5,6 Prozent mehr Mobile jedes Jahr
Die Chancen, dass Pruchnow die Wette gewinnt, stehen gut. Schließlich sparen sich schon heute einige Unternehmen die festen Büroarbeitsplätze und halten die Mitarbeiter zum Teilen an - so bauen beispielsweise Siemens und Microsoft in den kommenden Jahren ihre Standorte um. Die Technologie bereitet hierfür den Boden: Laut IDC waren 2010 rund 75 Prozent der amerikanischen Arbeitnehmer mobil, und in der Region EMEA soll die mobile "Workforce" bis 2015 jährlich um 5,6 Prozent auf 245 Millionen Arbeitnehmer zunehmen.
Eine belastbare Aussage, ob hierzulande 50 Prozent der geschätzten 20 Millionen Büroarbeitsplätze eingespart werden, ist jedoch nicht möglich - wenn auch wahrscheinlich: "Definieren wir ‚fest’ als einen Arbeitsplatz mit Schreibtisch und Stuhl, wird der Punkt schon vorher erreicht sein", prognostiziert Dieter Boch, Geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (IAFOB) in Anzing bei München.
Damit es so weit kommt, muss man sich erst mal mit neuen Begriffen beschäftigen, um die ganze Dimension der Veränderungen zu umreißen. Bei Multilokalität, Desk-Sharing, nonterritorialen Büros, Work-Life-Integration, Clean-Desk-Policy, Follow-Me-Druckern, Meet- and-Talk-Bereichen, einem Dekorationsindex und dem Prinzip des Free-Sitting entwickelt ein altes Einzelzimmer wieder einen gewissen Charme: Man weiß, was man hat. Im Gegensatz dazu organisieren sich Münchner Berater bei der Boston Consulting Group (BCG) in "Dörfern" unter einem "Häuptling" und treffen sich auf dem "Marktplatz". Derweil hat Accenture in München einen "Business Club" als Büro eröffnet, das zugrunde liegende Prinzip ist das "Hotelling": Man bucht sich ein, wenn man einen Raum benötigt.
Doch auch abseits dieser Showcases und Leuchtturmprojekte ist die deutsche Bürolandschaft in Bewegung, stellt Stefan Kiss fest, Director Applied Research & Consulting beim Büromöbelkonzern Steelcase. "Leerstand und Desk-Sharing zwingen Unternehmen, sich auf einer strategischen Ebene Gedanken zu machen, mit Gebäuden und Flächen intelligenter umzugehen." Rund 40 Prozent der normalen, festen Arbeitsplätze sind tagsüber nicht besetzt, zitiert der Strategieberater aus einer Studie. Urlaub, Krankheit, Schulungen, Meetings, Reisen, Kundentermine und Home-Office-Tage lassen Zweifel am Sinn eines zugewiesenen Schreibtischs aufkommen: "Die Verortung des Mitarbeiters an einen Arbeitsplatz - mein kleines Reich - nimmt ab", bilanziert Kiss.
Schließlich hat sich das Arbeitsumfeld an sich verändert. Interdisziplinäre und projektbasierte Zusammenarbeit sowie die globale Vernetzung sind in vielen Unternehmen längst Realität. „Campus-mobiles Arbeiten“ heißt diese Flexibilität etwa bei Steelcase. Nicht mehr Schreibtisch und Stuhl seien daher die Kriterien für den Arbeitsplatz, sagt IAFOB-Arbeitsexperte Boch. "Es geht darum, die Raumbedürfnisse des Menschen zu erfüllen - zum Kommunizieren, Recherchieren, Lernen, Ausruhen und für konzentriertes Arbeiten." Die geistigen Anforderungen der Arbeitsprozesse müssten in Einklang gebracht werden mit den Erholungsprozessen und den privaten Lebensbedürfnissen des Menschen, fordert Boch. "Diese Aufgabe können nur wechselnde Arbeitsplätze leisten."