Seit 1989 bin ich in der IT. Meine Karriere begann in der Großrechner-basierenden Zeit als Systemberaterin. Für Kundeneinsätze fakturierte mein damaliger Arbeitgeber, ein Softwarehaus, 1200 Mark pro Tag zuzüglich der Reisekosten - Bahn und Flug erster Klasse. Dieses Honorar wurde für mich - eine blutjunge Anfängerin bezahlt.
27 Jahre später zahlen die Kunden für IT-Selbständige im Durchschnitt 80,50 Euro pro Stunde. Natürlich bekomme ich ein Honorar oberhalb dieses Stundensatzes, teilweise liegt mein Honorar sogar mehr als 30 Prozent darüber und damit gehöre ich zu den 18,7 Prozent der besser verdienenden IT-Freiberuflern.
Im Vergleich zu dem Honorar, das Kunden 1989 für mich bereit waren zu zahlen, ist mein Wert seitdem gesunken und das, obwohl ich heute eine Expertin bin und auf einen tiefen Erfahrungs- und Methodenschatz schöpfe. Mein Arbeitsalltag ist anstrengend und intensiv, verursacht viel Reiserei, und ich nehme Einbußen der Lebensqualität in Kauf, um meine Kunden zufriedenzustellen. Der Kundenmitarbeiter, der meine Stundenzettel sieht, meinen Stundensatz kennt und rechnen kann, bekommt große Augen. Rechnungsbeträge um die 17.000 oder 18.000 Euro pro Monat rufen Neid und Missgunst hervor. Auch der Einkauf sieht diese Summen und entwickelt automatisch den Impuls, verhandeln zu müssen.
Der durchschnittliche Stundensatz, der von Gulp ermittelt wird, wirkt wie eine magische Grenze. Um darüber zu kommen, muss man schon ein besonderes Know-how besitzen oder gut verhandeln können. Die Agenturen, die mehr als 70 Prozent der IT-Selbständigen an die Projektkunden vermitteln, haben kaum ein Interesse daran, den Stundensatz der Freelancer in die Höhe zu treiben, ganz im Gegenteil.
Die zwei Agenturmodelle
Im Markt gibt es zwei unterschiedliche Modelle. Beim ersten Modell bekommt die Agentur einen mit dem Kunden vereinbarten Stundensatz. Je weniger sie davon dem Selbständigen zahlt, je größer ist der bei der Agentur verbleibende Anteil. In einem sehr arbeitsintensiven Monat, bleiben da schon einmal 4472 Euro Honorarzahlungen des Kunden bei meiner Agentur. Skurril ist die Praxis, bei der Agenturen an Ausschreibungen der Projektkunden teilnehmen, um als Preferred Supplier gelistet zu werden. Hier unterbieten sich die Agenturen gegenseitig, obwohl sie die Leistung gar nicht selbst erbringen und alle auf die gleichen Ressourcen zugreifen: die 92.000 existierenden IT-Selbständigen. Arbeitet man mit einer solchen Agentur, dann kann man als Antwort auf die eigene Honorarforderung hören: "Wir haben einen Rahmenvertrag mit dem Kunden. Für die hier angefragte Leistung können wir Ihnen höchstens 67,48 Euro pro Stunde anbieten."
Beim zweiten Modell wird der Anteil für die Agentur pro fakturierte Stunde des Selbständigen vorab mit dem Kunden festgesetzt. Entweder handelt es sich um einen prozentualen Anteil oder um einen festen Betrag je Stunde. Nur in dem Fall, dass ein prozentualer Anteil festgelegt wird, hat auch die Agentur ein Interesse daran, den besten Stundensatz für den Selbständigen zu erreichen.
Die Zusammenarbeit mit IT-Selbständigen ausschließlich indirekt, also über Agenturen zu realisieren, hat in den letzten Jahre enorm zugenommen und den Agenturen Zuwächse in zweistelligen Bereichen beschert, während sich die Selbständigen mit Honorarzuwächsen von durchschnittlich 0,50 Euro zufrieden geben. Die vertraglichen Rahmenbedingungen wurden bereits zwischen Projektkunde und Agentur festgelegt. Der IT-Selbstständige muss diese akzeptieren. Anpassungen lassen sich nur selten umsetzen. Das ist in meinen Augen keine Geschäftsbeziehung auf Augenhöhe, die wir IT-Selbständige eingehen. Und im Übrigen: Auch der Rentenversicherung ist das ein Dorn im Auge und liefert ein Argument für Scheinselbständigkeit.
Wir Selbstständige müssen akzeptieren, was Dritte ausgehandelt haben
Die Agentur kümmert sich weder um die weitere Vermarktung des Selbständigen, wenn ein Auftrag endet, noch um dessen Marktfähigkeit, etwa durch Weiter- und Ausbildungen. Um all das kümmert sich der Selbständige eigenverantwortlich. Dazu gehören auch der Marktauftritt und die rechtzeitige Akquise eines Anschlussauftrages. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Selbständigkeit erfordert schließlich eigenverantwortliches Planen und Handeln. Es erfordert auch, das eigene Angebot zu definieren, zu entwickeln und am Markt anzubieten. Und zwar zu einem Preis, den man mittels Kalkulation ermittelt hat. Und all das macht den Unterschied zwischen einem Experten und einer Ressource aus.
Diesen Unterschied zu erkennen, ist zu einem Zeitpunkt, zu dem die IT-Selbständigen durch Neuregelungen zur Scheinselbständigkeit in ihrer Existenz bedroht sind, wichtig. Die meisten Freiberufler sind fachlich fokussiert und haben wichtiges und wertvolles Know-how aufgebaut. Sie kennen sich aus und können den Kunden bei der Lösung von Problemen oder der Realisierung von neuen Lösungen unterstützen. Dazu tauchen sie für den Zeitraum der Beauftragung in dessen Organisation ein. Sie arbeiten nach dem vom Kunden aufgestellten Projektplan an dessen Zielsetzung. Sie berücksichtigen dabei die Besonderheiten und auch die Wünsche des Kunden hinsichtlich Ort sowie der Art und Weise der Leistungserbringung. Ist das Kundenorientierung oder das Umsetzen von Weisungen des Kunden? Letzteres legt die Deutsche Rentenversicherung als Indiz für Scheinselbständigkeit aus.
Dieser Unterschied beginnt schon bei der Projektausschreibung: Da wird eine Ressource benötigt, die vom Zeitpunkt X bis zum geplanten und vom Kunden vorgegebenen Ende die ausgeschriebene Rolle wahrnimmt. Dafür ist ein Auftragsvolumen von N Tagen vorgesehen. Nicht definiert werden konkrete Liefergegenstände. Der eingekaufte IT-Berater wird bei der Umsetzung den Anforderungen des Kunden folgen. Er wird dessen Vorlagen nutzen und dessen Prozessen folgen. Er wird an den vom Kunden eingeforderten Meetings und Veranstaltungen teilnehmen, da er Teil eines Teams ist. In der Zusammenarbeit ist ein Unterschied zwischen Internen und Externen oft nur an der E-Mail-Adresse erkennbar.