E-Commerce-Nachbarland Schweiz

Digitec: Der 400-Millionen-Euro-Shop, den keiner kennt



Matthias Hell ist Experte in Sachen E-Commerce und Retail sowie  Buchautor. Er veröffentlicht regelmäßig Beiträge in renommierten Handelsmagazinen und E-Commerce-Blogs. Zuletzt erschien seine Buchveröffentlichung "Local Heroes 2.0 – Neues von den digitalen Vorreitern im Einzelhandel".
Mit einem Umsatz von 508 Millionen Schweizer Franken (412 Mio. Euro) ist der Elektronikversender Digitec nicht nur der umsatzstärkste eidgenössische Online-Händler, sondern auch auf Augenhöhe mit Notebooksbilliger und Cyberport. Der Vergleich mit der deutschen Konkurrenz bietet dabei interessante Einblicke.
Die Digitec-Gründer Marcel Dobler, Oliver Herren und Florian Teuteberg versilberten die Beteiligung an ihrem Onlineshop für einen Millionenbetrag
Die Digitec-Gründer Marcel Dobler, Oliver Herren und Florian Teuteberg versilberten die Beteiligung an ihrem Onlineshop für einen Millionenbetrag

Aufgrund des leicht skalierbaren und gut auf andere Länder übertragbaren Geschäftsmodells blicken viele deutsche Online-Händler ins Ausland. Beispiele dafür sind der Elektronikversender Cyberport, der nicht nur mit einem Store in Wien vertreten ist, sondern auch durch eine Partnerschaft mit der inzwischen nicht mehr existenten Retail-Kette Niedermeyer in Österreich einen hohen Bekanntheitsgrad erzielte. Auch für Notebooksbilliger.de ist die Alpenrepublik ein attraktiver Markt, während der in Frankfurt an der Oder ansässige Online-Händler Getgoods naturgemäß eher ins Nachbarland Polen – einem boomenden E-Commerce-Markt – blickt.

Aufgrund der Nichtzugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft bleibt die Schweiz als Auslandsmarkt allerdings in der Regel außen vor. Eine Zollgrenze, die eigene Währung und viele lokale Eigenheiten schrecken deutsche Online-Händler ab. Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass sich mit Digitec ein Schweizer Elektronikversender in höchste Umsatzregionen vor aufschwingen konnte und doch von der deutschen Konkurrenz so gut wie gar nicht bemerkt wurde: Das in Zürich ansässige Unternehmen, das nur in die Schweiz und nach Liechtenstein liefert, wird keinem deutschen Händler gefährlich und umgekehrt bleibt Digitec die direkte Konkurrenz mit Notebooksbilliger, Cyberport und Redcoon erspart.

Trotzdem spricht die Geschäftsentwicklung von Digitec für sich: Das 2001 gegründete Unternehmen beschäftigt heute mehr als 400 Mitarbeiter und betreibt neben den Onlineshops Digitec.ch und galaxus.ch insgesamt neun stationären Filialen. 2012 erzielte Digitec nach Informationen des Schweizer Wirtschaftsmagazins Bilanz einen Umsatz von 400 Millionen Schweizer Franken (325 Mio. Euro) und weckte damit das Interesse des nach Anschluss an das Online-Geschäft suchenden Einzelhandelskonzerns Migros. Für eine Kaufsumme von 42 Millionen Franken (34 Mio. Euro) übernahm die Migros eine Minderheitsbeteiligung von 30 Prozent an Digitec und bescherte dem E-Commerce-Anbieter damit eine Unternehmensbewertung von 140 Millionen Franken (113 Mio. Euro).

Migros-Beteiligung treibt das Digitec-Wachstum an

Anders als das nach der Übernahme durch Media-Saturn stagnierende Redcoon oder gar das für Dixons zum Totalausfall gewordene Pixmania konnte Digitec die Erwartungen des Mutterkonzerns erfüllen: Im Geschäftsjahr 2012 steigerten die Zürcher ihren Umsatz um weitere 27 Prozent auf 508,5 Millionen Franken (412 Mio. Euro) – und führen damit das Feld der Schweizer Online-Händler klar an. So kommt Amazon.de als Zweitplatzierter mit seinem Auslandgeschäft in der Eidgenossenschaft lediglich auf 268 Millionen Franken und liegt der nächstgrößere Schweizer Elektronikversender Brack.ch deutlich abgeschlagen bei 120 Millionen Franken. Bei der Migros ist man mit der Entwicklung von Digitec hochzufrieden und plant bereits den Ausbau der Beteiligung. Nach Angabe des Online-Händlers hat die Migros die vertragliche Option, ihr Investment in Digitec 2015 auf 70 Prozent zu erhöhen.

Für Florian Teuteberg, einen der drei Digitec-Gründer, bietet die Beteiligung des führenden Schweizer Einzelhandelskonzerns eine gute Grundlage für das künftige Wachstum des Online-Unternehmens. „Die Migros ist ideal, weil ihre Philosophie, den Kunden das beste Preis-Leistungs-Verhältniszu bieten, sich exakt mit unserer Strategie deckt. Zudem ist sie finanziell kerngesund, zuverlässig, handelt nachhaltig und hat mit ihrem breiten Sortiment und ihrer Größe in Beschaffung, Marketing, Personalwesen, Logistik und Finanzen Erfahrungen von denen wir profitieren können.“ Die Migros ist für den Elektronikversender damit im Prinzip der ideale Partner: Stark am Online-Geschäft interessiert, aber ohne eigenen Schwerpunkt im Elektronikbereich, zwingt der Handelskonzern Digitec in keine interne Konkurrenz und bietet stattdessen mit seiner außergewöhnlichen genossenschaftlichen Organisation dem E-Commerce-Unternehmen ein vergleichsweise unaufgeregtes Umfeld.

Zur Startseite