Halle 16 war sicherlich das diesjährige Cebit-Highlight. Hier kamen nicht nur 50 wirklich interessante Analytics Startups in einem hippen Ambiente zusammen. Nein, der von Vollblut-Unternehmer Ulrich Dietz initiierte Gründungswettbewerb code_n war ein zentraler Knotenpunkt für den Austausch von Konzernentscheidern, IT-Managern und Startup-Unternehmern. Definitiv ein sehr gelungenes Beispiel für die neue Gründungskultur, die Teile der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft durchzieht.
Startups schmücken Image und Innovation
Startup ist hip. Anders kann man es nicht formulieren. So kündigte die Regierungskoalition auf der Cebit ihre digitale Agenda an - mit starkem Startup-Fokus. Kein großes IT-Unternehmen, das sich nicht eigene Venture- und Accelerator-Programme leistet. Auch für die Medien machen die frischen, gut gelaunten Gründerinnen und Gründer deutlich mehr her als der ein oder andere innovationsmüde Integrationspartner. Also auf nach Gründerland!
Doch betrachtet man die letzten 12 Monate im Rückblick und einige empirische Befunde, muss man konstatieren, dass die Stimmung deutlich besser als die wirkliche Lage ist. So mussten in der Startup-Vorzeigemetropole Berlin viele der hippen Inkubatoren und Seed-Fonds Beteiligungen vor die Tür setzen und ihre Beteiligungsstrategien neu ausrichten. Laut einer vom BITKOM in Auftrag gegebenen repräsentativen Studie des Instituts Aris, können gerade mal die Hälfte der Deutschen mit dem Begriff "Startup" überhaupt etwas anfangen. In wirtschaftlich guten Zeiten arbeitet die Mehrheit der top qualifizierten immer noch lieber für BMW, Linde & Co als für kleine IT- und Technologie-Startups. Wie ist es also wirklich bestellt, um die Startup-Kultur in Deutschland? Crisp Research schätzt die Lage in Bezug auf die IT-Branche folgendermaßen ein:
Bestandsaufnahme - IT-Branche meets Startup
1) Startup-Speed-Dating - die neue Liebe der Tech-Giganten zur Start-Up Welt:
Microsoft, SAP, GFT, Salesforce - die Liste ließe sich noch deutlich verlängern. Große IT-Firmen suchen in den letzten zwei Jahren verstärkt die Nähe zu Startups. Denn diese liefern was viele ihrer klassischen ISV- und Integrationspartner bislang nicht beigebracht haben - neue Cloud- und Analytics-basierte Dienste und Services. Viele der klassischen Partner (Integratoren, Systemhäuser, ISVs) haben die Innovationen der letzten Jahre und die neuen Plattformen der großen Technologieanbieter (IaaS, PaaS, Analytics...) links liegen lassen, getreu dem Motto - erst einmal abwarten. Das stellt Microsoft, SAP & Co vor erhebliche Probleme. Denn deren Kunden wollen Use Cases sehen und Innovationen zum Anfassen. Startups sollen also die Innovationslücke füllen, die die Anbieter und ihre Partner haben aufreißen lassen.
2) Value Add von IT-Startups - Neue Ideen aber keine Marktdurchdringung:
Die Ausweitung der Partnerprogramme auf Startups und die Fokussierung auf deren neue Services ist erst einmal positiv zu werten und bietet beiden Seiten Vorteile. So erhalten die IT-Majors Zugang zu neuen Ideen und Use Cases. Hinzu kommen die Pluspunkte auf der Image-Seite. Die Startups hingegen profitieren vom Netzwerk der IT-Majors und dem Presse-Coverage gemeinsamer Marketingaktionen.
Doch was viele IT-Majors deutlich überschätzen sind Anzahl und Umsatzpotenzial ihrer neuen Startup-Partner. Denn die Vernachlässigung des Themas in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass nur wenige Startups über die Strukturen und Netzwerke verfügen, um schnell wachsende und marktrelevante Akteure zu werden. Vielfach fehlen etablierte Partnerschaften. Wachstum in der Series A-, B- oder C-Finanzierung kann in Deutschland nur in Einzelfällen sichergestellt werden. Viele Startups - gerade wenn es nicht um Consumer-Märkte geht - "verdursten" kapitalseitig auf dem Weg von der Start- in die Wachstumsphase. Somit kann vielfach auch kein erfahrenes Management an Bord geholt werden, das für eine Etablierung und Stabilisierung aber unbedingt notwendig ist. Man muss daher das Fazit ziehen, dass die meisten Partnerschaften mit Startups für die IT-Majors zwar neue Ideen - aber nur wenige Umsätze bringen werden. Eine Kompensation des klassischen Partner-Business ist unter aktuellen Rahmenbedingungen nicht zu erwarten.
3) CIOs kaufen nicht von Startups - Der gordische Knoten:
Das Kernproblem liegt aber an anderer Stelle. Denn noch können Startups sich so gut aufstellen wie sie möchten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Lösung beziehungsweise ihren Service an IT-Entscheider in deutschen Unternehmen verkaufen, ist sehr gering. Hier sorgen ein rigides Risiko-Management und die starke Ausrichtung des IT-Betriebs und der Unternehmensprozesse an Compliance-Richtlinien dafür, dass Startups nahezu chancenlos sind. Die aufgefeilten Anforderungen deutscher Konzerne oder Mittelstandsunternehmen sind eine Hürde, die Startups mit ihren innovativen und flexiblen Lösungen derzeit nur selten überwinden können.
Hier hilft es auch nicht weiter, dass einige Beratungsunternehmen den modernen CIO schon als Venture Capitalisten sehen, wie kürzlich von Deloitte publiziert. Das ist weder erforderlich, noch wünschenswert. Denn Venture Capital ist ein Hochrisikogeschäft. Sieben von zehn Deals schlagen fehl. Eine solche Strategie ist für Unternehmens-CIO, die kritische Infrastrukturen und Prozesse betreiben, absolut unvertretbar - auch wenn etwas mehr Aufgeschlossenheit gegenüber innovativen Lösungen natürlich wünschenswert wäre.
CIOs sind keine Venture Capitalisten
Hier müssen sich Unternehmen und Politik ernsthaft fragen, ob und wie man diese Situation auflösen kann. Auch wenn die Produkte der Startups den etablierten Alternativen häufig deutlich überlegen sind, halten sich IT-Entscheider lieber an die goldene Regel, dass für den Kauf von IBM-Produkten noch niemand gefeuert wurde. In diesem Kontext sollte sich die Politik auch sehr gut überlegen, wie ein potenzielles deutsches "IT-Sicherheitsgesetz" wirken würde. Sollten die Hürden für den Kauf von IT-Lösungen und -Diensten noch höher gelegt werden, werden viele Startups keine Geschäfte mit deutschen Anwenderkunden mehr machen können - und sich in der Folge wohl lieber gleich auf ausländische Märkte konzentrieren.
Nach Einschätzungen von Crisp Research liegt der Anteil des IT-Budgets, das deutsche Unternehmen in 2014 in Lösungen und Services von Startups beziehungsweise jungen Technologiefirmen stecken bei weniger als 1,5 Prozent. (jha)