Jeder schätzt Authentizität. Und seit vielen Jahren wissen wir auch, dass die Authentizität einer Führungskraft einer der wichtigsten motivationserhaltenden Faktoren für Mitarbeiter ist. Wir erleben uns selbst die meiste Zeit authentisch. Nicht authentisch sind immer nur die anderen. Nur selten verstellen wir uns aus einem bewussten Grund. Dennoch scheint Authentizität etwas zu sein, das wir bei anderen meist nicht deutlich erleben. Wir heben es als etwas Kostbares hervor, wenn wir es an anderen erleben.
Dieses Phänomen liegt an unserer Unbewusstheit über unser Ego und die Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten jenseits der Ego-Struktur. Wir sind genauso wie jeder andere authentisch zu unseren Wahrnehmungsmustern, Orientierungsmustern, Kommunikationsmustern und Emotionen und Bedürfnissen, was alles Teil unserer Ego- bzw. Persönlichkeitsstruktur ist. Es fühlt sich für uns zum Beispiel sehr authentisch an, wenn wir uns über den Kollegen ärgern und unsere Konsequenz ziehen. Wir sind dabei jedoch nur zu unserer Prägung authentisch, die uns leider kaum Spielraum lässt, das wahrzunehmen und zu betrachten, was ist, ohne Interpretations- und Reaktionsmuster. Da es schwer ist, davon Abstand zu nehmen, geben wir uns damit zufrieden mit einem "so bin ich halt" - im Beispielfall wäre das vielleicht ein Gedanke wie "Dann muss er einfach alleine klarkommen. Ich kümmere mich ab jetzt nur noch um mein Zeug." Und das finden wir authentisch an uns selbst.
Wenn wir andere erleben mit ihren Mustern, erleben wir sie oft nicht ausgesprochen authentisch und beziehen uns damit auf eine andere, tiefere Art von Authentizität, die mit dem eigentlichen Wesen, dem Ursprünglichen, dem Menschlichen, dem Wahrhaftigen.
Drei Beispiele aus dem Arbeitsalltag
Wir erleben z.B., dass sich die Kollegin schon wieder aufregen muss, würden es aber deutlich authentischer erleben, wenn sie einfach mal sagt, dass sie sich hilflos fühlt, wenn Dinge nicht so sind, wie geplant.
Oder wir erleben, dass der Chef wieder mit seiner Lösungsorientierung unterwegs ist, anstatt einfach anzuerkennen, dass Dinge schwierig sind.
Oder wir erleben, dass der Kollege schon wieder die Hände in den Schoß legt und abwartet, statt zu sagen, dass er den Zugang zu den aktuellen Geschehnissen verloren hat und unsicher ist, was der richtige Schritt ist.
All dies ist nicht üblich im (Berufs-)Leben. Wir haben aufgehört zu spüren bzw. spüren zu wollen, wie etwas auf uns wirkt. Wir haben aufgehört, bei einer unangenehmen Empfindung zu bleiben. Wir haben aufgehört, uns ernst zu nehmen. Und wir haben schon gar nicht angefangen, unsere innere Wahrhaftigkeit anderen vermitteln zu wollen.