Es gibt viele gute Gründe, ein E-Commerce-System einzuführen. Höhere Erwartungen an Vertrieb und Kommunikation gepaart mit der digitalen Transformation bringen die E-Commerce-Thematik zurzeit flächendeckend in die Chefetagen. Der Marktdruck ist hoch, die Investitionskosten sind grundsätzlich überschaubar; über das Ob ist daher meist schnell entschieden.
Obwohl in erster Linie strategische, vertriebliche oder Marketinggründe hinter dieser Entscheidung stehen, landet das Projekt zur weiteren Beurteilung und Umsetzung, spätestens aber für den technischen Betrieb auf dem Tisch der IT-Abteilung. Hier muss nach dem Ob eine Entscheidung über das Wie herbeigeführt werden. Systemintegration, Plattform-Konzeption und Betriebskosten müssen geplant und budgetiert werden. Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit.
1. Gründlichkeit und Weitblick - Die IT-Abteilung als Berater in der Orientierungsphase
Das Projektmanagement für eine E-Commerce-Einführung ist im Normalfall marketing- oder vertriebsnah aufgehängt. Dennoch kommt den IT-Verantwortlichen und ihrem Team eine kritische Rolle in der Phase der Informationssammlung zu. Eine frühzeitige, gründliche Vorbereitung fachlicher Fragen für die sich anschließende Evaluierung ist unerlässlich, denn sie bestimmt den Projektverlauf maßgeblich mit.
Im ersten Schritt ist vor allem das Projektmanagement organisatorisch massiv gefragt. Es muss den Input sämtlicher betroffener Unternehmensbereiche für die Konzeption abholen, grundsätzliche Fragen und Requests sammeln sowie erste Diskussionen moderieren. Da ihm die fachliche Brille fehlt, um Machbarkeit und Konsequenzen der Systemintegration abzuschätzen, wird die IT-Abteilung ab Tag eins des Projekts zum unentbehrlichen Berater für alle Integrationsschritte und Prozessverläufe.
- Platz 10: Intensive Recherche
Lassen Sie den gesamten europäischen Raum nach einer für Ihr Unternehmen passenden Softwarelösung durchforsten.<br /><br /> Zum einen stellt dies sicher, dass alle in den nächsten Monaten mit der Software-Recherche beschäftigt sein werden und sich eine wahre Informationsflut in Ihr Unternehmen ergießen wird. Sie zeigen Aktion und stellen zudem sicher, dass niemand in absehbarer Zeit eine Entscheidung treffen wird. - Platz 9: Fragenkatalog
Konfrontieren Sie Anbieter von Projekt-Managemet-Software mit einem sehr umfassenden Fragekatalog, der sich aus den Features aller zuvor recherchierten Anbieter speist.<br /><br /> Damit erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Anbieter, die sich auf Ihre wirklichen Bedürfnisse spezialisiert haben, früh ausscheiden. - Platz 8: Vage Anforderungen
Halten Sie Ihre konkreten Anforderungen eher vage und allgemein und verpflichten Sie alle Anbieter, schriftlich zu bestätigen, dass ihr Produkt alle erdenklichen Anforderungen abdeckt. Das siebt weitere seriöse Anbieter aus dem Rennen. - Platz 7: Viele Schnittstellen
Beschreiben Sie die Notwendigkeit von zahlreichen Schnittstellen in alle möglichen Systeme, obgleich Sie heute Projektmanagement mit Papier machen.<br /><br /> Das macht den Angebotsprozess spannender, da sich die Anbieter die Wirkungsweise und den Business-Case Ihrer Schnittstellen ausdenken können. Das schafft im wahrsten Sinne "unvergleichbare" Angebote, die sich niemand trauen wird, zu beauftragen. - Platz 6: Umfassende Ablösung
Konnten Sie den Auswahlprozess dennoch nicht verhindern, können Sie nun im Einführungsprozess Ihre Asse ausspielen. Bringen Sie bereits im erste Kickoff die Notwendigkeit zur Sprache, das PM-Tool in allen wesentlichen Prozessen des Unternehmens zu verankern und ggf. eine Vielzahl von Tools abzulösen.<br /><br /> Das schafft Ängste bei allen Akteuren und lässt Widerstände entstehen. Zudem ist mit einer Maximalforderung jedes Einführungsteam überfordert und verkomplizieren sich alle Folgeschritte. - Platz 5: Ohne Betriebsrat
Halten Sie den Betriebsrat möglichst lange von dem Einführungsprojekt fern. Damit erhöht sich die Chance einer bereits von Beginn entstehenden gespannten Stimmung zwischen Betriebsrat und Einführungsteam. - Platz 4: Keine Schulung
Führen Sie eine PM-Software ein, ohne die die dahinter liegenden Methoden und Prozesse zu erklären oder gar zu schulen.<br /><br /> Das Nichtverständnis führt dazu, dass sich alle Anwender schwer mit der Methode tun und dies jedoch dem Tool anlasten. - Platz 3: Doppelte Arbeit
Lassen Sie parallel zum neuen PM-Tool alle Daten sicherheitshalber in den alten Werkzeugen doppelt erfassen. Sie müssen ja schließlich dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen nicht zusammenbricht.<br /><br /> Da werden sich alle Anwender freuen. Doppelter Aufwand bei gleichzeitig neuen Arbeitsprozessen. Die Herzen der Anwender werden Ihnen entgegen fliegen. - Platz 2: Chaos
Lassen Sie die Projekte so detailliert wir möglich ausplanen und in dem Tool erfassen. Am besten alles in den Projektablaufplan mit tausenden Abhängigkeiten. Spätestens nach der Ersteingabe wird jedem Anwender klar, dass er diesen Plan nicht mehr anfassen wird.<br /><br /> Damit schlagen Sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Der Plan wird nicht mehr aktualisiert, was ein effizientes Ressourcenmanagement an absurdem führt. Die Statusberichte werden aus diesem Grund weiterhin in Microsoft Project "gefaked" und die ohnehin gering ausgeprägte Begeisterung zum Erfassen von Arbeitszeiten wird nun zu einem echten Event: "Finde die richtige Aktivitäten!" - Platz 1: Nebenkriegsschauplätze
Initiieren Sie nach der Einführung eine Vielzahl von "Maßnahmen", die als inoffizielle Projekte nicht über das PM-Tool abgewickelt werden müssen. Das bringt viel Neider auf den Plan und beschädigt praktischer Weise die offiziellen Projekte, da Sie selbstverständlich deren Ressourcen nutzen werden.<br /><br /> Nach ungefähr 6 Monaten wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nach einem neuen PM-Tool Ausschau gehalten.<br /><br /> Gratulation! Starten Sie nun wieder bei Platz 10!
Parallel müssen technische Guidelines für die anstehende Integration entwickelt werden. Ein häufiger Fehler im späteren Projektverlauf ist das Umschwenken auf einen im Moment der Not naheliegenden und auf die Schnelle entworfenen Plan B, der sich langfristig als nicht tragfähig herausstellt. Im ersten Moment kann der Projektverlauf so vielleicht halbwegs gerettet werden, meist wird dafür aber eines - oder sogar mehrere - der strategisch formulierten Ziele geopfert. Das schmerzhafte Ausmaß der Konsequenzen wird oft erst im Nachhinein klar. Dies kann nur mit Hilfe von technischen Guidelines vermieden werden. Beantworten Sie für Ihr Unternehmen möglichst früh die folgenden Fragen:
a. Involvierte Parteien
Wer ist mit der Realisierung und später mit dem Betrieb beauftragt und ab wann?
Welche Anteile werden intern durch die IT-Abteilung umgesetzt?
Was wird durch einen externen Dienstleister realisiert?
Und welche Kriterien sind für dessen Auswahl wichtig?
An welcher Stelle macht die Involvierung des Herstellers Sinn?
Da mit der digitalen Transformation die Business IT zum Blutkreislauf des Unternehmens wird und die Commerce IT zum Herzstück des Vertriebs, ist diese Entscheidung hochpolitisch und kann im letzten Schritt oft nur von der Geschäftsführungsebene getroffen werden.
Die wichtigsten Fragen lauten nämlich eigentlich:
Welches fachliche und Prozesswissen ist existentiell für das Unternehmen und so wertvoll, dass es unter direktem Zugriff intern aufgebaut werden muss, koste es, was es wolle (das heißt Personal, Equipment, Schulung und Monitoring)?
Und welche Themen sind wiederum einer so raschen Entwicklung und großem Wandel unterworfen, dass es betriebswirtschaftlich sogar geboten ist, sich nach Bedarf den jeweiligen State of the Art einzukaufen um zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen?
b. Sicherheit
Security ist ein hochbrisantes und intern häufig umstrittenes Thema, wie jüngste Studien erneut belegen (unter anderem The Great Divide: Security in the Cyber Security in the Corporate Boardroom von VMware und The Economist, 3/2016).
Zur Sicherheitsthematik gibt es wie zu allen inhaltlichen Fragen des eigenen E-Commerce-Projekts keine einfachen, allgemeingültigen Antworten, sondern nur hochindividuelle Lösungen, die zum gesamten Geschäftsmodell passen müssen.
Wie auch immer Ihre Antworten aussehen, Sie müssen berücksichtigen, dass:
Alle Compliance-Auflagen des Unternehmens oder Konzerns erfüllt werden.
Knackpunkte früherer und absehbarer künftiger Security Audits berücksichtigt sind.
Neue Sicherheitslücken, die jedes neue System potentiell mitbringt, transparent gemacht und hinreichend geschlossen sind.
E-Commerce-spezifische Zertifizierungen in ausreichendem Umfang vorhanden sind und regelmäßig überprüft werden.
Der letzte Punkt betrifft insbesondere Fintech-Integrationen (in erster Linie das Payment im Shop) und rechtliche Vorgaben wie EU-Sanktionslisten oder den Verbraucherschutz. Auch das Hosting muss unter diesem Gesichtspunkt erneut unter die Lupe genommen werden, da die neu aufzubauenden oder zu erweiternden Server und der Support für E-Commerce-Erfordernisse robust und zuverlässig angelegt sein müssen.
Generell ist Security kein abschließend behandelbares Thema, sondern ein Prozess der Risikominimierung unter Kosten-Nutzen-Abwägung, der kontinuierlich verfolgt wird. Dafür müssen Ressourcen dauerhaft eingeplant sein.
c. Systemlandschaft
Schon bevor die ersten Lösungsvorschläge geprüft werden, muss intern eine grundsätzliche Vorstellung entwickelt worden sein, wie sich das E-Commerce-System in die Landschaft der Business IT einfügt.
Welche Systeme werden direkt integriert (zum Beispiel: ERP, CRM, PIM, CMS)?
Wo reicht ein indirekter Abgleich (zum Beispiel: BI via CRM)?
Erfolgt die Integration direkt oder über eine Middleware?
Macht es Sinn, eines der bereits laufenden Systeme zusammen mit der E-Commerce-Einführung durch einen optimierten Nachfolger abzulösen?
Soll es eine Spezialanfertigung oder ein Herstellerprodukt mit Support und Gewährleistung sein?
Welche weiteren Systeme müssen mit der E-Commerce-Landschaft kommunizieren und über welche Kanäle?
Insbesondere Payment- und Risikobewertungsdienste können in der Integration aufwändig werden. Aber auch Vermarktungsinstrumente und -plattformen, Produktkonfiguratoren oder mobile Anwendungen müssen von Anfang an Teil des Gesamtkonzepts sein.
Einen großen Einfluss auf das Integrationskonzept haben Überlegungen zu Datenfluss, Datenhaltung und Systemhoheit, die sich direkt aus den Anforderungen der Fachbereiche ergeben, die das Produktmanagement einsammelt und konzeptionell zu vereinigen versucht.
Auch für die IT unbeliebte Vorschläge aus diesen Gremien oder ungern beschrittene Pfade haben in dieser Diskussion durchaus ihre Berechtigung. Es ist damit zu rechnen, dass die Einführung eines E-Commerce-System die Business IT des Unternehmens deutlich verändern wird.
d. Administrationskonzept
Die neue IT-Infrastruktur soll die IT-Ressourcen entlasten, indem die mit den Systemen arbeitenden Teams vieles in Eigenregie bearbeiten können. Das bedeutet zum einen, dass tatsächlich alle Standardprozesse des Tagesgeschäfts ohne Ausnahme automatisiert oder halb-automatisiert durchlaufen können. Die IT steht als Unterstützer und Know-How-Träger im Hintergrund, greift in die Abläufe selbst aber nicht ein; oder besser gesagt: sie muss nicht eingreifen, um zu gewährleisten, dass sie funktionieren.
Entscheidend ist dabei eine hohe Datenqualität. Die Datenbasis ist das höchste Gut der Business IT und ihre gute Qualität muss durch ein transparentes Management, vor allem aber durch eine einfache und wenig fehleranfällige Pflege in den Fachbereichen, optimalerweise automatisiert, garantiert werden können.
So viel wie möglich soll den Fachbereichen im Self-Service zugänglich gemacht werden - was fällt darunter?
So wenig wie nötig soll durch die IT-Abteilung direkt administriert werden - was fällt darunter?