"Wir haben IBM für die Ära der Daten neu erfunden", verkündete IBM-Chefin Ginni Rometty zum Auftakt der Think-Konferenz in Las Vegas. Dabei dreht die Firmenlenkerin die Strategie des Konzerns immer stärker in Richtung Cloud und Künstliche Intelligenz. Rometty rief ihre Kunden dazu auf, digitale Plattformen in ihren Unternehmen zu bauen. Das ebne den Weg für neue innovative Technologien wie beispielsweise Künstliche Intelligenz. Dafür präsentierte der Konzern vor über 30.000 Teilnehmern eine Reihe neuer Produkte und Services.
Mit Watson Assistant hat IBM ein eigenes sprachgesteuertes Assistenzsystem für seine bereits vor Jahren entwickelte Künstliche Intelligenz Watson angekündigt. Der Watson Assistant soll Kunden zur Verfügung gestellt werden, die dann auf der Basis der IBM-Technik eigene Sprach-Interfaces entwickeln könnten, so die Idee des IT-Pioniers. Von der Funktionalität soll der Watson Assistant anderen Systemen wie Alexa von Amazon beziehungsweise dem Google Assistant gleichen. Doch während Amazon und Google ihre Sprachassistenzsysteme als eigene Boxen, teilweise fest gekoppelt mit spezifischer Hardware wie beispielsweise smarten Lautsprechern sowie mit in weiten Teilen vorgefertigten Funktionen anbieten, will IBM seinen Kunden mehr Freiheiten gewähren.
IBM Watson Assistant unter fremden Labeln
Anwenderunternehmen sollen den Watson Assistant unter ihrem eigenen Label in verschiedenste Hardware-Systeme einbinden und dort auch anpassen können, hieß es von Seiten IBMs. Beispielsweise könne ein beliebiges Wake-Up-Kommando ausgewählt und implementiert werden. Als mögliche Einsatzszenarien nannten die IBM-Verantwortlichen Kommunikationssysteme in Hotels, in denen Gäste via Watson Assistant den Zimmerservice beauftragen könnten. Ein anderes Beispiel sei der Einsatz in intelligenten Autos. Automobilhersteller könnten verschiedene Services rund um Navigation und Kommunikation per Spracheingabe steuern lassen.
IBM will seinen Kunden darüber hinaus unter die Arme greifen, eigene Sprachassistenzanwendungen auf Basis von Watson Assistant zu entwickeln. Das soll feingranular bis auf die Ebene einzelner Kommandos und Aktionen hinabreichen. Darüber hinaus will der Hersteller industriespezifische Pakete anbieten, die es den Kunden erleichtern sollen, ihre eigenen auf spezifische Anwendungsszenarien zugeschnittenen Systeme zu bauen. Diese sollen zudem mit eigenen Daten trainiert und durch eigene Analysen ergänzt werden können. Auch die Konkurrenten bieten Anwenderunternehmen verschiedene Entwicklungsoptionen, beispielsweise Amazon mit den Alexa Skills sowie dem Lex Toolkit und Google stellt für seinen Assistenten ein Software Development Kit (SDK) zur Verfügung.
Anwender können den Watson Assistant bereits ausprobieren. Ein Prototyp steht kostenlos zur Verfügung, ist allerdings auf 10.000 API-Calls limitiert. Darüber hinaus kostet jeder weitere Aufruf des IBM-Assistenten in der Standardversion 0,0025 Dollar.
Kein Zugriff auf Kundendaten
Gerade mit Blick auf den aktuellen Datenschutzskandal rund um Facebook und Cambridge Analytica pocht IBM auf die Sicherheit und die Einhaltung von Datenschutzrichtlinien. Sämtliche Daten rund um den Watson Assistant blieben unter der Hoheit des Kunden, beteuerte der Hersteller. "IBM greift nicht über den Watson Assistant auf Kundendaten zu und wird dies auch nie tun", hieß es in einem Statement seitens des Herstellers. Alle Daten, die durch Gespräche, Texte und Videos erfasst würden, blieben beim Kunden.
Das klingt bei den Konkurrenten durchaus etwas anders. Beispielsweise lässt sich Amazon an dieser Stelle eine Hintertür offen. Wer das Lex Toolkit für Alexa nutzen will, willigt ein, das Amazon auf die darüber verarbeiteten Daten zugreifen kann. "Die Nutzung Ihrer Inhalte ist notwendig für die kontinuierliche Verbesserung Ihrer Amazon-Lex-Kundenerfahrung, einschließlich der Entwicklung und dem Training verwandter Technologien", heißt es in den Nutzungsbedingungen.
Zum Start seines Watson Assistenten konnte IBM bereits einige Partner präsentieren. Beispielsweise integriert die Samsung-Tochter Harman den intelligenten digitalen Helfer im Cockpit des Maserati GranCabrio. Und auf dem Münchner Franz-Josef-Strauß-Flughafen soll ein Watson-gesteuerter Pepper-Roboter Fluggästen den richtigen Weg zum Gate zeigen. Autodesk will das System nutzen, um Kundenanfragen zu beantworten. Außerdem sollen die Hotelkette Motel One und die Royal Bank of Scotland zu den Unternehmen gehören, die den Watson Assistant ausprobieren wollen.
Anwender sprechen nicht Watson, sondern mit ihrem BMW
Ob es IBM gelingt, den Vorsprung der Wettbewerber aufzuholen, bleibt abzuwarten. Amazon, Apple und Google haben den Vorteil, dass ihre Assistenten über die damit gekoppelte Hardware wie die smarten Echo-Speaker von Amazon, Apples iPhones sowie Googles Home Smart Speaker bereits weit verbreitet und vor allem sichtbar sind. Viele Anwender nutzen die Systeme, um damit Einkaufslisten zu erstellen oder ihre Music-Playlists zu organisieren.
Durch das offensive Branding der Anbieter stehen dabei auch die Hersteller der digitalen Assistenten im Rampenlicht. IBM droht dagegen, mit seinem Watson Assistant weitgehend unsichtbar zu bleiben, wenn die Kunden die IBM-Technik tief in den eigenen Systemen vergraben und unter dem eigenen Label laufen lassen. Genau das scheint allerdings die Strategie zu sein, die IBM verfolgt. Es gibt offenbar keine Pläne, eigene Watson-Geräte auf den Markt zu bringen. "In erster Linie sind wir auf die Marke des Kunden zugeschnitten", betont Bret Greenstein, Vice President für Watson IoT bei IBM. Obwohl alles von Watson angetrieben sei, sollen Endanwender nicht mit Watson sprechen, sondern mit ihrem BMW oder in welchem Gerät auch immer die Unternehmen Watson integrieren.
IBMs Ansatz, sich auf industriespezifische Use Cases zu fokussieren, sei ein geschickter Hebel, um die spezifischen Herausforderungen im Markt zu adressieren, sagt Raul Castanon Martinez, Senior Analyst von 451 Research. Der Schlüssel zum Erfolg liege für IBM jedoch darin, den Markt entsprechend zu erziehen und die Unternehmen von den Vorteilen intelligenter Assistenzsysteme zu überzeugen. Brendon Purcell, Senior Analyst von Forrester, glaubt, dass die neue Watson-Technik beispielsweise für Autobauer durchaus attraktiv sei. Hersteller wie BMW suchten nach sprachgestützten Assistenzsystemen, wollten sich dabei jedoch nicht an Anbieter wie Amazon oder Apple binden, da diese durchaus auch als Konkurrenten wahrgenommen würden. Im Hotelgewerbe sehe die Situation jedoch anders aus, stellt Purcell fest. Hier hätten große Ketten bereits damit begonnen, ihre Häuser mit Apple- beziehungsweise Amazon-Geräten auszustatten.
Mehr als einen Assistenten
Die IBM-Verantwortlichen scheinen sich der Realitäten im Markt durchaus bewusst zu sein. Es gebe bereits eine Reihe etablierter und intelligenter Assistenzplattformen, räumte Greenstein ein. Allerdings sieht der IBM-Manager durchaus das Potenzial, dass im Leben der Konsumenten mehrere verschiedene Systeme Platz nebeneinander finden könnten. "Ich denke, dass wir es uns nicht leisten können, nur einen Assistenten zu haben."
Der Markt für intelligente Assistenzsysteme entwickelt sich derzeit und ist stark in Bewegung. Deren Zahl dürfte weiter steigen, glaubt 451-Analyst Castanon-Martinez. In vielen Fällen würden sie direkt in bestimmte Geräte integriert, in anderen Fällen eine eigene Persönlichkeit an der Nutzerschnittstelle ausbilden, wie Alexa oder Siri. An dieser Stelle bleibe jedoch die Frage, wie gut verschiedene Assistenten miteinander arbeiten und interagieren könnten. Interoperabilität werde von der Kundennachfrage abhängen, sagt Greenstein. Der IBM-Mann geht davon aus, dass die Systeme über kurz oder lang miteinander funktionieren werden. Bis dahin sei jedoch noch eine Menge Arbeit zu tun. Die meisten Anbieter seien derzeit noch nicht bereit, ihre Plattformen weit genug zu öffnen.