Die Rolle der IT-Branche in einer Industrie 4.0
CW: Dann dürften sich in der Industrie zwei getrennte Welten voneinander entwickeln. Eine, die Systeme für die offenen IT-Lösungen bereitstellt, in der die klassischen IT-Anbieter eine Rolle spielen. Eine andere, in der die Produktionsfirmen und ihrer Ausstatter die Maschinen um IT ergänzen.
Kagermann: Ja, so ist es. Es wird weiterhin unterschiedliche Geschäftsmodelle geben. Es wird Schichten geben, in denen Produkte entwickelt werden, die etwa App-fähig sind und als Betaprojekt in den Markt entlassen werden. Aber in den unteren Schichten im Maschinenpark wird es so etwas nicht geben.
CW: Erwarten sie also gar nicht, dass klassische Firmen wie IBM, SAP und Co. sich Richtung Shop-Floor-IT entwickeln.
Kagermann: Ich vermute, dass sie ausgehend von ihren angestammten Geschäftsfeldern mit der klassischen IT die Integration der industriellen IT vorantreiben werden. Die Ausstatter und Hersteller von Industrieanlagen werden sich umgekehrt nicht in den Markt für ERP-Systeme vorarbeiten.
CW: Warum glauben Sie das?
Kagermann: Weil es drei unterschiedliche Integrationsrichtungen in einer vernetzten Industrie gibt.
Die Horizontale, also die Integration auf der Ebene ERP, CRM etc., stellt die dynamischen Wertschöpfungsnetzwerke bereit, so dass sich beispielweise Prozesse ad hoc neu adjustieren lassen. Das kann man mit den heutigen Lösungen noch nicht. Das werden die Hersteller aber hinkriegen, etwa über automatisiertes Contracting und Agenten.
Die vertikale Integration, umfasst die besprochenen drei Schichten einer Industrie 4.0. Bislang habe ich von keinem Hersteller gehört, der alle drei Schichten beherrschen möchte. Hier dreht sich alles um die wesentliche Frage: Wie können wir zusammenarbeiten?
Die dritte Integrationsrichtung streben Unternehmen wie Siemens an: Man möchte das Engineering von Ende zu Ende durchgängig gestalten. Produktdesign und das Produktions-Engineering sollen immer Hand in Hand gehen. Wenn ein Hersteller ein Produkt entwirft, entwickelt er zugleich das Produktionsverfahren mit. Daran haben Hersteller wie Siemens ein großes Interesse, weil heutige Werkzeuge, Daten und Abläufe nicht kompatibel sind. Es gibt Medienbrüche und Sprünge.
CW: Die Rahmenbedingungen von Industrie 4.0 werden stark von Verbänden und Herstellern vorangetrieben. Sind Firmen eingebunden, die eigene Industrie-4.0-Produktionsanlagen betreiben?
Kagermann: Ja, und die ersten Fabriken sind schon in Betrieb, etwa bei Wittenstein, einem mittelständischen Hersteller von hochpräzisen Antrieben und Getrieben.
Wittenstein hat damit eine nachhaltige Fabrik gebaut, in der der Verbrauch von Energie und Ressourcen deutlich reduziert werden konnten.
Die Entwicklung wird zweigleisig verlaufen: Einige Anwender werden neue Fabriken aufbauen, andere werden neue Anwendungsfälle in vorhandene Installationen integrieren. Letzterer Fall hält besondere Herausforderungen in der Migration und in der Sicherheit bereit, die gelöst werden müssen. Hier streben die Unternehmen häufig eine verbesserte Wartung der Maschinen an, die aufgrund der Analyse der Maschinendaten vorausschauend erfolgen und damit die Standzeiten reduzieren kann. Man kann die Daten aus einer vernetzten Fertigung auch für ein besseres Energie-Management verwenden, um etwa eine effiziente Start-Stopp-Automatik in der Produktion einzuführen, wie wir es von Autos kennen.
In der Logistik lässt sich durch den RFID-Einsatz die Zahl der Paletten und Fehlerquellen reduzieren. Es gibt Erhebungen, wonach die konsequente Nutzung von RFID in der Retail-Branche die vorhandenen Ressourcen so entlasten kann, dass acht Milliarden Euro Mehrumsatz pro Jahr möglich sind.