"Go XR or go extinct", war das etwas provozierende Motto, unter dem Ori Inbar, AWE-Mitbegründer und CEO, die knapp 2000 Besucher der diesjährigen Veranstaltung im Münchner M.O.C begrüßte. Der Hintergrund, so Inbar: 50 Jahre nach der Erfindung von Augmented Reality durch Ivan Sutherland gebe es nun zahlreiche Hinweise darauf, dass mit Extended Reality (oder XR als neuer Sammelbegriff) die nächste Computing-Welle unmittelbar bevorstehe. So rechneten Analysten in der nächsten Dekade mit einem Marktvolumen von 200 Milliarden Dollar, begann Inbar seine Beweisführung. Außerdem hätten mit Apple, Google, Facebook, Microsoft & Co. praktisch alle IT-Riesen in das Thema AR/MR/VR investiert und XR sei bei über 70 Prozent der Fortune 1000 bereits erfolgreich im Einsatz.
Die entscheidende Frage sei nun, wann Smart Glasses endlich Mainstream werden, so der AWE-Mitbegründer. Schließlich habe es bereits in den letzten Jahren immer geheißen, jetzt dauere es nur noch drei Jahre. Inbar selbst rechnet mit dem endgültigen Durchbruch, wenn Apple seine intern als T288 bezeichnete Datenbrille auf den Markt bringt, also vermutlich in 2021. Der kalifornische Hersteller betritt damit keineswegs technisches Neuland, mittlerweile bieten bereits rund 50 Firmen Headsets an - mehr als ein Dutzend davon waren auf der AWE EU 2018 zu bestaunen.
Besonderes Aufsehen neben den vielen Microsoft-HoloLens-Geräten, Oculus Rifts & Co. im Ausstellungsbereich erregte dabei die sehr schlanke AR-Brille Vuzix Blade, die Anfang November auf den Markt kommen soll. Auch das mit über zwei Milliarden Dollar Risikokapital ausgestattete Startup Magic Leap war mit seinen "One"-Headsets vor Ort - in einem separaten Raum hatten Entwickler und potenzielle Kunden (aber leider nicht der Presse) die Gelegenheit, die Fähigkeiten der neuen Smart-Glasses auszuprobieren.
Unternehmen haben die Vorteile von AR/VR erkannt
Noch spannender als die zur Schau gestellte Hardware waren die mit Hilfe der Devices umgesetzten AR- und VR-Szenarien. Im Business-Umfeld umfassen die Anwendungsmöglichkeiten dabei längst nicht mehr nur die Technik-Spielwiesen Vertrieb & Marketing, sondern erstrecken sich über die gesamte Wertschöpfungskette, wo ein signifikanter Return on Invest (RoI) erwartet wird, ausgehend vom Design bis hin zu Produktion, Service und Betrieb.
"AR kann Industrieunternehmen im Rahmen ihrer gesamten digitalen Transformation einen erheblichen Vorteil verschaffen", erklärte Mike Campbell, Executive Vice President Augmented Reality Products bei PTC. Er verwies dabei auf eine neue (Auftrags-)Studie der Aberdeen Group, wonach Unternehmen, die AR einsetzen, im Jahresvergleich ein bedeutsames Wachstum verzeichneten und ihr Ergebnis drastisch verbesserten. Wie Campbell ausführte, können Unternehmen mit AR besonders effektiv aktuelle Probleme in den Bereichen Fertigung und Service Management adressieren, etwa den Mangel an geschulten Mitarbeitern, die zunehmende Komplexität der Produkte und Arbeitsumgebungen sowie die wachsenden Anforderungen der Kunden.
Lernen mit AR statt Powerpoint-Anleitungen
Als Beispiel verwies der PTC-Manager auf den Landmaschinenhersteller AgCo, der mit dem AR-Tool Vuforia Studio auf Basis bestehender CAD-Modelle Schritt-für-Schritt-Anleitungen für die Microsoft HoloLens erstellt hat. Das Unternehmen konnte dadurch die Anlernzeit für neue Mitarbeiter, die sich bislang durch mehr als 200 ausgedruckte Powerpoint-Seiten quälen mussten, von fünf auf zwei Tage reduzieren, berichtete Campbell. Gleichzeitig habe AgCo damit die Zeit für Installationen und die Fehlerquote reduziert. Bei BEA Systems wiederum sei es gelungen, das Training neuer Mitarbeiter für die Montage einer Bus-Batterie durch den Einsatz einer Mixed-Reality-Anleitung via HoloLens um insgesamt 30 bis 40 Prozent effizienter zu gestalten.
Die Möglichkeiten von AR bei der Aus- und Fortbildung hat auch Bosch erkannt und in Folge zusammen mit dem Münchner AR-Anbieter und engen Partner RE'FLEKT zahlreiche Anwendungen für Automotive-OEMs entwickelt. Ein Beispiel dafür ist die App "Rescue Assist" von Daimler, in der Rettungskarten aller Mercedes-PKWs und -Vans gespeichert sind, für die neueren Modelle gibt es dabei auch 3D-Ansichten und Darstellungen in Augmented Reality. Rettungskräfte erhalten damit wichtige Informationen, etwa die Lage sicherheitsrelevanter Bauteile wie Airbags, Batterien oder Kraftstoffleitungen.
Außerdem bietet der Elektronikkonzern ab Herbst/Winter 2018 in seinen Bosch Service Training Centern AR-Schulungen an, um KFZ-Mechatronikern einen detaillierten Einblick in Aufbau und Funktionen der Hochvolt-Komponenten von Elektro- und Hybrid-Fahrzeugen zu geben. Bosch hat dazu eine spezielle Augmented Reality-Plattform (CAP - Common Augmented Reality Platform) entwickelt, die es erlaubt, insbesondere auch für den Trainingsbereich neue Inhalte und Applikationen unabhängig vom Endgerät zu publizieren.
Die Plattform greift dabei auf bestehende lokal oder zentral gespeicherte Inhalte zu und stellt die für die gewünschte AR-Anwendung erforderlichen Daten zusammen. Damit können auch unterschiedliche Trainingsszenarien realisiert werden. Im "Trainer Mode" steuert der Trainer die Endgeräte der Teilnehmer und entscheidet, welchen Anwendungsfall diese auf ihren Geräten sehen. Beim "Trainee Mode" schaltet sich der Trainer auf das Endgerät eines Teilnehmers und kann ihm so direkte Hinweise und Tipps für das weitere Vorgehen anschaulich vermitteln.