Wichtig für Change-Prozesse im Unternehmen

Veränderungen steuern mit 360°-Feedback

Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist u.a. Autor des "Change Management Handbuch" und zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal.

Kernfrage: Welche Entwicklung wollen wir anstoßen?

Dabei gilt es jedoch festzuhalten: Das 360°-Feedback ist nur ein Instrument, um personale und/oder organisationale Entwicklungsprozesse zu flankieren. Deshalb wird es von den Unternehmen in der Regel anlassbezogen eingesetzt. Mit seinem Einsatz sind konkrete Entwicklungsziele verbunden.

Hierfür ein Beispiel. Vor einigen Jahren erkannte ein Elektronikunternehmen: Wir müssen uns von einem Produkteanbieter zu einem System- beziehungsweise Problemlösungsanbieter entwickeln, und hierfür muss sich neben der Struktur unseres Unternehmens auch dessen (Führungs-)Kultur ändern. Also startete das weltweit agierende Unternehmen ein "Fit for Future" (3F), genanntes Personal- und Organisationsentwicklungsprogramm. Mit ihm sollten in dem Unternehmen unter anderem flexiblere Organisationsstrukturen geschaffen werden. Außerdem sollte die (bereichs- und standortübergreifende) Zusammenarbeit verbessert werden.

Dabei war den Verantwortlichen klar: Inwieweit wir diese Ziele erreichen, hängt vor allem davon ab, wie stark die Führungskräfte den Wandel promoten und wie sie ihre Mitarbeiter führen. Deshalb entwickelte das Unternehmen auch neue Führungsleitlinien. Durch den mit dem Entwickeln der neuen Leitlinien verbundenen Diskussionsprozess veränderte sich bereits das Selbstverständnis der Führungskräfte. Das bedeutete jedoch noch keineswegs, dass fortan alle das gewünschte Führungsverhalten zeigten.

Deshalb gelangte die Unternehmensleitung zur Erkenntnis: Wir brauchen ein Instrument, das unseren Führungskräften eine dokumentierte Rückmeldung über ihr Verhalten gibt. Also wurde ein regelmäßiges Management-Audit auf Basis eines 360°-Feedbacks eingeführt. Bei diesen im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfindenden Audits erhalten die Führungskräfte stets von mehreren Personengruppen eine (schriftliche) Rückmeldung über ihr (Führungs-)Verhalten - von ihren Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten.

Kein Auswahl-, sondern ein Entwicklungsinstrument

Der Elektronikkonzern nutzt das 360°-Feedback also als Personal-, Organisations- und Managemententwicklungsinstrument - jedoch nicht als Beurteilungsinstrument. Das heißt, die Ergebnisse des 360°-Feedbacks haben keine Auswirkungen auf die Entlohnung und die weitere berufliche Entwicklung. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil die Feedback-Ergebnisse weder den Vorgesetzten der beurteilten Führungskräfte noch der Personalabteilung mitgeteilt werden.

Ebenso ist es in fast allen Unternehmen, die das 360°-Feedback für die Führungskräfteentwicklung nutzen. Zumeist erhalten das Top-Management und Personalabteilung nur einen Gesamtbericht, in dem die Ergebnisse kumuliert dargestellt sind. Hieraus können sie dann ersehen,

  • wie stark das gewünschte Führungsverhalten und die damit verbundenen Skills in ihrer Organisation bereits ausgeprägt sind,

  • wo noch Defizite bestehen und

  • welche Förder- und Entwicklungsmaßnahmen folglich angeboten werden sollten.

Dass die zugesicherte Anonymität gewahrt bleibt, ist wichtig. Denn sonst würde das Instrument in der Regel nicht akzeptiert. Das heißt, die Mitarbeiter würden sich entweder weigern, die Fragebogen auszufüllen oder in ihnen geschönte Antworten geben, wodurch das Feedback wertlos wäre. Und die Führungskräfte? Sie würden auf die Mitarbeiter zumindest einen subtilen Druck ausüben, sie möglichst positiv zu bewerten.

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