Scoring heute und in Zukunft

Bonitätsprüfung im E-Commerce

Mirko Hüllemann ist Geschäftsführer der Heidelberger Payment GmbH, eines von der BaFin zugelassenen und beaufsichtigten Zahlungsinstituts für alle gängigen Zahlungsverfahren im Internet, das Einzelhändlern effiziente Lösungen zur Überwachung der Zahlungsströme im Omnichannel-Commerce anbietet.

Scoring im Zeitalter von Big Data

So funktionierte Scoring im E-Commerce bislang. Doch die immer weiter fortschreitende Digitalisierung des Alltags - Stichwort Big Data - bringt auch in diesem Bereich ganz neue Nutzungspotenziale hervor. Konsumenten hinterlassen in sozialen Medien Unmengen von Daten: über die eigene Person, den beruflichen Werdegang, das soziale Umfeld sowie über persönliche Vorlieben und Interessen. Viele dieser Informationen geben auch Hinweise auf die Kreditwürdigkeit der jeweiligen Person. Ist sie etwa auf Facebook vor allem mit Akademikern befreundet? Liket sie viele Seiten teurer Konsumgütermarken? Hat sie auf Xing oder LinkedIn als aktuellen Arbeitgeber ein namhaftes Unternehmen angegeben? All das deutet darauf hin, dass sich potenzielle Gläubiger bei diesem Kunden wenig Sorgen um ihr Geld machen müssen.

Mosaik aus tausenden von Datenpunkten

Vorreiter auf dem Gebiet dieses sogenannten Social- oder Big-Data-Scoring ist das Hamburger Start-up Kreditech. 2012 gegründet, verfügt das Unternehmen bereits über mehr als 200 Mitarbeiter und Tochtergesellschaften in neun Ländern. Das Geschäftsmodell: Kreditech verleiht Geld an Konsumenten, auch an solche, denen eine Bank aufgrund eines negativen Eintrags bei einer Auskunftei keinen Kredit geben würde.


Kreditech aber gewährt diesen Personen Kleinkredite zwischen 50 und 500 Euro, wenn sie dem Hamburger Unternehmen Einkommen sowie Arbeitgeber verraten und ihm erlauben, das Web nach verschiedensten weiteren Informationen über den Antragsteller zu durchforsten. Komplexe, intelligente Algorithmen werten Datenspuren aus, die dieser in Webbrowsern, Datenbanken, sozialen Netzwerken und Plattformen wie eBay und Amazon hinterlassen hat.

Technische Daten über das verwendete Gerät - neuestes iPhone oder alter Billig-PC - fließen genauso in die Bewertung ein wie Merkmale der Facebook-Freunde und die Art und Weise, wie das Antragsformular ausgefüllt wird: Dauert es eine Minute, bis dem Antragsteller sein Arbeitgeber einfällt? Oder betätigt er häufig die Löschtaste? Aus rund 20.000 Datenpunkten ist so nach wenigen Minuten ein Gesamtbild der Person entstanden, aus dem sich ein aussagekräftiger Prognose-Wert über deren zukünftiges Zahlungsverhalten ableiten lässt.

Ergänzung zu etablierten Methoden

In Deutschland hatte Kreditech die Vergabe von Krediten - auf die das Start-up 15 bis 30 Prozent Zinsen erhebt - bereits nach wenigen Wochen eingestellt, um einer von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) angekündigten Überprüfung des Geschäftsmodells zuvorzukommen. In anderen Ländern bietet Kreditech den Service jedoch weiterhin an und arbeitet parallel an einem zweiten Geschäftszweig.

Ziel ist, eine internationale Scoring-Datenbank aufzubauen und auf deren Grundlage Bonitätsauskünfte insbesondere für E-Commerce-Unternehmen anzubieten. Ist das der Anfang vom Ende klassischer Scoring-Verfahren? Dass Social Scoring herkömmliche Methoden zur Bonitätsprüfung ablösen wird, ist derzeit nicht absehbar. Die bewährten Scoring-Methoden stützen sich zum größten Teil auf harte Fakten, auf tatsächliche Ereignisse in der Zahlungshistorie eines Kunden - diese Informationen werden auch weiterhin die Grundlage von Bonitätsprüfungen bilden.

Klassische Scoring-Anbieter werden jedoch die Möglichkeiten ausloten, ihre Verfahren um Social Scoring zu ergänzen. Dieses punktet insbesondere durch die Aktualität der Daten und die Analyse tausender Datenpunkten innerhalb kürzester Zeit. Damit bietet Social Scoring für klassische Anbieter nicht zuletzt eine Möglichkeit, die Anzahl sogenannter False Positives zu reduzieren: Gemeint sind Kunden, die wegen fehlender oder veralteter Daten einen negativen Scoring-Wert erhalten, obwohl sie (wieder) uneingeschränkt kreditwürdig sind. Solche Fälle kommen leider immer wieder vor, wobei sich die Häufigkeit nur schwer beziffern lässt.

Beim Social- oder Big-Data-Scoring ergibt sich aus rund 20.000 Datenpunkten ein Gesamtbild einer Person, aus dem sich ein aussagekräftiger Prognose-Wert über das zukünftige Zahlungsverhalten ableiten lässt.
Beim Social- oder Big-Data-Scoring ergibt sich aus rund 20.000 Datenpunkten ein Gesamtbild einer Person, aus dem sich ein aussagekräftiger Prognose-Wert über das zukünftige Zahlungsverhalten ableiten lässt.
Foto: Bloomua - www.shutterstock.com


Umgekehrt birgt Social Scoring jedoch auch das Risiko, Personen mit schlechter Bonität gut zu bewerten - dann nämlich, wenn sich jemand eine Art digitale Maske zugelegt hat und in den sozialen Netzwerken vorgaukelt, jemand zu sein, der er nicht ist. In Deutschland wird Social Scoring die etablierten Verfahren also eher ergänzen als ersetzen. Im internationalen E-Commerce sieht dies anders aus, gibt es doch in vielen Ländern nichts, was mit der deutschen Schufa vergleichbar wäre. Dort könnte Social Scoring ein Weg für Händler sein, um überhaupt an kostengünstige Bonitätsbewertungen zu kommen.

Bonitätsprüfung bald durch Google?

Ohnehin ist es gut möglich, dass Bonitätsprüfungen im E-Commerce an Bedeutung verlieren werden, je mehr sich Zahlverfahren wie PayPal und Kreditkarte durchsetzen. Bei elektronischen Wallets wie PayPal würden die entsprechenden Anbieter über genügend Daten zum Zahlungsverhalten ihrer Kunden verfügen, um selbst für die Bonitätsprüfung sorgen zu können.

Denkbar ist auch, dass Unternehmen wie PayPal, Apple oder Google, sollten sich deren Payment-Lösungen breit durchsetzen, selbst zu Anbietern von Bonitätsprüfungen werden.
Die Zahlung per Kreditkarte ist für Online-Händler ebenfalls sehr sicher, da eine Kreditkartentransaktion erst dann abgeschlossen wird, wenn die Bank des Karteninhabers den Vorgang autorisiert. Hierfür wird automatisiert geprüft, ob die Karte gültig ist und ob der Betrag das Kreditkartenlimit nicht übersteigt.

Fazit

Ab Warenkörben von etwa hundert Euro lohnt es sich für Online-Händler, von ihrem Payment-Dienstleister ein Scoring durchführen zu lassen - zu groß ist sonst das Risiko nicht bezahlter Rechnungen und zurückgebuchter Lastschriften. Gegenwärtige Verfahren zur Bonitätsbewertung verwenden hauptsächlich Informationen, die in direktem Bezug zur finanziellen Situation und zum Zahlungsverhalten des Betroffenen stehen: offene Forderungen, Insolvenzverfahren, Pfändungen etc.

Social Scoring bietet im Kontext von Big Data eine ganz andere Herangehensweise. Intelligente Algorithmen setzen alle Daten, die das Internet über eine Person hergibt, zu einem Gesamtbild zusammen, und leiten daraus wiederum die zu erwartende Zahlungsmoral ab. Auch wenn dies anonymisiert geschieht, dürfte die Vorstellung bei vielen deutschen Verbrauchern Unbehagen hervorrufen. Aus diesem Grund und auch deshalb, weil es in Deutschland andere, bewährte Verfahren zur Bonitätsprüfung gibt, wird es Social Scoring bei uns schwerer haben als in anderen Ländern. (bw)

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