V. Reaktionsmöglichkeiten des Abgemahnten bei unberechtigter Abmahnung
1. Keine Reaktion
Ist die Abmahnung unberechtigt, muss der Abgemahnte den Abmahner darüber nicht aufklären, sondern kann diesen in eine (aussichtslose) gerichtliche Auseinandersetzung laufen lassen. Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn der Abgemahnte den Anschein eines Verstoßes gesetzt hat.
Nicht immer kann sich der Abgemahnte allerdings darauf verlassen, dass auch das Gericht, welches der Abmahner auf sein Schweigen hin mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung anrufen wird, die (vermeintliche) Aussichtslosigkeit des Unterlassungsbegehrens erkennt. Dann droht der Erlass einer einstweiligen Verfügung, die erst mühsam wieder per Widerspruch aus der Welt geschafft werden muss und bis dahin den Geschäftsbetrieb des Abgemahnten zu behindern oder gar lahmzulegen droht. Nicht auf eine unberechtigte Abmahnung zu reagieren, dürfte daher selten ratsam sein.
2. Negative Feststellungsklage
Wer zu Unrecht abgemahnt wurde, muss dies nicht tatenlos hinnehmen - insbesondere dann nicht, wenn der Abmahner inzwischen erkannt hat, dass seine Abmahnung unberechtigt war und von einer weiteren Verfolgung seines angeblichen Unterlassungsanspruchs Abstand nimmt. Der Abgemahnte kann dann seinerseits auf Feststellung klagen, dass sich der Abmahner zu Unrecht des Bestehens eines Unterlassungsanspruchs berühmt (sog. negative Feststellungsklage).
3. Gegenabmahnung
Der Abgemahnte muss vor Erhebung einer negativen Feststellungsklage grundsätzlich keine Gegenabmahnung aussprechen, mit der er den Abmahner dazu auffordert, auf den zu
Unrecht geltend gemachten Unterlassungsanspruch zu verzichten. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn davon auszugehen ist, dass der Abmahner auf die Gegenabmahnung hin seinen Anspruch fallen lassen wird, z. B. weil er irrtümlich von einem falschen Sachverhalt ausgegangen war.
4. Hinterlegung einer Schutzschrift
Um eine einstweilige Verfügung zu vermeiden, kann der Abgemahnte bei dem Gericht, das der Abmahner voraussichtlich angehen wird, eine sogenannte Schutzschrift hinterlegen. Darin schildert der Abgemahnte vorsorglich seine Sicht der Sach- und Rechtslage in der Hoffnung, das Gericht werde sich davon überzeugen lassen und eine einstweilige Verfügung zumindest nicht ohne vorherige mündliche Verhandlung erlassen. Nicht selten ist diese Hoffnung allerdings vergeblich und die einstweilige Verfügung wird trotz Vorliegens einer Schutzschrift erlassen.
Bei Rechtsverletzungen, die (auch) im Internet begangen wurden, kommt ein weiteres Problem hinzu. Bei derartigen Streitigkeiten gilt nämlich in der Regel der sog. fliegende Gerichtsstand. Das bedeutet, der Abmahnende kann seinen Anspruch an jedem Ort verfolgen, an dem sich die Rechtsverletzung ausgewirkt hat, also bei Internetdelikten grundsätzlich vor jedem der mehr als 100 deutschen Landgerichte. Um sicherzugehen, müsste daher auch bei jedem dieser Gerichte eine Schutzschrift hinterlegt werden.
Dieses Problem wird allerdings dadurch etwas abgemildert, dass üblicherweise nur diejenigen Gerichte angerufen werden, die über besondere Erfahrung in Wettbewerbs- und Markenstreitigkeiten verfügen. Welche Gerichte dies sind, ist spezialisierten Anwälten bekannt, so dass sich die Auswahl der Orte für die Hinterlegung einer Schutzschrift meistens auf eine überschaubare Zahl beschränken dürfte.
Daneben besteht die Möglichkeit, eine Schutzschrift elektronisch im sog. "Zentralen Schutzschriftenregister" unter https://www.schutzschriftenregister.de/Default.aspx zu hinterlegen.
Nicht alle Gerichte machen allerdings von dieser bislang nicht obligatorischen Möglichkeit Gebrauch, die etwaige Hinterlegung einer Schutzschrift im Zentralen Schutzschriftregister abzufragen, so dass dieses Register bislang nur von beschränktem Nutzen ist. Mit Wirkung zum 1.1.2016 wird allerdings durch §§ 945a, 945b ZPO n. F. eine zentrales länderübergreifendes Schutzschriftenregister eingeführt, in dem die Gerichte nach Eingang eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach einer eventuellen Schutzschrift recherchieren müssen. Dies wird zu einer wesentlichen Vereinfachung der Schutzschrifthinterlegung führen.
5. Schadenersatz
Ist eine urheberrechtliche Abmahnung unberechtigt/unwirksam, kann der Abgemahnte vom Abmahnenden grundsätzlich Ersatz der für die Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen verlangen (§ 97a Abs. 4 UrhG). Gleiches gilt im Falle rechtsmissbräuchlicher wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen (§ 8 Abs. 4 Satz 2 UWG). Auch darüber hinaus kommen bei unberechtigten Abmahnungen Schadenersatzansprüche des Abgemahnten in Betracht, die aber ein schuldhaftes Verhalten des Abmahnenden voraussetzen, an dem es häufig fehlen wird.
Es besteht also keineswegs ein Automatismus, wonach jede unberechtigte Abmahnung auch Schadenersatzansprüche auslöst. Anderenfalls würde das grundsätzlich sinnvolle Instrument der Abmahnung weitgehend entwertet.