.
Ein Verkäufer besucht einen potenziellen Neukunden. Die beiden Personen laufen aufeinander zu. Und schon sagt dem Vertriebler eine innere Stimme: Bei diesem Kunden kann ich am ehesten mit sachlichen Argumenten punkten.
Ein Firmenchef begegnet bei einem Stehempfang einem Unternehmensberater. Sie nicken sich zu. Und schon schießt dem Unternehmer der Gedanke durch den Kopf: Das ist ein harter Knochen.

Das Besondere an den geschilderten Situationen: In ihnen wurde kein Wort gewechselt und trotzdem entstand bei den beteiligten Personen jeweils ein Bild vom Gegenüber. Ähnliches erleben wir im Alltag immer wieder. Wir treffen eine Person und noch ehe ein Wort gewechselt wurde, haben wir eine Vorstellung davon, wie unser Gegenüber "tickt". Doch nicht nur hiervon. Auch davon, ob wir einen Draht zu der Person finden - ob also die "Chemie" stimmt. Und bestätigt sich diese Vermutung im Nachhinein, dann sagen wir oft mit einem gewissen Stolz: "Das habe ich geahnt. Ich hatte dafür einen Riecher."

Wir ticken nicht so rational, wie wir gern glauben

Vermutlich haben Sie sich, wenn Sie solche Situationen erlebten, schon oft gefragt: Wie ist das möglich? Denn dass uns im menschlichen Miteinander vielfach sozusagen unsere "Instinkte" leiten, das entspricht nicht unserem Selbstbild. Schon eher geben wir uns der Illusion hin, dass wir aufgrund unserer Erfahrung andere Personen richtig einschätzen können - zum Beispiel wenn wir ihnen erstmals begegnen.

Dann scannen unsere Augen sozusagen unser Gegenüber und anhand solcher Faktoren wie Kleidung, Gang und Körperhaltung, aber auch Mimik und Gestik machen wir uns in Sekundenbruchteilen ein erstes Bild von der Person. Und zwar automatisch - unabhängig davon, ob wir dies wollen oder nicht. Denn unsere Nerven leiten unsere Sinneswahrnehmungen an unser Gehirn weiter. Dort werden sie vom sogenannten limbischen System zunächst anhand der in ihm gespeicherten Bilder und Erfahrungen, eingeordnet und bewertet. Erst danach werden sie als Information verknüpft mit der entsprechenden Emotion an unser Großhirn weitergeleitet und gelangen in unser Bewusstsein.

Dass diese mentalen Be- und Verarbeitungsprozesse in uns ablaufen, darüber ist sich die Wissenschaft weitgehend einig. Und dies zu wissen, ist für uns wichtig - unter anderem damit wir nicht der Illusion erliegen, wir würden uns unsere Meinung über andere Menschen so frei und rational bilden wie wir oft glauben. Das Gegenteil ist der Fall! Wir treten allen Menschen, denen wir begegnen, mit einem Vor-Urteil gegenüber. Und das ist nicht schlimm. Solange wir uns dessen bewusst und bereit sind, unser Vor-Urteil gegebenenfalls zu korrigieren. Ist dies der Fall, dient unser Vor-Urteil nur der ersten Orientierung: Welches Verhalten ist in dieser Situation angepasst?

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