Feedback für Mitarbeiter

Jahresgespräche sind out

Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Viele IT-Unternehmen verabschieden sich von einer mehr oder weniger lieb gewonnenen Gewohnheit – dem Jahresgespräch. An dessen Stelle treten regelmäßige Motivations- und Coaching-Gespräche, wie zwei Beispiele zeigen.
 
  • Immer mehr Firmen merken, dass das Jahresgespräch motivierte Beschäftigte frustriert
  • Einige versuchen daher, ihren Mitarbeitern als Coach und weniger als strenger Richter gegenüberzutreten
  • Gegen Jahresgespräche spricht unter anderem, dass sich am Jahresanfang vereinbarte Ziele oft sehr schnell verändern

Jeder Mitarbeiter kennt sie, wenige mögen sie - Jahresgespräche mit dem Chef, in denen Mitarbeiter das vergangene Jahr Revue passieren lassen, mit ihrem Vorgesetzten neue Ziele festlegen und auch über Boni und Gehalt sprechen. Manche Unternehmen perfektionierten den Prozess mit ausgetüftelten Fragebögen, Noten, Ranking, 360-Grad-Feedback. Doch oft murren Mitarbeiter über dieses Prozedere, bei dem ihre Vorgesetzten krampfhaft versuchen, Engagement in Skalen zu pressen, sogenannte Top-Performer auszuzeichnen und - wie es vor allem in amerikanischen Konzernen lange üblich war - die sogenannten Minder-Performer zu feuern. Dass dieses darwinistische System motivierte Beschäftigte frustriert, merken immer mehr Firmen. Einige beginnen, sich von diesen Gewohnheiten zu verabschieden, und suchen neue Wege, ihren Mitarbeitern als Coach und weniger als strenger Richter gegenüberzutreten.

Jahresgespräche aufzugeben und sie durch andere Motivationsstrategien zu ersetzen, fällt nicht jedem Chef leicht.
Jahresgespräche aufzugeben und sie durch andere Motivationsstrategien zu ersetzen, fällt nicht jedem Chef leicht.
Foto: g-stockstudio - shutterstock.com

"Ich war am Anfang nicht so begeistert davon, den gut etablierten Prozess der Jahresgespräche abzuschaffen, denn jeder wusste, was er zu tun hatte, und das Ranking lieferte ein gutes Bild der gesamten Belegschaft", gibt Ute Maria Zankl, Personalchefin von SapientNitro, offen zu. Doch sie kannte auch die Schwächen des starren Systems: "Die Hälfte der Mitarbeiter ging aus dem Jahresgespräch heraus und war frustriert, wenn es im Ranking nur für den dritten von fünf Plätzen reichte. Wer im vergangenen Jahr sehr hart gearbeitet hatte, erwartete eine bessere Benotung."

Gerade in der schnelllebigen IT-Branche wirken Jahresgespräche antiquiert, denn viele der im Januar vereinbarten Ziele überrollt die Realität spätestens im Juli. Heute sprechen Mitarbeiter von SapientNitro regelmäßig, mindestens einmal im Quartal, mit dem für sie verantwortlichen People-Manager. Diese Gespräche ähneln einem Motivationsgespräch, in dem es vor allem um die Weiterentwicklung geht. SapientNitro beschäftigt weltweit rund 9000 Mitarbeiter, in Deutschland sind es etwa 380. Seit drei Jahren tüftelt das Unternehmen an der neuen Methode, doch die Personalchefin gibt offen zu, dass dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Zankl vermutet, dass es ein weiteres Jahr braucht, bis die neuen Verfahren rund laufen und die Quartalsgespräche etabliert sind.

Nicht jeder Manager ist begeistert

Um den Wechsel von den durchstrukturierten Jahresgesprächen zu den offeneren Motivationsdialogen zu bewältigen, benötigen auch die Manager Schulungen und Trainings. "Wir haben intensiv mit Universitäten, vor allem in den USA, zusammengearbeitet, uns Themen der Lernpsychologie angesehen und mit anderen Unternehmen wie Adobe oder Google gesprochen, um unseren eigenen Stil für die Gespräche zu finden. Wir bieten den People-Managern viel Unterstützung an", sagt Zankl. Manchen Managern liegt der neue Coaching-Stil, der regelmäßige und offene Austausch, andere müssen sich intensiv einarbeiten.

Ute Maria Zankl, Personalchefin von Sapient Nitro, ist überzeugt von ihrem neuen Gesprächsstil.
Ute Maria Zankl, Personalchefin von Sapient Nitro, ist überzeugt von ihrem neuen Gesprächsstil.
Foto: Sapient Nitro

Bei den Mitarbeitern kommt die neue Gesprächskultur anscheinend gut an, wie die Personalchefin betont. In regelmäßigen Befragungen äußerten sich rund 80 Prozent der Belegschaft sehr zufrieden mit dem neuen Stil. Doch die Personalchefin fügt hinzu: "Es ist ein Abenteuer, zu dem wir uns entschlossen haben, wir lernen selbst ständig noch dazu." Doch für Zankl steht außer Frage, dass es die passen­dere Methode für ihr Unternehmen ist. Verantwortliche reagieren schneller auf Veränderungen, kennen die Stimmung in der Belegschaft besser und bemerken früh, wenn Probleme auftauchen. Zankl nennt noch ein weiteres ­Argument, weshalb regelmäßige Gespräche mit den Mitar­beitern auf Augenhöhe der rich­tige Weg sind: "Wir verlangen viel von unseren Mitarbeitern und wollen ihnen auch optimale Arbeitsbedingungen bieten. Zufriedenheit, eine niedrige Fluktuation und Engagement sind uns wichtig."

Auch NTT Data verabschiedete sich von den etablierten Jahresgesprächen. "Die Koppelung von Gehalts- und Feedback-Gespräch geht in die falsche Richtung", sagt Swen Rehders, Geschäftsführer von NTT Data, der die Verantwortung für das IT-Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen in Deutschland und in den Landesgesellschaften Österreich, Rumänien und Dänemark trägt. NTT Data hat die Bewertung seiner Mitarbeiter abgeschafft und führt nur noch regelmäßige Entwicklungsgespräche. "Wir setzen auf eine Dialogkultur, geben unseren Mitarbeitern regelmäßig Feedback und entwickeln gemeinsam eine Perspektive für die nächsten drei Jahre", erläutert Rehders.

Unternehmen erweitert Karriereangebote

Seit eineinhalb Jahren leitet der 54-jährige Wirtschaftsinformatiker Rehders die Geschicke des Unternehmens. Neben wirtschaftlichen Zielen will er auch eine andere Unternehmenskultur etablieren. Ein Wir-Gefühl in der Belegschaft und eine enge Verbundenheit mit dem Beratungshaus zählen dazu. Gerade weil die NTT-Data-Berater über viele Standorte verteilt und häufig beim Kunden arbeiten, schätzt Rehders gemeinsame Events wie ein mehrtägiges Treffen aller Mitarbeiter. "Wir haben Anfang des Jahres zwei Tage gemeinsam mit den Mitarbeitern verbracht, Ziele diskutiert und die neuen Feedback-Gespräche vorgestellt", sagt Rehders. NTT Data etablierte einen Stufenplan, der den Beratern Perspektiven und Entwicklungschancen für die nächsten drei Jahre eröffnet. "Wir möchten das Potenzial jedes Mit­arbeiters weiterentwickeln und haben sechs Laufbahnwege konzipiert", erläutert Rehders. Neben Führungsaufgaben beinhaltet das ­Programm auch Fachkarrieren. Regelmäßige ­Gespräche mit den Teamleitern und ein um­fangreiches Schulungsangebot ergänzt das maßgeschneiderte Karriereprogramm. Doch Rehders denkt auch betriebswirtschaftlich: Wer sich im Unternehmen wertgeschätzt fühlt und die Wahl zwischen unterschiedlichen ­Karrierewegen hat, denkt seltener über einen Wechsel nach. Als ehrgeiziges Ziel möchte der Geschäftsführer die Fluktuation von zwölf auf höchstens zehn Prozent senken.

Swen Rehders, Geschäftsführer von NTT Data, war es wichtig, persönliche Weiterentwicklung und Karriere­perspektiven nicht mit Fragen nach mehr Geld zu vermengen.
Swen Rehders, Geschäftsführer von NTT Data, war es wichtig, persönliche Weiterentwicklung und Karriere­perspektiven nicht mit Fragen nach mehr Geld zu vermengen.
Foto: NTT Data

Über Gehalt und Boni geht es in den Feedback-Gesprächen dagegen nicht. Im Vorfeld der ­jährlichen Gehaltsverhandlungen sprechen die Mitarbeiter mit ihren Vorgesetzten über ihre Erwartungen hinsichtlich der Vergütung. Entschieden wird über die Gehälter aber nicht im Gespräch mit den Mitarbeitern, sondern in einem Gehalts-Roundtable des jeweiligen Management-Teams. Rehders war es wichtig, persönliche Weiterentwicklung und Karriere­perspektiven nicht mit Fragen nach mehr Geld zu vermengen. In die Berechnung fließen Kenn­zahlen wie erfolgreiche Projektarbeit und Engagement ein. Der Trend weg von den Jahresgesprächen kommt vielen Mitarbeitern entgegen. Sie möch­ten nicht zurück auf die Schulbank und mit Zensuren drangsaliert werden.

Das spricht gegen Jahresgespräche

  • Coaching- und Motivationsgespräche schaffen ein fruchtbareres Klima, besonders wenn es auch Weiterbildungsangebote gibt.

  • Viele Mitarbeiter möchten sich nicht in ein Notenschema pressen lassen.

  • Strenge Bewertungen frustrieren Mitarbeiter besonders dann, wenn sie sich zu schlecht benotet fühlen und keine Gehaltserhöhung erhalten.

  • Am Jahresanfang vereinbarte Ziele verändern sich oft schneller, als die Personalabteilung ein neues Dokument anlegen kann. Besser auch hier: flexibel auf Veränderungen reagieren.

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