Henning Kagermann, acatech

Industrie 4.0 schafft ein unvorhersehbares Umfeld



Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.

Industrie 4.0 hat keine menschenleeren Fertigungshallen zum Ziel

CW: Es besteht ja eine gewisse Furcht der Arbeitnehmer in der Produktion vor menschenleeren Fabrikhallen. Wie sieht denn in einer Industrie 4.0 die Rollenbeschreibung der Mitarbeiter aus?

Kagermann: Die Fertigungsstätten werden nicht menschenleer sein. In den 80iger Jahren gab es die CIM-Initiativen, die sehr zentralistisch angelegt waren und tatsächlich dieses Ziel verfolgten. Das gilt heute nicht mehr.

Bei uns ist der Mensch Teil der dezentralen, sich selbst organisierenden Industrie 4.0. Der Mensch gibt den Takt vor, nicht die Maschinen, weil die sich selbst organisierende Produktion die Arbeiten dorthin verschiebt, wo Kapazitäten frei sind. Das ist der Unterschied zu früheren Ansätzen, wenngleich sich die Arbeit ändern wird.

In den nächsten Dekaden werden die Maschinen nicht die Flexibilität erreichen, die im Kurzzeitbereich erforderlich ist. Man benötigt die Erfahrung der Menschen ganz stark. Es wird aber weniger angelernte Kräfte, dafür mehr Leute geben, die Integrationsbrücken überdenken, Entscheidungen fällen, vorbereiten, integrieren, planen usw. Das ähnelt der Entwicklung im Büro, wo sehr standardisierte Tätigkeiten entfallen sind, aber neue Jobs geschaffen wurden.

Klar ist, dass sich Arbeitsinhalte ändern werden. Mitarbeiter werden nicht einmalig angelernt, damit sie jahrelang die gleichen Aufgaben erledigen. Ihnen wird ein hohes Maß an Flexibilität abverlangt. Dafür sind neue Lernhilfen erforderlich. Das können Assistenzsysteme wie zum Beispiel Smart Glasses sein. Außerdem glaube ich an eine Renaissance von E-Learning.

Mit Werkzeugen wie Tablets und Datenbrillen werden die Mitarbeiter in die digitale Welt integriert. Damit lässt sich jeder Schritt, jeder Aufenthaltsort, jede Tätigkeit genau erfassen. Wenn man ehrlich ist, werden Arbeitsprozesse und Mitarbeiter transparenter. Das ist die Sorge der Gewerkschaften. Diese Bedenken muss man ernstnehmen und gemeinsam damit umgehen. Das kann man nicht ignorieren.

Mit den Daten kann man aber nicht nur Bedenkliches anstellen, man kann sie auch im positiven Sinne für die Mitarbeiter einsetzen, etwa um die Arbeitsbelastung besser zu regulieren. Zu viel Belastung ist nicht gut, zu wenig aber auch nicht.

Ich stoße schon auf Skepsis, wenn ich mit dieser Idee komme. Ich bin aber überzeugt, dass die Integration des Menschen in die digitale Welt etwas Positives hat.

Zur Startseite