Unsere Schwächen sind meist übertriebene Stärken
Bei einem genauen Betrachten der sogenannten Schwächen von Mitarbeitern zeigt sich zudem oft: Ihre vermeintlichen Schwächen sind übertrieben ausgeprägte Stärken. So arbeitet zum Beispiel eine Person, die zur Pedanterie neigt, stets sehr ordentlich und gewissenhaft. Das heißt: Sie arbeitet strukturiert und prüft regelmäßig, ob sie keine Fehler gemacht hat. Diese Eigenschaften benötigen nicht nur Controller und Programmierer. Zur Schwäche wird ein solches Verhalten erst,
wenn der Mitarbeiter Aufgaben wahrnimmt, bei denen dieses Verhalten den Erfolg eher verhindert als fördert, oder
wenn er zum Beispiel jeden Arbeitsschritt aus Angst, einen Fehler zu machen, so oft kontrolliert, dass die meiste Arbeit liegen bleibt.
So verhält es sich bei fast allen "Schwächen": Sie sind übertrieben ausgeprägte Stärken. Aus einer hohen Eigeninitiative kann schnell eine mangelnde Teamfähigkeit werden. Und eine sehr große Vorsicht kann zu mangelnder Entschlusskraft führen. Jedoch nur, wenn die betreffende Person eine Aufgabe wahrnimmt, bei der diese Verhaltensmuster nicht gefragt sind. Hierfür ein Beispiel: Wenn ein Flugzeugmechaniker die wichtigsten Teile eines Flugzeugs vor einem Flug mehrfach prüft, dann handelt er verantwortungsbewusst. Denn ein technischer Defekt beim Fliegen kann Hunderte von Menschen das Leben kosten. Beschäftigt sich hingegen ein Einkäufer wochenlang mit der Frage, ob er die neuen Kugelschreiber bei diesem oder jenem Großhändler kauft, dann ist dies vermutlich ein Zeichen mangelnder Entschlusskraft. Das heißt: Das gleiche Verhalten kann eine Stärke und eine Schwäche sein - abhängig davon, in welcher Situation es gezeigt wird.
Blick auf Stärken eröffnet neue Perspektiven
Diese Zusammenhänge sind vielen Menschen nicht bewusst. Wenn sie im (Arbeits-)Alltag häufig mit denselben Schwierigkeiten kämpfen, verdichtet sich bei ihnen schnell das Gefühl: Ich habe hier eine Schwäche. Dieses Gefühl wird mit der Zeit zuweilen so stark, dass sie ihre Stärken aus dem Blick verlieren. Entsprechend unsicher werden sie.
Dann ist meist ein neutraler Gesprächspartner hilfreich, der ihnen wieder die Augen öffnet - nicht nur für ihre offensichtlichen Stärken, sondern auch für die Stärken, die sich hinter ihren "Schwächen" verbergen. Dann wird ihnen oft klar, dass sie auch von vielen ihrer vermeintlichen "Schwächen" profitieren könnten, sofern sie diese zur richtigen Zeit und in den richtigen Situationen aktivieren würden.
Dann wird häufig auch deutlich, dass viele unserer vermeintlichen Schwächen aus einem falschen Rollenverständnis resultieren. So sind zum Beispiel viele Verkäufer überzeugt: Ein Top-Verkäufer muss mit jeder Person sozusagen im Handumdrehen "Freundschaft" schließen können. Ein Irrglaube - denn viele Kunden empfinden ein entsprechendes Verhalten als anbiedernd und unprofessionell. Und manchen Chef plagen Selbstzweifel, weil er der Auffassung ist, eine Führungskraft müsse stets wie ein Fels in der Brandung stehen und dürfe nie Unsicherheit zeigen. Ebenfalls ein Irrglaube! Denn viele Mitarbeiter identifizieren sich gerade mit Vorgesetzten, die sich menschlich und nahbar zeigen.
Ein solches Augen-Öffnen ist auch fruchtbar, weil viele Menschen, die häufig gegen dieselben Barrieren stoßen, glauben: Ich muss mich radikal verändern. Wenn die meisten unserer Schwächen jedoch nur übertrieben ausgeprägte Stärken sind, ist dies nicht nötig. Dann genügen oft kleine Verhaltenskorrekturen, um wieder in die Erfolgsspur zu gelangen. (OE)
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