In Zeiten, in denen Organisationen ständig auf Veränderung reagieren müssen, gewinnt das Geschäftsprozess-Management (Business Process Management; BPM) an Bedeutung. Mit dem Einsatz von BPM-Suiten hoffen die Unternehmen eine bessere Unterstützung in der Gestaltung und Anpassung ihrer Abläufe, wenngleich ihre Wünsche nicht immer erfüllt werden (siehe: Anwender mögen ihre BPM-Tools nicht).
Möglicherweise starten sie ihre BPM-Projekte aber auch mit falschen Erwartungen, denn "die Anbieter versprechen: Modellieren - Knopfdruck - fertig. Man sollte nicht alles glauben, was einem präsentiert wird", warnt Sebastian Adam, Teamleiter für Requirements Engeneering am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE. "Es gibt im BPM-Umfeld viele Informationen, aber auch viel Mogelei."
Vor diesem Hintergrund hat das Fraunhofer IESE die Leistungsfähigkeit der BPM-Pakete analysiert. Zusammen mit dem Beratungshaus SP Consulting haben sich die Fraunhofer-Experten diverse Tools genauer angesehen und unter verschiedenen, an der Praxis angelehnten Anforderungen geprüft. Die Ergebnisse wurden in der Studie "BPM Suites 2013" veröffentlicht.
- Der BPM-Vergleich
Das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE hat in Zusammenarbeit mit dem Beratungshaus SP Consulting acht BPM-Tools vergleichen. Die Teilname erforderte ein gewissen Maß an Kooperation und Aufwand seitens der Hersteller. Nicht alle Anbieter waren dazu bereit. Der Vergleich umfasst daher nicht alle in Deutschland relevanten BPM-Pakete. - LiveCycle Process Management
Die Tester vergaben die Schulnote „noch gut“ mit einem Gesamterfüllungsgrad von 61,3 Prozent. Sinnvoll ist der LiveCycle-Einsatz für pdf-lastige Abläufe. - Xpert.ivy
Das Know-how des schweizerischen BPM-Herstellers Axon Active geht auf den Anbieter Soreco AG zurück. Das ebenfalls in der Schweiz beheimatete Unternehmen wurde Mitte 2011 von Axon Active übernommen. Soreco ist seit 2002 mit dem Produkt „Xpert.ivy“ im BPM-Geschäft präsent. - Xpert.ivy
Im Vergleich mit den anderen sieben getesteten Produkten schneidet die Suite überdurchschnittlich gut ab, sie erzielte mit einem Gesamterfüllungsgrad von 74,2 Prozent das zweitbeste Ergebnis. Nachholbedarf gibt es in der Umsetzung der BPM-Governance-Funktionen. - Bizagi Enterprise Edition
Die „Bizagi Enterprise Edition“ geht auf das Unternehmen Visionsoftware zurück, das im Jahr 1989 in Bogota, Kolumbien, gegründet wurde. Heute hat das Unternehmen Bizagi seinen Hauptsitz in Amersham bei London. - Bizagi Enterprise Edition
Die BPM-Suite überzeugt mit Komfort und Mächtigkeit der angebotenen Funktionen. Defizite haben die Experten allenfalls dort entdecken können, wo Aufgaben delegiert und Abläufe kontrolliert werden sollen. Dennoch: Bizagi ist das beste, getestete BPM-Produkt. - inubit
Die BPM-Aktivitäten der Bosch Software Innovations GmbH gehen zum Großteil auf die Übernahme der Inubit AG im Sommer 2011 zurück. - inubit
Inubit besticht vor allem durch Mächtigkeit. Kein anderes Werkzeug bietet derart viele BPM-Funktionen in der Standardausführung. Defizite gibt es bei Stellvertreterregeln und wenn Abläufen aufgrund von Abwesenheiten geregelt werden müssen. Empfehlenswert ist das Paket für Anwender mit besonderen Anforderungen an Governance und Laufzeit-Management. - Camunda BPM
Camunda ist ein recht junges und aufstrebendes Unternehmen aus Berlin. Das Paket „Camunda BPM“ liegt in der Version 7.0 vor und wird von rund 50 Unternehmen eingesetzt - Camunda BPM
Mit einem Gesamterfüllungsgrad von knapp 60 Prozent erzielt Camunda das zweitschlechteste Resultat. Vor allem die fehlende grafische Programmierung kreiden die Tester dem Tool an, dadurch könne es schwerlich in Fachbereichen Fuss fassen. Wer indes versierte Java-Entwickler in seinen Reihen weiß, kann mit Camunda BPM sehr individuelle und leistungsstarke Lösungen erstellen. - FireStart BPM Suite
Der österreichische Anbieter Prologics hat seine „FireStart BPM Suite“ ins Rennen geschickt und bemerkenswerte Ergebnisse eingeheimst. - FireStart BPM Suite
Mit einem Gesamtergebnis von 71,4 Prozent reiht sich das Tool im Mittelfeld aller getesteten Tools ein. Die insgesamt starken Werte in Governance und fachlicher Prozessmodellierung wurden durch eine allzu enge Herstellerbindung an Microsoft getrübt. - SAP NetWeaver Process Orchestration
Die BPM-Suite „SAP NetWeaver Process Orchestration“ in der Version 7.31 präsentierte sich im Rahmen der Studie als ordentliches und durchdachtes BPM-Produkt. - SAP NetWeaver Process Orchestration
Das Endergebnis von 66,3 Prozent ist - bezogen auf das Schulnoten-System – „noch gut“. Wer Governance, gute Integrier- und Administrierbarkeit sowie gutes Zusammenspiel mit anderen SAP-Produkten fordert, ist mit NetWeaver Process Orchestration gut beraten. Einfache Prozessumsetzung und Usability darf er nicht erwarten. - Operational Intelligence
Das Kernprodukt des amerikanischen Anbieters Vitria Technology ist die BPM-Suite „Operational Intelligence“, die in der Version 4.2 getestet wurde. - Operational Intelligence
Den guten Eindruck in der Modellierungshilfe bei der Prozessdefinition macht die Software beispielsweise mit einer komplizierten und fehleranfälligen Bedienung der Modellieroberfläche wieder zunichte. Legen Anwender Wert auf Einfachheit, Usability und und angemessenes Laufzeit-Management, sind andere Tools besser geeignet. Der Gesamterfüllungsgrad von 58 Prozent ist der schlechteste Wert unter den acht getesteten Tools.
Darin betonen die Autoren, dass der Vergleich keinen eindeutigen Sieger hervorgebracht hat. Die Ergebnisse aller getesteten Tools bewegen sich in der Spanne zwischen 78 Prozent und 58 Prozent, was den so genannten Gesamterfüllungsgrad beziehungsweise das daraus resultierende Endergebnis betrifft. "Wir wollten keinen Award vergeben, weil die Tools sehr unterschiedlich sind. Es gibt kein perfektes Produkt, aber auch kein richtig schlechtes", fasst Studien-Autor Adam zusammen. Die Auswahl für oder gegen eine Lösung folge immer unterschiedlichen Kriterien: Ob etwa Kern- oder Administrationsprozesse gestaltet werden sollen, in welche Umgebung sich das Tool einfügen müsse und ob BPM- und Entwicklungs-Know-how vorhanden ist.
Bizagi: Bestes Ergebnis im Testfeld
Dennoch gibt es eine Lösung, die gegenüber den anderen hervorsticht - wenngleich sie eine etwas exotische Historie mitbringt. Die "Bizagi Enterprise Edition" geht auf das Unternehmen Visionsoftware zurück, das im Jahr 1989 in Bogota, Kolumbien, gegründet wurde. Heute hat das Unternehmen Bizagi seinen Hauptsitz in Amersham bei London. Das Tool erreichte im Test mit 77,9 Prozent den besten Gesamterfüllungsgrad. "Es hat uns sehr gut gefallen", lobt der Fraunhofer-Experte Adam.
Getestet wurden folgende Produkte:
"LiveCycle Process Management" von Adobe,
"Xpert.ivy" von Axon Active,
"Bizagi Enterprise Edition" von Bizagi,
"Bosch SI inubit" von Bosch Software Innovations,
"Camunda BPM" von Camunda Services,
"FireStart BPM Suite" von Prologics,
"Netweaver Process Orchestration" von SAP,
"Operational Intelligence" von Vitria.
Das Starterfeld spiegelt damit nicht die aktuelle Marktlage wieder, weil bedeutende Lösungen etwa von IBM, Tibco und der Software AG fehlen. Gerne hätten die Tester eigenen Angaben zufolge mehr Pakete ins Labor geschickt. 55 BPM-Anbieter mit Vertriebsniederlassung in Deutschland wurden teils mehrfach angeschrieben, 20 von ihnen regierten, von denen wiederum 15 Hersteller konkretes Interesse bekundeten, am Vergleich teilzunehmen. An den Start gingen letztlich neun Anbieter, von denen wiederum ein Hersteller seine Ergebnisse nicht veröffentlichen wollte. Daher listet die Studie zuletzt acht verglichene Produkte auf. Man werde die Erhebung wiederholen, versprachen die Macher von Fraunhofer, dann hoffentlich mit deutlich mehr Anbietern im Testfeld.
Die Bewertungskategorien
Ziel des Vergleichs war es, die Funktionsvielfalt und den Komfort der Softwarepakete aus Sicht eines BPM-Experten und -Nutzers zu bewerten. Dabei haben die Tester keine Gegenüberstellung der jeweiligen Tools angestrebt. Sie wollten vor allem die Stärken und Schwächen in diversen Kategorien herausarbeiten, um Interessenten, die vor der Anschaffung eines BPM-Tools stehen, die Entscheidung zu vereinfachen. Voraussetzung dafür ist, dass die Anwender zumindest Klarheit über ihre eigenen Wünsche und Anforderungen haben. So gewappnet kann die Studie eine Vorauswahl bieten.
Dazu haben Fraunhofer IESE und SP Consulting insgesamt 146 zu bewertende Anforderungen definiert, die sie in folgende elf Kategorien konsolidiert haben:
Prozessmodellierung,
Prozessumsetzung,
Integration von Systemen,
Prozessausführung,
Laufzeit-Management,
Prozess-Controlling,
BPM-Governance,
Querschnittliche Qualität (Robustheit, Internationalität etc.),
Administration,
Setup und
Entwicklungsbasis (zum Erstellen eigener Lösungen).
Jedem teilnehmenden Anbieter wurde ein Testscript mit 134 Testschritten und 24 ergänzenden Fragen zugeschickt. In einem eintägigen Workshop musste jeder Hersteller sein Tool präsentieren und unter anderem einen einheitlichen Beispielsprozess und ein definiertes Änderungsszenario durchspielen. Zwei wissenschaftliche Mitarbeiter sowie zwei BPM-Praktiker haben jede Präsentation verfolgt und bewertet, fallweise kamen weitere Teilnehmer aus Wissenschaft und Industrie hinzu. Im Schnitt wurden sechs Bewertungen unabhängig voneinander abgegeben. (Die vollständigen Ergebnisse beziehungsweise die komplette BPM-Studie finden Sie auf hier)