ChannelPartner: Ist Klarheit in der Kommunikation nicht eine Selbstverständlichkeit?
René Borbonus: Genau das macht das Thema so spannend: sollte es sein und ist es doch nicht. Das ist der Widerspruch, der mich an dem Thema so reizt. Mit der Klarheit ist es ähnlich wie mit dem Respekt: Wir alle haben ein starkes Bedürfnis danach, und doch gibt es viel zu wenig davon.
Bei der Klarheit kommt noch erschwerend hinzu, dass es so viele Pseudo-Klartexter gibt, die uns Klarheit vorspiegeln und in Wirklichkeit andere Motive verfolgen. Populisten zum Beispiel bauen ihre Argumente auf Klischees und Ressentiments auf und verkaufen das dann als Klarheit. Es ist also längst nicht alles klar, was klar scheint.
ChannelPartner: Warum ist Klarheit so wichtig?
René Borbonus: Wir haben einen eingebauten Drang nach Klarheit. Aus gutem Grund. Klarheit in der Kommunikation ist eine Voraussetzung dafür, dass unsere sozialen Beziehungen gelingen. Denn die beruhen auf Vertrauen. Und wen wir nicht verstehen, dem vertrauen wir nicht.
ChannelPartner: Was ist das Geheimnis einer klaren Argumentation?
René Borbonus: Tatsächlich gibt es ein Zauberwort, das fast jede Argumentation klarer macht: Struktur.
Wenn wir jemanden überzeugen wollen, neigen wir zum Beispiel dazu, die Schlussfolgerung oder die Forderung zuerst auf den Tisch zu knallen. Erst danach zählen wir erst die Argumente auf. Und hinterher wundern wir uns dann, wenn der Andere trotzdem "nein" sagt.
Das liegt daran, dass er mit seinen Widerständen beschäftigt ist, während wir uns einen Wolf argumentieren. In dem Moment, wo die Schlussfolgerung auf dem Tisch liegt, schaltet der Andere ab und legt sich seine Erwiderung zurecht.
Das ist ein typisches Phänomen: Wir hören nicht zu, um zu verstehen. Wir hören zu, um zu antworten. Die falsche Reihenfolge stachelt die inneren Widerstände beim Anderen an.
Überzeugender ist es, wenn wir erst die Argumente nennen, und dann die Schlussfolgerung. Dann kann der Andere unseren Gedanke folgen, weil er nicht von seinen Widerständen vereinnahmt wird.
ChannelPartner: Was macht Gespräche unklar?
René Borbonus: In den meisten Fällen ist das eigene Denken das Problem. Es ist ursächlich für viele Unklarheiten. Das noch größere Problem ist, dass wir glauben, was wir denken. Die meisten Unklarheiten tragen wir durch eine falsche Wahrnehmung selbst in die Kommunikation hinein.
Wir interpretieren und bewerten, fügen also Bedeutung hinzu. Oft liegen wir damit ganz falsch. Und dann kommt natürlich eine Spirale in Gang.
ChannelPartner: Gibt es ein Geheimrezept für Klarheit in Gesprächen?
René Borbonus: Nicht wirklich. Aber es gibt einige Tipps, die immer helfen. Zunächst einmal: mit einem klaren Ziel ins Gespräch gehen. Ganz wichtig ist dabei die Frage: Woran kann ich später messen, ob das Gespräch erfolgreich war?
Dann im Dialog bewusst zuhören und klärende Fragen stellen, anstatt voreilige Schlüsse zu ziehen. Ganz wichtig ist außerdem die einfache Erkenntnis, dass Menschen unterschiedliche Gesprächsstile haben. Wenn wir uns diese Unterschiede bewusst machen und auch die eigene Kommunikation hinterfragen, erfüllen unsere Gespräche auch die Erwartungen.
ChannelPartner: Wie kann man klare von unklaren Aussagen unterscheiden?
René Borbonus: Ich plädiere für eine Art freiwillige Sorgfaltspflicht beim Konsum von Informationen. Drei Kriterien sind entscheidend.
Erstens: Klare Kommunikation berücksichtigt alle relevanten Informationen. Nicht nur die, die zur eigenen These passen.
Zweitens: Quellenprüfung. Vor allem online neigen wir dazu, jeden Mist zu teilen, ohne zu prüfen, woher eine Meldung überhaupt stammt.
Und drittens: Prüfen, ob der Urheber zwischen Fakten und Meinung trennt. Populisten tun das nicht. Sie vermischen beides gezielt. Propaganda hat das schon immer getan. Auch Werbung tut es. Echte Aufklärung dagegen dient der Meinungsbildung und trennt streng zwischen beidem.
ChannelPartner: Was macht Sprache unklar?
René Borbonus: Da gibt es eine ganze Reihe von Mustern. Eines ist der Fluch der vielen Worte. Viele glauben: Viel hilft viel. In der Kommunikation gilt eher das Gegenteil: Je mehr wir sagen, desto mehr Widerstände bauen sich auf. Klarheit ist sozusagen das Gegenteil von Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Dann gibt es verschleiernde Sprachmuster, die gezielt eingesetzt werden oder sich unabsichtlich einschleichen. Wenn jemand den Konjunktiv übermäßig einsetzt zum Beispiel, oder ständig anonym im Passiv kommuniziert, wie wir es aus dem Beamtendeutsch kennen. Auch Fachsprache kann dazu führen, dass wir nicht verstanden werden. Zahlenwüsten und Endlossätze ebenso.
ChannelPartner: Wie verschaffen Sie sich Klarheit?
René Borbonus: Das mag jetzt erst mal ein wenig morbide klingen, aber für mich ist der Tod der ultimative Klarheitstreiber. Nichts schenkt mit mehr Klarheit als mich daran zu erinnern, dass mein Leben endlich ist.
Den Ausspruch "carpe diem" kennt jeder. Eigentlich war das ursprünglich ein Begriffspaar. Die zweite Hälfte lautet: "memento mori" - gedenke des Todes. Welche klärende Kraft der Tod hat, erkennt man zum Beispiel daran, dass Menschen auf Beerdigungen oft ihre schlauesten Sätze sagen.
Das ist ein ganzer heißer Tipp für mehr Klarheit: Wenn Sie vergessen haben, worum es im Leben wirklich geht, denken Sie mal über den Tod nach.
ChannelPartner: Wie kann man Klarheit gewinnen?
René Borbonus: Die große Unklarheit, die viele empfinden, ist vor allem ein Selektionsproblem. Wir haben heute all diese Möglichkeiten uns zu informieren. Doch wir haben scheinbar keine Zeit, sie zu nutzen.
Da helfen nur zwei Maßnahmen: Zum einen bewusst konsumieren und sich nur mit dem beschäftigen, was uns wirklich wichtig ist. Dann aber in die Tiefe. Und zum anderen die knappe Zeit besser nutzen. Auf einer Zugfahrt am Smartphone kleben und ziellos Gedanken einsammeln hilft nicht bei der Klarheit. In derselben Zeit mal wieder konzentriert nachdenken schon.
ChannelPartner: Woran erkennen Sie, ob jemand weiß, wovon er spricht?
René Borbonus: Experten bemühen sich aktiv um Klarheit in ihren Aussagen. Sprachlich gelingt das nicht allen Fachexperten. Aber inhaltlich gibt es einige Punkte, an denen man echte Experten erkennt. Sie nennen die Fakten, statt sich nur auf ihre Meinung zu beschränken. Sie können die Fakten in einen Kontext stellen. Sie sind auf ihrem Gebiet bekannt. Sie argumentieren differenziert, beziehen also auch die Antithese in ihre Argumentation ein. Und sie wahren den Respekt gegenüber anderen Experten.
ChannelPartner: Sind Emotionen schlecht für die Klarheit?
René Borbonus: Im Leben: nein, ganz im Gegenteil. Emotionen sind wichtige Indikatoren, ob wir uns über etwas oder über das Leben im Klaren sind oder nicht.
In der Kommunikation: oftmals ja. Besonders in emotionalen Situationen ist es wichtig, zwischen Beobachtung und Bewertung zu trennen. Klären können wir eine Frage oder eine Unstimmigkeit oft nur auf der Sachebene. Zumeist liegt dort auch die Antwort, warum es überhaupt zu den Emotionen gekommen ist.
Wenn jemand nach meinem Vortrag wütend auf mich zu kommt und sagt: Herr Borbonus, war das aber ein schlechter Vortrag! Wenn ich auf dieser emotionalen Ebene bleibe, fliegen gleich die Fetzen. Wenn ich die Aussage aber auf die Sachebene herunterbreche, dann geht es. Zum Beispiel, indem ich nachfrage: Worauf beziehen sie sich? Dann bekomme ich die Beobachtung, die hinter der Bewertung steckt. Und damit kann ich umgehen.
ChannelPartner: Was können Redner tun, um verstanden zu werden?
René Borbonus: Es gibt ein paar typische Unklarheiten, die man vermeiden kann. Besonders Manager, die sich juristisch wasserdicht äußern wollen, neigen zu Schachtelsätzen. In der freien Rede ist weniger fast immer mehr. Auch wenn man viel zu sagen hat, kann man das in wenigen Worten pro Satz tun.
Zahlenwüsten sind besonders bei Reden in der Wirtschaft eine Klarheitsbremse. Das Problem ist, dass unser Gehirn mit abstrakten Zahlen nicht viel anfangen kann. Eine Referenzzahl macht große Summen oft besser verständlich. Auch eine Analogie oder Storys können helfen, Zahlen in verständliche Einheiten herunterzubrechen.
Wortungetüme sind natürlich genauso unverständlich wie Endlossätze. Euphemismen und Dysphemismen sollte man sparsam einsetzen, denn Ironie wird oft nicht verstanden. Und Zuspitzungen und Vereinfachungen können mehr Schaden anrichten als Nutzen stiften, wenn sie nicht genau passen.
ChannelPartner: Tragen soziale Medien dazu bei, unsere Kommunikation unklarer zu machen?
René Borbonus: Ja und nein. Zweifellos ist es so, dass es im Netz an einem Filter für Klarheit mangelt. Online florieren viele unklare Kommunikationsmuster, die in der Offline-Kommunikation No-gos sind.
Wenn jemand im Gespräch Blödsinn erzählt und keine Quelle nennt zum Beispiel, dann haken wir direkt nach. Wenn eine Äußerung missverständlich ist, ebenso. So lassen sich viele Unklarheiten vermeiden, die online schnell eine Eigendynamik entwickeln.
Ein großes Problem ist die Anonymität. Was Menschen einander online unter dem Deckmantel der Anonymität zumuten, würden sie sich von Angesicht zu Angesicht nie trauen. Und auch die Schnelligkeit der Online-Kommunikation birgt große Risiken. Affektkommunikation ist selten klar, denn sie ist meistens von Emotionen überlagert.
Wir kommunizieren fast immer klarer, wenn wir vorher dreimal durchatmen und kurz reflektieren. Facebook-Kommentaren fehlt dieser Filter oft, und anonymen Forenbeiträgen erst recht. Doch die Vernetzung hat auch ihre Vorteile: Wir haben heute wie nie zuvor die Möglichkeit, Informationen in Echtzeit in die Breite und in die Tiefe zu hinterfragen. Wenn wir das auch tatsächlich tun, dann ist das der Klarheit zuträglich.
ChannelPartner: War Klarheit früher leichter?
René Borbonus: Auf den ersten Blick vielleicht. Viele sehnen sich ja inzwischen in die Zeit der starken Männer zurück, als Politiker noch klare Ansagen machten. Wie zum Beispiel Norbert Blüm, als er uns versicherte, die Renten seien sicher. Ob diese Aussagen allerdings immer wahr waren, steht auf einem anderen Blatt.
Ich glaube, dass Politiker sich heute so selten klare Ansagen trauen, weil sie sofort von einer Welle der Gegenstimmen überrollt werden, die sie schnell das Amt kosten kann. Sie können sich einfach keine klaren Ansagen mehr leisten.
Insofern sollten wir uns nicht in vermeintlich klarere Zeiten zurückwünschen, sondern den Menschen lieber die Chance geben, sich auch mal zu irren und zu entwickeln. Sonst profitieren am Ende die selbsternannten Klartexter, die mit ihren pseudo-klaren Ansagen bewusst Verwirrung stiften.