Roboter Tory macht Inventur
Diese Beispiele zeigen, wie viel Potenzial für mehr Effizienz noch im Backend so mancher Händler schlummert. Aber auch in den Geschäften selbst macht sich die Digitalisierung immer stärker breit. Beispielsweise baut der deutsche Robotikspezialist Metralabs die selbständig agierenden Inventurroboter "Tory". Diese erstellen mit Hilfe von Mapping eine Karte des Stores und erarbeiten die beste Route zwischen den Regalen. Nachts fährt der Roboter dann durch das Geschäft und zählt automatisch Produkte, deren Bestand via RFID-Chip gemeldet wird. Laut Hersteller kann Tory Warenbestände zehnmal schneller erfassen als ein Mensch und zudem auch mit einer deutlich geringeren Fehlerquote.
Aber auch Händler, die ihre Waren nicht mit RFID-Tags versehen – schließlich gibt es keinen Sinn, jeden Hefewürfel damit auszustatten –, können Tory nutzen. Via Bilderkennung registriert der Roboter, ob Waren an der richtigen Stelle im Regal stehen beziehungsweise ob sie noch in ausreichender Menge vorhanden sind. Die Modekette Adler sowie der Elektronikhändler Media-Markt-Saturn setzen Tory bereits ein. Lidl, Metro und die französische Carrefour testen den digitalen Inventurhelfer.
Den Bestand genau im Blick zu haben dürfte für die Einzelhändler in Zukunft immer wichtiger werden. Gerade hinsichtlich neuer Fulfillment-Methoden wie Click and Collect, wo der Kunde online bestellt und die Ware dann im Laden abholt, oder Ship from Store – die Ware wird aus dem Geschäft und nicht aus einem Zentrallager zum Kunden versandt – braucht es eine hohe Bestandsgenauigkeit in den Filialen.
Auch im Kundenkontakt kommen Roboter zum Einsatz. "Care-o-bot 4", kurz "Paul", entwickelt von Mojin Robotics, einem Spinoff des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung, kann Kunden im Laden begrüßen, zu bestimmten Regalen führen und dort weiterführende Informationen zu den gewünschten Produkten geben. Sensortechnik hilft dem digitalen Verkaufsassistenten, sich auch in unübersichtlichen Umgebungen zurechtzufinden, so der Hersteller. Die Interaktion mit den Kunden funktioniert via Sprache, per Touchscreen oder über Gesten und Mimik.
Andere Anbieter denken über völlig neue Ladenkonzepte nach. Das Unternehmen AiFi beispielsweise hat sogenannte Nano-Stores entwickelt, die in einen Standard-Container passen und völlig ohne menschliche Mitarbeiter auskommen sollen. Damit soll die Lücke zwischen Supermarkt und Kiosk geschlossen werden. Das Containersystem lasse sich beispielsweise als Convenience-Store im Tankstellenumfeld einsetzen. Kunden verschaffen sich via App oder Kreditkarte Zugang. Kameras und Sensoren tracken den Weg und registrieren alle Waren, die im Einkaufskorb landen. Beim Verlassen wird der Einkauf automatisch über die Kreditkarte beziehungsweise über Mobile Payment abgerechnet – nach dem Self-Checkout kommt also der Checkout-freie Store.
Ob es die Kunden akzeptieren werden, beim Einkauf auf Schritt und Tritt überwacht zu werden, ist aber fraglich. In den vergangenen Jahren haben verschiedene Experimente Kunden wie Datenschützer aufgeschreckt. Beispielsweise räumten Vertreter der Supermarktkette Real ein, dass in 40 Läden Kunden heimlich per Video vor Werbebildschirmen beobachtet worden seien – angeblich um die Qualität der ausgestrahlten Werbefilme zielgruppenorientiert anzupassen.
Für heftige Proteste sorgte die Firma Bayer in österreichischen Apotheken. Dort wurden Gesichter von Kunden gescannt und analysiert, um ihnen im Anschluss passende Produkte auf einem Werbedisplay anzubieten – nach dem Motto: Wer eine schniefende Nase hat, braucht ein Erkältungsmittel. Zwar beteuerte der Pharmakonzern, die Daten würden weder gespeichert noch weitergegeben oder mit anderen Informationen verknüpft. Der Aufschrei der Datenschützer war trotzdem unüberhörbar.
Sensibles Händchen für Daten gefragt
Die Beispiele zeigen, wie sensibel mit Kundendaten umgegangen werden muss. Beide Unternehmen sahen sich nach anhaltenden Protesten gezwungen, ihre Experimente mit der Gesichtserkennung wieder einzustellen. Ob derartige Analysen akzeptiert werden, hängt offenbar von Details ab. So will das EHI Retail Institute vor einem guten Jahr herausgefunden haben, dass Kameras in Ladengeschäften gelassen zur Kenntnis genommen würden. 84 Prozent der Kunden ständen solchen Systemen neutral gegenüber.
Wenn die Kunden mehr über den Einsatzzweck wissen, so zeigt eine Analyse von PwC (PDF-Link), werden sie aber sensibler. Im September 2018 wurden hierzulande rund 2000 Konsumenten befragt, rund 80 Prozent lehnten es demzufolge ab, den eigenen Gesichtsausdruck am Ladeneingang scannen zu lassen, um dann an die jeweilige Stimmungslage angepasste, persönlich zugeschnittene Angebote zu erhalten.
Grundsätzlich seien die Menschen jedoch interessiert und offen für KI-gestützte Kundenservices im stationären Handel, lautet ein Ergebnis der Untersuchung. So könnten sich knapp 60 Prozent mit der Idee anfreunden, im Geschäft via Computer die Körpermaße scannen zu lassen, um passende Kleidungsstücke zu finden. 44 Prozent der Deutschen finden, dass durch den Einsatz von KI der Einzelhandel vor Ort wieder attraktiver werden könnte. "Die technische Entwicklung von KI im Handel beginnt gerade erst", konstatierte Christian Kirschniak, PwC-Partner und KI-Experte. "Deshalb ist KI vielen Menschen natürlich noch völlig fremd." Dennoch sei eine relativ große Neugier zu spüren.
Beratung - lieber menschlich als maschinell
Neugier, aber auch eine gewisse Skepsis unter bestimmten Aspekten, wie die Umfrage weiter ergab. Lebensmittel im Handel online bestellen und liefern lassen – das können sich 26 Prozent der Bundesbürger "auf jeden Fall" und 37 Prozent "eventuell" vorstellen. Dagegen würden 64 Prozent ihre Bestellungen "überhaupt nicht" oder "eher nicht" einem Computersystem überlassen. Lebensmittel via "Smart Lock" direkt in den heimischen Kühlschrank liefern zu lassen kommt für 73 Prozent der Befragten nicht in Frage.
Wenn es um die persönliche Beratung geht, sieht man hierzulande in KI noch keine gute Alternative: 83 Prozent der Umfrageteilnehmer möchten weiterhin lieber von Menschen als von Computersystemen beraten werden. Acht von zehn Befragten gaben an, sie hätten bei zu viel Einsatz von KI das Gefühl, nur noch fremdgesteuert zu werden. Ganz darauf zu verzichten scheint jedoch keine Alternative. "Angesichts der großen Konkurrenz durch den Online-Handel muss der stationäre Handel auf neue technische Entwicklungen setzen", sagt Kirschniak. Ansonsten könnte das schlimme Szenario einer Verödung der Innenstädte in einigen Jahren breite Realität werden. Die Unternehmen sollten daher den Mut haben, KI in ihren Wandel einzubeziehen.