Die Telekom wird zum Stromhändler
Am 7. September 2010 verkündet die Telekom, man wolle zukünftig viel Geld mit intelligenten Netzen für Gesundheit, Mobilität und Energie verdienen. Bis 2015 sollen so mehr als eine Milliarde Euro in die Kasse fließen. Im Dezember 2010 bahnt sich eine enge Kooperation zwischen dem konventionellen Energieanbieter Eon und der Telekom an, denn Eon vergibt Großaufträge an T-Systems. Zudem kooperiert die Telekom mit der Stadt Duisburg, wo Smart-Grid-Pilotprojekte aufgebaut werden.
2011 intensiviert der Konzern das Engagement auf dem Strommarkt: Auf der Energiemesse E-World präsentiert die Telekom unter anderem eine Energieverbrauchsberatung für Unternehmen. Im Mai verkündet das Management, dass die Telekom-Läden künftig auch Eon-Strom verkaufen.
2011: Hoffnung und Enttäuschung liegen dicht beieinander
Das Jahr 2011 brachte bei der Telekom zunächst ein großes Stühlerücken: Europa-Chef Guido Kerkhoff drängte es zu Thyssen-Krupp, wo er den Finanzvorstand übernahm (ein neuer Job, den er heute vielleicht angesichts der schlechten Lage des Stahlkonzerns nicht mehr annehmen würde). Bei T-Systems wurde Dietmar Wendt Vertriebsleiter, Servicechef Olaf Heyden wurde im März durch den ehemaligen EDS-Chef Hagen Rickmann ersetzt und Ulrich Meister übernahm die Sparte Systemintegration.
Im Mai schob Telekom-Chef Obermann zwei Personalien nach, die davon zeugen, dass die kurz zuvor definierte Frauenquote bei der Telekom nicht nur auf dem Papier steht: Ex-Präsidentin der Hochschule München, übernahm das Ressort Personal, und die Physikerin Claudia Nemat, Ex-McKinsey-Direktorin Technologie für den Bereich EMEA, den von Kerkhoff verlassenen Posten des Europa-Chefs. Ein weiteres erfolgreiches Personalereignis war die Verleihung des renommierten Leibniz-Preises an Professorin Anja Feldmann. Sie hat eine Stiftungsprofessur der T-Labs an der TU Berlin inne und leitet die Forschungsgruppe Intelligente Netze und gemanagte verteilte Systeme der TU Berlin.
Dann folgte ein ökonomischer Schachzug, der die Telekom endlich von ihrem Sorgenkind, dem Mobilgeschäft in den USA, befreien sollte. Das hatte sich nach hoffnungsfrohem Einstieg als nerventötendes Fass ohne Boden entpuppt. Der Plan: AT&T kauft der Telekom T-Mobile USA für 39 Milliarden Dollar ab und beteiligt den deutschen TK-Primus als einen Teil des Kaufpreises mit acht Prozent am eigenen Unternehmen. Management und Analysten frohlockten, endlich schien der Klotz am Bein abgelegt. Doch vor die Freude haben die Gesetzgeber die Genehmigung durch die Regulierer gesetzt…
Dass in den USA etwas geschehen musste, zeigten auch die im August präsentierten Telekom-Zahlen zum zweiten Quartal des Jahres: Dort ging der Umsatz um 6,8 Prozent zurück, im fortzuführenden Geschäft um 2,6 Prozent. Das ist zwar auch kein Grund zum Jubeln, konnte allerdings mit einer gewissen Berechtigung vor allem auf das naturgemäß abbröckelnde Festnetzgeschäft des Ex-Monopolisten zurückgeführt werden, während Neugeschäft und Margen wuchsen. Doch auch jetzt stand die Genehmigung der amerikanischen Behörden zum AT&T-Deal aus, und die zeigten sich extrem skeptisch und anspruchsvoll. Das Management unternahm weiter allerlei, um seine mit den Wünschen der Antitrust-Wächter in den USA übereinzubringen.
Um dem bröckelnden Festnetz-Business etwas entgegenzusetzen, investierte die Telekom ganzjährig weiter in neue Geschäftsfelder, zuvorderst Mobile. Großes Engagement steckt der Anbieter hier seit 2011 in die mobile Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, relevant beispielsweise für Telematikanwendungen, Steuertechnik im Allgemeinen und Innovatives. Eine Vereinbarung mit Telia Sonera sicherte Roaming-Fähigkeiten von M2M-Karten in Nordeuropa und dem Baltikum, und eine Kooperationsvereinbarung mit Intel versprach neue, gemeinsam entwickelte M2M-Produkte.
Die können vielerlei sein: So lieferte die Telekom dem Carsharing-Unternehmen car2go eine M2M-SIM-Karte und hat damit einen Fuß in einem der wichtigsten Telematikmärkte. Hinzu kommen mobile Gesundheitsdienste und -geräte (für die die Telekom im August 2011 ihre Läden öffnete), mobiles Bezahlen oder das drahtlose Auslesen von intelligenten Zählersystemenim Energiebereich, wo die Telekom ihr Engagement durch Cloud-Lösungen für Provider und komplette Smart-Meter-Services-Angebote etc. untermauert.
Klar, dass bei derart verlockenden Geschäften die Netze im Funkbereich schnellstens ausgebaut und weiter beschleunigt werden. Die Zukunft heißt hier LTE: Zur MobileWorld 2011 bringt die Telekom einen ersten LTE-Stickund im Juni wird Köln die erste von 100 geplanten "LTE-Städten" der Telekom. Neue, günstige Flatrates für Sprache und Daten sollen Kunden zu T-Mobile locken.
Auch für den Einstieg in die Cloud, ein weiteres Zukunfts-Geschäftsfeld, will der Provider seine Kunden motivieren: Er kreiert ein kostenloses Serviceangebot, das für alle Telekom-Kunden kostenlos zur Verfügung steht und mit allen Endgeräten funktioniert. Anders dagegen bei Breitband-Glasfaser: Wohl hauptsächlich, weil alternative Provider wie m-net in München hier munter voranpreschen, verkündet auch die Telekom im Februar 2011 mit großem Getöse eine FTTH-Ausbauinitiative für zehn Städte.
Zum Jahresende gibt es noch einmal größere Neuigkeiten: Erstens, das ist aus Telekom-Sicht sozusagen die positive, wird die interne IT, bei der Telekom naturgemäß ein Kernbestandteil des Geschäfts, zu T-Systems verlagert. Das bedeutet für den bisherigen CIO Steffen Roehn den Abschied. Er sei T-Systems gegenüber zu sehr als fordernder externer Kunde aufgetreten, um nun den neuen Bereich dort integrieren zu können, begründet der Manager den Ausstieg; erst 2012 wird ein Nachfolger benannt.
Die zweite Nachricht ist dann der Tiefschlag zum Jahreswechsel: AT&T und Telekom kapitulieren vor den Einwänden der Regulierungsbehörden und geben ihren geplanten T-Mobile-Deal auf. Der Klotz hängt wieder fest am Bein der Telekom. Wahrscheinlich hätte sich René Obermann ein anderes Weihnachtsgeschenk gewünscht.