Der Krisenmodus wird zur neuen Normalität, stellte Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) zum Auftakt der diesjährigen Jahreskonferenz am 11. Oktober in Leipzig fest. Digitalisierung, Transformation, Zeitenwende - diese Begriffe beschrieben die Rahmenbedingungen, mit denen SAP-Anwender derzeit umgehen müssten. Der Erfolg hänge davon ab, wie gut Unternehmen mit diesen Veränderungen Schritt halten könnten.
"Die Wunschliste hat etwas von Weihnachten"
Laut einer DSAG-Umfrage scheint das den meisten SAP-Anwendern zu gelingen. 85 Prozent der über 400 befragten DSAG-Mitglieder geben an, einigermaßen (71 Prozent) oder sogar problemlos (14 Prozent) mit den anstehenden Veränderungen mithalten zu können. Entscheidend dafür seien qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ausreichende Ressourcen, Flexibilität in der Organisation und kurze Entscheidungswege. Außerdem müsse das Management den Willen zur Veränderung tragen.
Damit die Betriebe nicht den Anschluss verlören, müssten die IT-Abteilungen und -Landschaften entsprechend angepasst werden, so die DSAG-Verantwortlichen. Hier sind aus Sicht der Anwendervertreter auch die Softwareanbieter gefordert. "Für alle Anbieter lässt sich die klare Anforderung festhalten, ihre Kundinnen und Kunden mit zukunftssicheren Lösungen zu unterstützen, um sie angemessen in die vernetzte Welt begleiten zu können", beschrieb Hungershausen den Anspruch der SAP-Kunden.
Die Wunschliste an die Herstellerseite ist lang. Sie umfasst:
transparente, flexible und skalierbare Cloud-Verträge,
klare und verbindliche Roadmaps für Cloud-Lösungen,
die Stärkung heterogener Landschaften mit entsprechenden Betriebsmodellen für SAP- und Non-SAP,
optimierten Schnittstellen und
transparente und planungssichere Lizenz- und Wartungsmodelle.
"Diese Wunschliste hat etwas von Weihnachten", kommentierte der virtuell zugeschaltete SAP-CEO Christian Klein mit einem Schmunzeln. Der Manager ließ keinen Zweifel daran, wohin der Weg aus seiner Sicht führt: in die Cloud nämlich. Man werde keinen Kunden zurücklassen, sagte Klein und beteuerte: "Ich bin davon überzeugt, dass die Cloud Vorteile bietet."
Dem können viele SAP-Anwender allenfalls eingeschränkt zustimmen. Insgesamt 93 Prozent der Befragten erklären in der DSAG-Umfrage, On-Premises-Lösungen von SAP hätten für sie weiter eine hohe oder sehr hohe Bedeutung. Von SAPs Cloud-Lösungen sagen das lediglich 42 Prozent. Zwar glauben auch SAPs Kunden, dass die Relevanz der Cloud in den kommenden Jahren stark steigen wird. Doch 85 Prozent sagen eben auch, dass ihre On-Premises-Lösungen von SAP weiter eine wichtige Bedeutung für ihre IT-Landschaft hätten.
"Die Bedeutung von On-Premises-Lösungen wird insgesamt abnehmen, aber dennoch auf einem hohen Niveau verharren", sagte Hungershausen. Die Zukunft werde hybrid aussehen. "Die SAP-Welt wird bunter, die Komplexität größer", prognostizierte der DSAG-Chef. Umso wichtiger sei es, dass die Unternehmen mit durchgängigen und bezahlbaren Szenarien auf der Basis adäquater Lizenz- und Datenmodelle sowie Prozesse unterstützt würden.
Anwender wollen an die Hand genommen werden
Mit Blick auf die hybriden Landschaften bedürfe es klarer Modelle für die Integration und den Betrieb, forderte Hungershausen. Dabei müssten die Cloud-Hyperscaler mit einbezogen werden. "Durch neue SAP-Lösungen und Hybrid-Ansätze darf kein Prozess-Vakuum entstehen", mahnte der DSAG-Mann. Hier sei es wichtig, dass SAP dazu beitrage, eine solche Entwicklung zu verhindern.
Der für die Produktentwicklung verantwortliche SAP-Vorstand Thomas Saueressig verwies auf die strategischen Partnerschaften des deutschen Softwarehauses mit Amazon Web Services (AWS), Microsoft und Google Cloud. SAP setze auf ein Co-Engineering mit den Hyperscalern, um solche Lücken erst gar nicht aufreißen zu lassen.
Doch auch für Saueressig führt kein Weg an der Cloud vorbei. Dort liege der Innovationsschwerpunkt von SAP. Der Manager kündigte für das kommende Jahr ein wichtiges "Anchor-Release" von S/4HANA an. Darauf aufbauend soll es dann alle zwei Jahre ein neues Major-Release und halbjährlich kleinere Innovations-Releases geben.
Für das Management hybrider IT-Landschaften brachte Saueressig das neue Cloud Application Lifecycle Management (ALM) ins Spiel. Das Tool biete Anwendern ein Monitoring ihrer Integrationsszenarien über Prozessketten hinweg. Das umfasse sämtliche Aspekte: das Modellieren, Orchestrieren und Optimieren von Geschäftsabläufen. Der SAP-Manager verwies außerdem auf das neue User Interface "Horizon", eine Weiterentwicklung von Fiori. Es soll sukzessive über sämtliche SAP-Lösungen in der Cloud ausgerollt werden und Anwendern eine konsistente User Experience bieten. Über kurz oder lang soll Cloud ALM den Solution Manager von SAP ablösen.
SAPs Preiserhöhungen kommen zur Unzeit
Saueressig ermutigte die SAP-Klientel, in Sachen Digitalisierung und Transformation voranzugehen. "Zögern und Zaudern hilft nicht." Der Manager versprach seinen Kunden, ein verlässlicher Partner zu sein. SAP biete heute viel mehr als nur ERP. Saueressig pochte auf das breite Angebotsportfolio rund um Themen wie Business Network und Supply Chain, Human Capital Management und Customer Experience (CX).
Auch wenn alle Beteiligten im Jubiläumsjahr - SAP ist 50 Jahre im Geschäft, die DSAG seit 25 Jahren aktiv - auf Harmonie bedacht waren, klangen an der einen oder anderen Stelle doch auch Dissonanzen durch. Die von SAP angekündigten Preissteigerungen in der Cloud und für die Wartung stoßen einigen Unternehmen gerade in den aktuell wirtschaftlich schwierigen Zeiten sauer auf. Hungershausen schließt nicht aus, dass manche Unternehmen angesichts der Krise ihre SAP-Projekte erst einmal auf Eis legen werden.