Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt, analysierte die persönlichen Kundenbeziehugen im digitalen Zeitalter.
Frau Liebermeister, wie stark verändert die Digitalisierung aus Ihrer Sicht die Bankenwelt?
Liebermeister: Die Digitalisierung hat in den zurückliegenden Jahrzehnten die Finanzbranche schon stark verändert, und sie wird dies künftig mit erhöhter Geschwindigkeit tun. Der Trend geht hin zu Geräten und Medien, weg vom Menschen. Diese Entwicklung finde ich schade. Denn gerade im Dienstleistungssektor, zu dem auch die Banken zählen, werden die Leistungen durch die Digitalisierung noch vergleichbarer. Der Mensch ist gerade im Dienstleistungssektor das unterscheidende Element. Wenn der Faktor "Mensch" wegbricht, welchen einzigartigen, schwer kopierbaren Vorteil haben die Filialbanken dann noch gegenüber ihrer Online-Konkurrenz?
Die Beziehung Mensch-Mensch wiederbeleben
Die Banken müssen also den Mensch Kunden im Blick haben. Ist das heute nicht der Fall?
Liebermeister: Nein, hierfür ein banales Beispiel: Die meisten Filialbanken und Sparkassen haben heute noch sozusagen konsequent geschlossen, wenn Berufstätige Zeit hätten, sie aufzusuchen - in den Mittagsstunden, den frühen Abendstunden, samstags beziehungsweise am Wochenende. Und dann wundern sie sich, wenn ihre Kunden ihre Geldgeschäfte zunehmend online erledigen und irgendwann ganz zu Online-Anbietern wechseln.
Viele Banken verkünden zwar seit Jahren: Der Mensch "Kunde" und der Mensch "Mitarbeiter" sollen noch oder wieder stärker im Zentrum unseres Handelns stehen. Doch ihre Energie verwenden sie primär darauf, den Kontakt mit den Kunden zu digitalisieren. Das heißt, mit ihnen wird zunehmend per Computer, per E-Mail und mit Hilfe der sozialen Medien kommuniziert. Die Banken bauen also digitale Prozessstrecken auf, bei denen die Kunden keine Menschen, sondern eine Ansammlung von Daten sind - die Beziehung Mensch-Mensch geht verloren.
Sind die Kunden aufgrund ihres Verhaltens mitverantwortlich für diese Entwicklung?
Liebermeister: Selbstverständlich - unter anderem, weil sie oft primär auf die Konditionen schauen. Man kann es aber auch umgekehrt sehen und sagen: Den stationären Banken gelingt es nicht, ihren Zielkunden den Mehrwert ihrer Leistung aufzuzeigen - häufig weil ihnen bei ihren Entscheidungen die nötige Sensibilität für Kundenbedürfnisse fehlt.
Die emotionalen Bedürfnisse der Kunden beachten
Können Sie das erläutern?
Liebermeister: Ja am besten an einem ganz alltäglichen Beispiel. Vor einiger Zeit erzählte mir ein sehr gut betuchter Bekannter, dass er sich regelmäßig über seine Bank "schwarz ärgert". Warum? Fast jedes Mal, wenn er in seine Bankfiliale kommt und ein spezielles Anliegen hat, muss er sich ausweisen, weil das Schalterpersonal ihn nicht kennt - obwohl er seit fast 30 Jahren Kunde der Bank ist und in der Filiale regelmäßig ein- und ausgeht. Warum? Die Bank tauscht ihr Schalterpersonal, so die Wahrnehmung meines Bekannten im "3-Monats-Rhythmus" aus. Wie soll dann eine Beziehung Mensch-Mensch entstehen?
Wo sehen Sie die Ursachen solcher Fehler?
Liebermeister: Zweifellose müssen die Banken aufgrund des technischen Fortschritts sowie des veränderten Kundenverhaltens ihre Geschäftsstrategien und Geschäftsprozesse überdenken. Sie müssen dabei jedoch aufpassen, dass sie den Menschen als Individuum mit seinen sozialen, kommunikativen und emotionalen Wünschen und Bedürfnissen nicht aus dem Blick verlieren. Denn die zunehmende Digitalisierung führt zu einer Versachlichung der Kommunikation. Daraus folgt der zweierlei. Erstens: Der einzelne Kunde wird von den Banken immer weniger als Person, als Individuum wahrgenommen. Und zweitens: Der Bankkunde baut keine persönliche Beziehung zu den Bankmitarbeitern und somit zur Bank mehr auf.