Die Digitalisierung hat viele Lebensbereiche und Wirtschaftszweige von Grund auf verändert. Durch den Einsatz digitaler Technologien verändert sich auch im Gesundheitswesen viel. Wo Menschen andere Menschen behandeln, pflegen und betreuen, wird die IT zwar nur ein Hilfsmittel bleiben, doch diese Hilfe ist dringend nötig, um eine moderne medizinische Versorgung sicher zu stellen. Dabei werden an die eingesetzten Geräte und Lösungen ganz besondere Ansprüche gestellt.
Die Vorgaben für die Hardware sind je nach Einsatzgebiet unterschiedlich. "Die Produkte sollten grundsätzlich den Anforderungen im Gesundheitswesen gerecht werden, indem sie entsprechende Materialeigenschaften und Funktionen aufweisen, wie die Anpassung oder die Integration der Geräte an Software-Lösungen", erklärt Frank Stechel, Teamleiter Sales Engineers bei Brother. "Die Produkte müssen natürlich höheren Hygienestandards als IT-Hardware für das Büro entsprechen", meint Karl Tucholski, Head of Business Development bei dem, unter anderem auf medizinische Einsatzgebiete spezialisierten PC-Herstellers Prime Computer, spielen dabei Produkteigenschaften wie Desinfizierbarkeit, Vermeidung von Luftumwälzung sowie Geräuschlosigkeit eine elementare Rolle.
So ist laut Stephen Rommel, Manager Commercial Channel Sales Computer bei HP, nicht jedes Modell, sei es PC, Notebook oder Monitor, für diesen besonders sensiblen Bereich geeignet. Dabei hat er nicht nur Hygienevorgaben oder Desinfektionsmöglichkeiten im Auge: "Eine einfache Handhabung, wie Bedienung mit Latex-Handschuhen, Single-Sign-On-Optionen und RFID-Authentifizierungen mittels das mitarbeiterausweises ist beispielsweise wesentlich für den hektischen Klinikalltag", erläutert er.
Unterschiedliche Zertifizierungen
Je nach Einsatzgebiet sind auch die notwendigen Zertifizierungen unterschiedlich: "Medizinprodukte müssen die strengen Anforderungen des Medizinproduktegesetzes, kurz MPG, erfüllen, unter anderem die Anforderungen an elektrische Sicherheit der Gerätenorm DIN EN 60601-1", präzisiert Ronald Eckhoff, Key Account Manager IT Solutions bei DACH bei LG.
Zunächst muss entschieden werden, ob es sich um Medical-IT-Produkte oder Medizinprodukte handelt. "Dafür gelten jeweils unterschiedliche Anforderungen", weiß Eckhoff. Er erklärt es am Beispiel von Bildschirmen: "Prüf- und Chirurgiemonitore gehören etwas zu den Medizinprodukten, für die besonders strenge Anforderungen gelten". Die Zertifizierungen werden in der Regel durch die Hersteller bei Prüforganisationen wie dem TÜV vorgenommen. Oft gehen die Vorgaben der Anwender sogar darüber hinaus: "Insbesondere wenn Geräte zur Diagnostik oder Archivierung eingesetzt werden, stellen diese Häuser mit recht hohe Anforderungen und verlangen, dass die Produkte der Anbieter sehr strengen Regeln genügen", berichtet Jens Greine, Manager Reseller Sales bei Epson. So seien zur Erfüllung individueller Ansprüche Testphasen der Installationen keine Seltenheit.
So wird bei den Herstellern sehr genau kalkuliert, ob komplexe Zertifizierungsmaßnahmen überhaupt vorgenommen werden. "Zertifizierungen sind langwierig und kostspielig und gerade für kleinere Hersteller sehr aufwendig", bestätigt Karl Tucholski von Prime Computer. "Jede Norm und jede Vorschrift, die Änderungen an Geräten nötig macht, führt zu umfangreichen neuen Prüfungen", ergänzt LG-Manager Eckhoff. Dies bedeute einen enormen personellen und finanziellen Aufwand, der insbesondere für kleinere Markteilnehmer schwer zu stemmen ist. Welche Hürden ein IT-Hersteller überwinden muss, um ein Medizinprodukt zur Marktreife zu bringen, lesen sie hier.
Herausforderung Datenschutz
Neben den Hardware-Kriterien werden auch besondere Anforderungen an den Datenschutz gestellt. Patrick Olschewski, Teamleader Business Development & Marketing DACH bei Tech Data spricht von "einzigartigen Herausforderungen in Bezug auf die Verwaltung von Patientendaten".
"Produkte, die die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben, müssen strenge Anforderungen an den Datenschutz erfüllen sowie die Einhaltung von Archivierungs- und Dokumentationspflichten erleichtern", sagt auch Patrick Bischoff, Director Strategy & Marketing Document Solutions / B2B bei Canon. Das schließt auch analoge Archivierungsmethoden mit ein. "Im Gesundheitswesen betragen die Aufbewahrungsfristen von medizinischen Unterlagen typischerweise 30 Jahre und mehr. Neben klassischen Dokumenten wie Arztbriefen, Befunden, oder laborberichten sind oft auch andere Objekte wie Röntgenbilder oder Tomographie-Aufnahmen lange aufzubewahren", weiß er. Daher müssen die Drucke fälschungssicher, und dauerhaft haltbar sein. Für die Geräte bedeutet dies, dass sie eine PTS-Zertifizierung für Dokumentenechtheit mitbringen müssen.
Kostendruck erschwert die Transformation
Das Gesundheitswesen steht durch vielfältige Markthindernisse noch am Anfang der digitalen Transformation. Vieles, was in anderen Wirtschaftszeigen längst zum Standard gehört, wird hier noch sehr zögernd umgesetzt. LG-Spezialist Eckhoff führt dies unter anderem auf die "staatliche Regulierung" in diesem Bereich zurück: "Im Gesundheitswesen dauert es traditionell etwas länger, bis strategische Managementansätze aus der Industrie ankommen", denkt er. Patrick Olschewski von Tech Data führt ganz konkrete Hemmnisse an. Neben den zahlreichen Vorschriften, die sich auch noch von Land zu Land unterscheiden sieht er "Datensilos", die Analysen erschweren und Datenspeicherungen auf On-Prem-Servern, die die Erschließung des Potenzials der vernetzten Medizin mit der damit verbunden Cloud-Migration verhindern. "Digitale Transformation in Organisationen des Gesundheitswesens erfordert akribische Vorkehrungen auf technischer, rechtlicher und finanzieller Ebene", lautet sein Fazit.
Damit spricht Olschewski einen wesentlichen Punkt an, der sich in nahezu sämtlichen Anknüpfungspunkten zwischen IT und Medizin wiederfindet: der Spagat zwischen technischem Fortschritt und Kostendruck. "Kunden aus dem Gesundheitswesen benötigen hochspezialisierte IT-Geräte, die die wichtigsten Herausforderungen in Bezug auf Patienten- und Datensicherheit sowie Technologiekomplexität und -stabilität adressieren - und dies alles kosteneffizient, da verfügbare Budgets in der Regel knapp bemessen sind", erläutert HP-Experte Rommel. Die Entwicklung von Endgeräten, die diesen hohen Qualitäts- und Zuverlässigkeitsstandards entsprechen und gleichzeitig die Gesamtbetriebskosten optimieren, stelle "ein großes Hindernis für diesen Markt dar".
So registriert auch Epson-Vertriebsspezialist Greine eine "sehr selektive" Vorgehensweise im "hoch anspruchsvollen" Markt Gesundheitswesen fest: "In diesem Jahr herrscht in vielen Häusern ein großer Druck, Prozesse und Abläufe hinsichtlich Kosten, Effizienz und auch Nachhaltigkeit zu optimieren". Dies betreffe insbesondere auch die IT-Ausrüstung. "Aufgrund des steigenden Kostendrucks im Gesundheitssektor muss mittelfristig ein Umdenken stattfinden", fordert Canon-Manager Bischoff. So sollen digitale Technologien helfen, diese Hürde zu überwinden. In der Praxis führt dieser Sparzwang allerdings dazu, dass Investitionen, die eigentlich mittel- und langfristig das Gesundheitswesen effizienter und damit ökonomischer machen, nur schleppend umgesetzt werden. "Ich muss Zeit für Dinge aufwenden, die nicht zu meiner Tätigkeitsbeschreibung gehören. Hier fehlt die Kosten-Nutzen-Rechnung", beklagt eine Ärztin an einer Uniklinik (das komplette Interview lesen Sie hier).
Hilfestellung von Distributoren und Herstellern
Fachhändler und Systemhäuser, die Kunden aus dem Gesundheitswesen betreuen, müssen daher eine besondere Expertise mitbringen. Patrick Olschewski vom Distributor Tech Data betreut diese Reseller und weiß, auf was es besonders ankommt. Es muss neben den technischen Fähigkeiten auch die Fachkenntnisse in Bezug auf regulatorische Anforderungen mitbringen und in der Lage sein, die entsprechenden Vorschriften einzuhalten. Dabei ist entsprechende Erfahrung sicher von Vorteil: "Es erfordert auch Curriculum von E-Health-Kunden in der eigenen Erfolgsbilanz, um Marktzugang zu bekommen", meint er.
Dabei sind Reseller aber nicht auf sich allein gestellt. Hersteller und Distributoren bieten vielfältige Unterstützung an. Immerhin lockt ein zukunftssicheres Betätigungsfeld in einer Branche, die bei der digitalen Transformation noch am Anfang steht. "Die Corona-Pandemie führt vor Augen, dass es Nachholbedarf für E-Health-Innovationen gibt", bekräftigt Olschewski. So müsse Deutschland im europäischen Vergleich "viel aufholen". Auch für Stephen Rommel von HP ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens ein wichtiger Wachstumsmarkt. "Die Potenziale sind riesig, sowohl für Patienten als auch für Ärzte und Pflegepersonal", prognostiziert er.
Damit diese Potenziale auch erschlossen werden können, bieten Hersteller und Distributoren ein breites Angebot von Schulungen über Case Studies, White Papers und vorkonfigurierten Lösungen bis zu weitreichender Sales-Unterstützung vor Ort beim Kunden durch Experten.