Endlich tritt der neue Vertriebsleiter seine Stelle an. Vorbei ist somit auch die monatelange Suche nach einem geeigneten Kandidaten, die den mittelständischen Betrieb viel Zeit und Geld kostete. Alle Beteiligten sind glücklich. Der Firmeninhaber, denn er zog einen Top-Mann an Land – einen echten Profi, der jahrelang als Vertriebsleiter für Konzerne tätig war. Ebenso der neue Verkaufs- und Vertriebsleiter, denn er fand eine Stelle, die ihm mehr Gestaltungs- und Entscheidungsfreiräume verspricht.
Einen Monat später. Den Firmeninhaber plagen erste Zweifel: Habe ich den richtigen Mann eingestellt? Denn der Neue verschanzt sich tagelang im Büro. Statt zu Kunden zu fahren, brütet er endlos über Konzepten. Und immer wieder präsentiert er dem Firmeninhaber Ideen, die zwar viel Zeit und Geld kosten, aber keinen Umsatz bringen. Zum Beispiel ein Marktforschungsinstitut mit einer Marktanalyse zu beauftragen.
Auch der neue Vertriebsleiter hat erste Zweifel, ob seine Jobwahl richtig war. Denn immer wieder schmettert "der Boss" seine Vorschläge mit Aussagen ab wie: "Dafür haben wir kein Geld." Oder: "Darüber können wir nachdenken, wenn unsere Erträge wieder stimmen." Und um jeden Kleinkram muss er sich kümmern, weil kaum "Zuarbeiter" da sind, an die er diese Aufgaben delegieren kann.
Die "Chemie" stimmt oft nicht
Vier Monate später. Die Wege des Unternehmens und des neuen Vertriebsleiters haben sich wieder getrennt, noch bevor die Probezeit beendet war. Denn der Vertriebsleiter war zunehmend frustriert, dass sich seine Gestaltungsfreiräume weitgehend auf den operativen Verkauf beschränkten - mit dem er im Konzern wenig zu tun hatte. Und dass er fast alles selbst machen sollte - vom Verfassen der Werbebriefe bis hin zum Akquirieren von Aufträgen.
Und der Firmeninhaber? Er war enttäuscht, dass der Neue in vier Monaten "keinen nennenswerten Auftrag" an Land zog. Im Gegenteil: Stammkunden beschwerten sich: "Von Euch hört man ja nichts mehr. Habt Ihr unsere Aufträge nicht mehr nötig?" Das Fazit des Firmeninhabers: "Der konnte ohne Unterstützung nicht mal einen Werbebrief schreiben. Und wie man verkauft? Davon hatte er keine Ahnung." Also sagte er dem Vertriebsleiter "Good bye".
KMUs "ticken" anders als Konzerne
Solche Prozesse beobachtet man oft, wenn mittelständische Betriebe Verkaufs- oder Vertriebsprofis engagieren, die zuvor für Konzerne tätig waren. Dann ist wechselseitiger Frust vorprogrammiert. Denn meist unterschätzen alle Beteiligten, wie stark die Arbeitsbedingungen in Großunternehmen sowie Klein- und Mittelunternehmen (KMU) divergieren. Ein zentraler Unterschied: Großunternehmen haben oft die erforderliche (Markt-)Macht, um ihren Markt aktiv zu gestalten. Bei mittelständischen Betrieben ist dies eher selten der Fall. Weit häufiger sind sie von wenigen Schlüsselkunden abhängig und stehen in scharfem Wettbewerb mit zahlreichen, oft mächtigeren Mitbewerbern. Entsprechend flexibel und kundenorientiert müssen sie agieren.
Großunternehmen haben zudem in der Regel eine dicke Kapitaldecke. Deshalb können ihre Ver-triebskonzepte langfristig (strategisch) angelegt sein. Sie können auch einige Flops verkraften. Die Kapitaldecke der KMU hingegen ist meist dünn. Deshalb müssen ihre Marketing- und Vertriebsmaß-nahmen viel kurzfristiger die gewünschten Umsätze und Erträge einfahren.
- So gewinnen Sie kontinuierlich Neukunden
Wenn Fach- und Einzelhandelsgeschäfte nicht regelmäßig Neukunden gewinnen, schrumpft ihre Kundenbasis mit der Zeit – und somit auch ihr Umsatz und Ertrag. Hier einige Tipps vom Rhetorik- und Verkaufstrainer Ingo Vogel, wie die Neukundenakquise gelingen kann. - In die Alltagsarbeit einfließen lassen
Bedenken Sie als Inhaber oder Geschäftsführer eines Fach- oder Einzelhandelsgeschäfts stets: Ein gewisses "Kundensterben" ist im stationären Handel normal – selbst wenn Ihr Geschäft seinen Kunden eine Top-Leistung bietet. Zum Beispiel, weil Kunden umziehen. Oder sich zum Beispiel altersbedingt ihre Lebenssituation und ihre Bedürfnisse wandeln. Deshalb muss das Gewinnen von Neukunden ein fester Bestandteil Ihrer Alltagsarbeit sein – selbst wenn Ihr Geschäft nicht expandieren soll. Sonst schrumpft seine Kundenbasis mit der Zeit. - Auf die Jagd gehen
Für die meisten Fach- und Einzelhändler gilt: Echte Neukunden gibt es an ihrem Standort kaum – sieht man von den Heranwachsenden und Neu-Zugezogenen ab. Denn die meisten Frauen und Männer kauften auch zuvor bereits irgendwo ihre Kleidung und Lebensmittel, ihre Elektrogeräte und Bücher. Deshalb lautet die eigentliche Herausforderung bei der Neukunden-Akquise meist: Den Mitbewerbern Kunden abjagen – also anziehender und attraktiver als diese sein. - Einen Mehrwert bieten
Damit Ihnen dies gelingt, müssen Sie den Noch-nicht-Kunden einen Mehrwert bieten. Das können im Einzelfall günstigere Preise sein. Weit häufiger beschließen Kunden aber, künftig woanders einzukaufen, weil ihnen ein anderes Geschäft aus ihrer Warte eine bessere Leistung beziehungsweise mehr Nutzen bietet – zum Beispiel ein attraktiveres Sortiment. Oder eine kompetentere oder persönlichere Beratung. Oder schlicht bessere Parkmöglichkeiten. Häufig wechseln Kunden aber auch den Anbieter, weil ihnen dessen Verkäufer sympathischer sind. - Einen Vorteil herausarbeiten
Arbeiten Sie deshalb, bevor Sie mit der aktiven Neukunden-Akquise beginnen, exakt heraus, wofür Ihr Geschäft steht und welchen konkreten Mehrwert, es seinen Kunden mit seinen Produkten und Leistungen bietet – nicht nur aufgrund seines Sortiments und seiner Preisgestaltung, sondern auch auf der Beziehungsebene, also auf der Ebene, wie es den Verkaufsprozess und den persönlichen Kontakt mit den Kunden gestaltet. - Den Kunden überzeugen
Denken Sie beim Planen Ihrer Neukunden-Akquise stets daran: Mit den klassischen Marketing- und Werbeinstrumenten wie Anzeigen und Mailings können Sie Noch-nicht-Kunden zwar informieren oder sogar neugierig machen und sie zum Beispiel in Ihr Geschäft locken. Mit ihnen können Sie diese aber nicht für Ihr Geschäft sowie dessen Produkte und Leistungen begeistern. Diese Aufgabe fällt in erster Linie Ihren Verkäufern zu. Sie müssen im Kontakt mit den Kunden, diese von sich und den Produkten Ihres Unternehmens überzeugen und dafür sorgen, dass aus den Besuchern, sprich Schaukunden, Kaufkunden werden. - Die eigenen Verkäufer schulen
Messen Sie der Auswahl Ihrer Verkäufer eine entsprechend hohe Bedeutung bei und schulen Sie diese systematisch. Selbstverständlich fachlich, aber vor allem im Bereich der emotionalen Kundenansprache. Also unter anderem darin: Wie wecke ich das Interesse von Kunden? Wie präsentiere ich ihnen Produkte und Dienstleistungen so, dass sie zu träumen beginnen? Wie gewinne ich ihr Vertrauen? Und wie nehme ich Kunden für mich als Person ein – unter anderem, weil ich bewusst anders als die meisten Verkäufer agiere? - Das einkaufen zum Erlebnis werden lassen
Bedenken Sie dabei stets: Ein Schaukunde ist noch kein Kaufkunde, und ein Kunde, der einmal kommt und kauft, ist noch kein Stammkunde. Zu Stammkunden werden Kunden nur, wenn sie mit der Leistung Ihres Geschäfts rundum zufrieden sind und das Einkaufen in ihm für sie ein Erlebnis ist. Zum Beispiel aufgrund der Art, wie Sie Ihre Ware präsentieren. Oder wie Ihre Mitarbeiter mit den Kunden kommunizieren. Vermitteln Sie dieses Bewusstsein Ihren Mitarbeitern, damit sie sich im Kontakt mit Neukunden ebenso engagieren, wie wenn ein Stammkunde (der ihnen eine hohe Umsatzprovision bringt) vor ihnen steht. - Die Kunden pflegen
Kunden wollen umhegt und umpflegt werden. Betreiben Sie deshalb ein aktives Beziehungsmanagement. Zum Beispiel, indem Sie Ihre Kunden auf Ihrer Webseite oder in einem E-Mail-Newsletter über neue Produkte informieren. Oder indem Sie diese regelmäßig zu Kundenveranstaltungen einladen. - Bleiben Sie hartnäckig
Ein aktives Beziehungsmanagement kostet ebenso wie die Akquise von Neukunden Zeit (und/oder Geld). Doch denken Sie daran: Auch Ihre heutigen Top-Kunden, mit denen Sie die größten Umsätze erzielen, warum irgendwann einmal Neukunden. Das beweist, dass sich das Engagement lohnt. Vermitteln Sie dieses Denken auch Ihren Verkäufern. - Motivieren und begeistern Sie
Verkaufen ist ein schöner, aber oft auch anstrengender Job. Schulen Sie Ihre Verkäufer deshalb auch darin, sich selbst zu motivieren, und sich vor Kundenkontakten in eine gute Laune zu versetzen – selbst wenn sie mal einen schlechten Tag oder Moment haben. Denn warum sollten sich Besucher für Ihr Geschäft und seine Produkte begeistern, wenn Ihre Verkäufer (und Sie selbst) diese Begeisterung nicht ausstrahlen.
Ein weiterer Unterschied ist: In Großunternehmen gibt es zahlreiche Fachabteilungen, an die Aufgaben delegiert werden können. Sie beschäftigen zudem ein Heer von Spezialisten - Marketingexperten und Werbefachleute. Und stehen diese intern nicht parat, dann engagieren sie externe Dienstleister wie Marktforscher, Produktdesigner und Werbegrafiker. Anders ist dies bei KMU. Bei ihnen ist nicht nur die Arbeitsteilung geringer ausgeprägt. Sie beschäftigen auch weniger Spezialisten, an die Aufgaben delegiert werden können. Oft fehlen sogar die Mittel, um externe Spezialisten zu engagieren. Also wird vieles mit "Bordmitteln" gemacht.
Verkaufsleiter hat wenige operative Unterstützer
Ähnlich verhält es sich im operativen Verkauf. Großunternehmen beschäftigen meist ein Heer von Vertriebsmitarbeitern. Sie kooperieren zudem oft mit Vertriebs- und Handelsorganisationen, die ihnen Vertriebsaufgaben abnehmen. Deshalb können sich ihre Vertriebsverantwortlichen auch mal ein, zwei Tage in ihre Büros einschließen und an Konzepten feilen. Denn ihre operativen Vertriebsaufgaben beschränken sich weitgehend darauf,
hin und wieder zu Schlüsselkunden zu fahren und
zu überwachen, ob die Vertriebsteams und -einheiten die Zielvorgaben einhalten.
Anders ist dies bei KMU. Sie haben oft nur eine Handvoll Verkäufer. Zuweilen besteht der Vertrieb sogar nur aus einem Mitarbeiter: dem Vertriebsleiter. Deshalb sind die Verkaufs- und Vertriebsleiter von KMU viel stärker in den operativen Verkauf involviert als ihre Konzernkollegen - und die Qualität ihrer Arbeit wird auch stärker am kurzfristigen Umsatz gemessen.