Vor allem die Tech-Industrie gebraucht seit Jahren das Begriffspaar "Disruption" und "disruptiv" wie selbstverständlich. Diesem Sprachgebrauch folgend, ist die Covid-19-Pandemie als Disruption zu bezeichnen - nicht nur für die Tech-Industrie, sondern auch deren gesamten Kundenbasis - Industrie, Handel, Dienstleister wie öffentliche Hand. Die Karten werden neu gemischt, es wird zweifelsfrei Gewinner wie Verlierer geben.
Kurzfristig ist es offensichtlich, dass die aktuelle Situation vor allem zu zeitlichen Nachfrageverschiebungen führt. Kunden lassen sich diesbezüglich vereinfacht in drei Gruppen einteilen:
Kunden, die kurzfristig zusätzliche Hardware oder Services nachfragen, um zum Beispiel Homeoffice für Mitarbeiter möglich zu machen, Bandbreite für digitale Prozesse auszubauen oder zusätzliche Lizenzen für Remote Access zu erwerben
Kunden, die zum Beispiel aufgrund von Unterbrechungen in ihrer Lieferkette, wegen Nachfragemangel oder auch nach stark angestiegener Nachfrage Investments vorübergehend stoppen oder zeitlich in die Zukunft verschieben
Kunden, die Investitionen oder Projekte wie ursprünglich geplant abwickeln, da sie zum Beispiel keinerlei Umsatz- und Nachfrageeinbußen zu erwarten haben und derer Geschäft sich vorerst weiter im geplanten Rahmen bewegt
Herausfordernd für den Channel wird daher die aktuell nur bedingt abschätzbare Budgetverlagerungen zwischen einzelnen Branchen sein. Dem folgend ist es für Hersteller, Distributoren und den Channel grundsätzlich von Vorteil, über eine breite, branchenübergreifende Kundenbasis zu verfügen. Je breiter diese Basis, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich über das Jahr 2020 hinweg Pandemie-Vor- wie Nachteile ausgleichen. Das heißt, die aktuellen Gegebenheiten dürften sich überwiegend in Umsatzverlagerungen widerspiegeln.
Der Jahresgesamtumsatz 2020 dürfte sich - wenngleich einzelne Monate stark variieren - ähnlich zum Vorjahr oder sogar leicht über dem Vorjahresniveau liegen, wenn sich die Situation in den kommenden sechs bis acht Wochen wieder normalisieren sollte. Wird nach Covid-19 unser Leben und Arbeiten anders sein, werden wir Produkte wie Dienstleistungen über andere Channels einkaufen und ganz neu nutzen, wie einige Auguren behaupten?
Alles wird anders, Digitalisierung auf dem Vormarsch
Die verschiedenen Katastrophen der letzten Jahre - Dotcom- und NewEconomy-Blase (2000), Terroranschläge am 11. September (2001), Weltfinanzkrise (2007), Eurokrise (2009), Überschwemmungen in Thailand (2011) oder Fukushima (2011) - zeigen, dass sich unter dem Eindruck wie auch dem Zwang der jeweiligen Ereignisse, Verhalten ändert, diese Veränderungen in vielen Fällen zeitlich aber nur von begrenzter Dauer sind.
Die Lieferengpässe aufgrund der Überschwemmungen in Thailand beispielsweise haben nicht dazu geführt, dass sich globale Technology-Lieferketten langfristig verändert haben - im Gegenteil. Auch wenn die Covid-19 Situation global und umfassender in der Konsequenz sein wird, ist aktuell davon auszugehen, dass wir unser Verhalten nach der Krise mehr punktuell als grundlegend verändern werden. Jegliche Art von (freiwilliger) bleibender Verhaltensänderung folgt einem simplen Prinzip:
überall da, wo wir einen deutlichen Vorteil durch das neue Verhalten erleben, adaptieren sie dieses und behalten es langfristig bei
überall wo wir diesen Vorteil nicht erleben, kehren wir schnell zum vormals gewohnten Verhalten zurück, suchen nach neuen Verhaltensalternativen oder verhalten uns sogar bewusst gegensätzlich zur Verhaltensänderung
Es ist offensichtlich, dass aktuell eine Vielzahl von Produkten aufgrund mangelnder stationärer Alternativen online bestellt wird. Retailer, die rechtzeitig auf einen Omni-Channel-Ansatz gesetzt hatten, waren und sind somit deutlich im Vorteil. Ob wir diesen "Shift zu Online" in Zukunft beibehalten, wird sich Produktbereich für Produktbereich separat zeigen. Die Spannbreite reicht hierbei von "werde weiter online kaufen" bis hin zu "werde wieder bewusst im Shop" kaufen. Ein Verschwinden des klassischen Channels zu propagieren, ist daher als nicht realistisch einzustufen!
Richtig ist vielmehr, dass aufgrund von "Social Distancing" und der damit verbundenen Beschränkungen im privaten wie beruflichen Umfeld eine deutliche Beschleunigung der digitalen Transformation stattfindet: Homeoffice, Remote Access, digitaler Informationszugang, virtuelle Kommunikation und Meetings, virtuelles Training und Lernen u.a. führen dazu, dass weite Bevölkerungskreise erstmalig sehr nachhaltig mit "digitalen Alternativen" konfrontiert werden.
Adaptions- und Transformationsprozesse für digitale Technologien werden aufgrund der "aufgezwungenen Verhaltensänderung" stark verkürzt, was mittelfristig zu erheblichem zusätzlichem Investment in digitale Lösungen führen wird. Die aktuell gestiegene Nachfrage nach Tech-Produkten ist erst der Anfang! Vor allem Unternehmen werden zeitnah Investitionen in digitales Equipment, Vernetzung und Services vorziehen wie auch beschleunigen. Hiervon wird die gesamte Tech-Branche nachhaltig durch zusätzliche Wachstumsimpulse in den Jahren 2020 bis 2022 profitieren.
Beschleunigte digitale Evolution
Gerade jetzt haben Reseller die Chance, den unterschiedlichen Digitalisierungsgrad ihrer Kunden zu nutzen. Branchen übergreifend lassen sich Kunden wie auch Unternehmen im Allgemeinen drei Clustern zuordnen:
Innovatoren und Early Adopter: das bisherige pro-aktive, in der Regel unternehmensweite, Investments in Cloud, Vernetzung und Digitalisierung zahlen sich in der aktuellen Krisensituation aus; sie stabilisieren die Geschäftsprozesse und halten sie weiter am Laufen; das heißt, dieser Kundenkreis wird auch in Zukunft aufgrund der gemachten Erfahrungen seine Vorreiterrolle beibehalten und neue Technologien wie in der Vergangenheit sehr schnell bereichsübergreifend adaptieren
Pragmatics und Mainstream: die Investitionen in Digitalisierung waren tendenziell reaktiv, von fallweisen oder bereichsspezifischen Entscheidungen geprägt, wodurch nun lediglich einzelne Bereiche in der aktuellen Krisensituation deutlich profitieren; das heißt, diese Unternehmen werden ihren zweigeteilten Erfahrungen folgend, einerseits Digitalisierung beschleunigen, andererseits "Silo-Implementierungen" verstärkt durch unternehmensweite Lösungen ersetzen
Laggards und Late Majority: es wurde in der Vergangenheit eher zögerlich, stark abwartend oder sehr selektiv in Digitale Transformation investiert, was im Vergleich zum Wettbewerb zu größeren Herausforderungen in der aktuellen Situation führt, das heißt bei diesen Unternehmen ist zu erwarten, dass Technologieadaption in Zukunft deutlich mehr zeitnah und schnell stattfindet; aktuell werden bereits zusätzliche Investitionen getätigt, um das digitale Defizit zu verringern, diese werden in den kommenden Quartalen weiter andauern
Welchem Cluster ein Unternehmen auch zugehörig ist, eines ist allen Clustern gemeinsam: dass Adoptionsverhalten verkürzt sich, Investitionen in digitale Technologien werden ansteigen! Reseller werden in Zukunft - wenn sie geschickt auf die gemachten disruptiven Erfahrungen verweisen - vor allem bei mittelständischen Unternehmen etwas weniger Überzeugungsarbeit im Verkaufsgespräch leisten müssen!
Bei freien Kapazitäten sollten zudem potenzielle Kunden entsprechend ihrer Adaptionsgeschwindigkeit priorisiert werden. Beides reduziert das Risiko von Umsatzausfällen während und in den Wochen nach der Covid-19 Krise signifikant. Für die Tech Tech-Industrie dürfte die aktuelle Krise somit kein Anlass zu größerer Besorgnis sein. Im Gegenteil, Covid-19 und Corona markieren den Beginn einer weiteren lokalen wie globalen Digitalisierungswelle!
Lesetipp: Mit Kassen Kasse machen