Blick richtet sich nach hinten statt nach vorne
Dass dieses Verfahren akzeptiert ist, bedeutet aber nicht automatisch, dass es auch die damit verbundenen Ziele des Unternehmens unterstützt. So ist zum Beispiel eine Schattenseite der Leistungsmessung: Die ihr zugrunde liegenden Mitarbeitergespräche fokussieren sich nicht darauf, wie die Leistung des Mitarbeiters gesichert oder gar gesteigert werden kann. Das heißt, in den Gesprächen stehen nicht Fragen an zentraler Stelle wie:
Was erfordert die aktuelle oder künftige Arbeitssituation?
Welche Ziele gilt es künftig zu erreichen?
Was bedeutet dies für das Verhalten/Tun des Mitarbeiters?
Bringt er hierfür die erforderlichen Voraussetzungen mit?
Welche Unterstützung/Förderung benötigt er, um künftig seinen Beitrag zum Erreichen der Bereichs-/Unternehmensziele zu leisten?
Stattdessen konzentriert sich das Gespräch auf die Leistung des Mitarbeiters in der Vergangenheit. Und was für ihn zählt, ist nicht die Frage, wie er seine Leistung steigern und auch in einem veränderten Unternehmensumfeld erbringen kann. Wichtig ist für ihn primär die "Note" für seine erbrachte Leistung. Denn sie entscheidet unter anderem darüber, ob er eine Gehaltserhöhung oder Prämie erhält. Alle anderen Fragen, die in dem Gespräch mit seiner Führungskraft eventuell noch erörtert werden, sind für ihn von untergeordneter Bedeutung.
Wäre es also vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, auf solche Beurteilungen zu verzichten, damit in den Mitarbeitergesprächen wieder die Herausforderungen, vor denen das Unternehmen steht, im Vordergrund stehen?
Individuelle Leistung wird immer schwieriger messbar
Das fragt sich eine wachsende Zahl von Unternehmen auch aus folgendem Grund: Die den Beurteilungssystemen zugrunde liegende individuelle Leistungsmessung und -bewertung wird der Arbeitssituation in modern geführten und strukturierten Unternehmen, die zunehmend vernetzte Systeme sind, immer weniger gerecht. Denn in ihnen werden die Leistungen, zumindest in den Kernbereichen zunehmend in Teams erbracht.
Und die Leistung des einzelnen Mitarbeiters? Sie hängt immer stärker von der Zuarbeit sowie Qualität der Leistung von Kollegen oft auch aus anderen Unternehmensbereichen ab. Deshalb ist es sogar zunehmend schwierig, den Beitrag, den ein Bereich zum Erreichen der Unternehmensziele leistet, zu messen und zu quantifizieren - auch weil die Arbeitsinhalte und -prozesse in den Bereichen kaum vergleichbar sind.
Noch schwieriger ist dies bezogen auf die einzelnen Mitarbeiter - selbst wenn sie anscheinend identische Aufgaben haben. Denn meist sind die Rahmenbedingungen, unter denen sie diese wahrnehmen, sehr verschieden.
Das heißt: Die Unternehmen agieren bei ihren Beurteilungssystemen oft mit einem sehr vagen Begriff von Leistung. Und dieser wird als die Basis für aus Mitarbeitersicht so weitreichende personalwirtschaftliche Entscheidungen wie Gehaltserhöhungen und Prämien, Beförderungen und Versetzungen und im Extremfall sogar Kündigungen herangezogen.
Deshalb werden die Beurteilungen gerade in Unternehmen, in denen die Leistungen weitgehend im Team erbracht werden, immer häufiger als ungerecht und demotivierend empfunden. Denn die Mitarbeiter haben das Gefühl: Meine Person und der Beitrag, den ich zum Erreichen der Bereichs-/Unternehmensziele leiste, werden nicht adäquat wahrgenommen und geschätzt.