CW: Das Thema Industrie 4.0 gilt als wichtig für den Standort Deutschland und wird vor allem von Herstellern sowie Forschungseinrichtungen vorangetrieben. Fehlt Ihnen der Rückhalt aus der Politik?
Kagermann: Nein, der ist da. Man sollte auch noch mal klar stellen, wo die Initiative entstanden ist. Es gibt eine sogenannte Forschungsunion, das ist ein Instrument der Politik, um die High-Tech-Strategie umzusetzen. Diese Union setzt sich aus Repräsentanten der Wirtschaft, der Forschung und der Gewerkschaften zusammen. Die von mir geleitete Gruppe Digitale Wirtschaft und Gesellschaft hatte die Aufgabe, Zukunftsprojekte zu identifizieren, und daraus entstand als eine der ersten Initiativen das Thema Industrie 4.0.
Acatech hat in der Folge die Arbeitskreise organisiert, aus denen die Plattform Industrie 4.0 hervorgegangen ist. In dem Arbeitskreis engagierten sich Firmenvertreter, Gewerkschaftler und Wissenschaftler. Gemeinsam haben wir die Handlungsempfehlungen geschrieben.
Der Auslöser ist also die Politik gewesen, und sie ist auch weiter mit an Bord. Der Begriff Industrie 4.0 steht sogar im Koalitionsvertrag.
- Henning Kagermann
Als SAP-CEO, aber auch als Präsident von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, hat Prof. Henning Kagermann zahlreiche Prominente aus Wirtschaft und Politik getroffen. Wir haben in unserem Bildarchiv gesucht und gefunden. - 1995: Rudolph Scharping, damals SPD-Vorsitzender
- 1996 mit Bill Gates
- CeBIT 1998 mit Erwin Teufel
Teufel war damals Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg - CeBIT 1998 mit dem ehemalige Samsung-CEO Namgung
- 1998 mit dem Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt
- 1999: Ex-Bundespräsident Roman Herzog
- CeBIT 2002: Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder
- CeBIT 2009: Arnold Schwarzenegger und Angela Merkel
Schwarzenegger war damals Gouverneur vom CeBIT-Partnerland Kalifornien.
(siehe auch Henning Kagermann im Porträt)
CW: Hat die Politik dazu beigetragen, Kontrahenten im Sinne des Fortschritts an einen Tisch zu bringen? Gab es diesbezüglich Hilfe?
Kagermann: Das haben wir selbst gemacht. Entscheidend war für uns bei diesem Thema der Rückhalt der Wirtschaft, und die konnte Acatech als wissenschaftliche Institution nicht alleine gewinnen. Uns ist es glücklicherweise gelungen, drei wichtige Verbände hinter dem Thema zu versammeln. Das sind der IT-Branchenverband Bitkom, der VDMA (Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer) und der ZVEI (Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V). Diese drei großen Verbände treiben das Thema voran und haben Strukturen etabliert. Dadurch sind Arbeitsgruppen und Steuerkreise entstanden, die sich regelmäßig treffen und Eckpunkte entwickeln.
Daneben gibt es einen wissenschaftlichen Beirat mit 19 Mitgliedern aus der IT, der Produktion und der Automatisierungstechnik sowie aus den Fachbereichen Logistik, Soziologie und Rechtswissenschaften. Der wird von Acatech betreut. Hinter Industrie 4.0 steht also eine echte Organisation.
Unter dem Dach Industrie 4.0 kooperieren Konkurrenten
CW: Ziehen die Beteiligten tatsächlich an einem Strang? Immerhin sitzen in den Arbeitskreisen viele Konkurrenten an einem Tisch.
Kagermann: In dieser Hinsicht hat Deutschland eine bemerkenswerte Kultur der Kooperation. In den Verbänden und Arbeitskreisen arbeiten Konkurrenten gemeinsam an einem Ziel. Wir haben etwa bewusst auch die Gewerkschaften ins Boot geholt, um die Arbeitnehmervertreter an dieser Initiative zu beteiligen. Das hat kein anderes Land hingekriegt.
Der Gedanke dahinter ist, dass es uns gemeinsam gelingen muss, Industrie 4.0 voranzutreiben.