Roland Berger und McKinsey

Wucht von Industrie 4.0 wird unterschätzt

Werner Kurzlechner lebt als freier Journalist in Berlin und beschäftigt sich mit Rechtsurteilen, die Einfluss auf die tägliche Arbeit von Finanzentscheidern nehmen. Als Wirtschaftshistoriker ist er auch für Fachmagazine und Tageszeitungen jenseits der IT-Welt tätig.
Die digitale Transformation muss Chefsache sein und erfordert hohe Investitionen. Die IT alleine kann die Probleme nicht lösen. Zwei Studien zeigen Handlungsfelder auf.
 
  • Roland Berger meint, ein "Digital Valley" könnte die digitale Reife in Europa erhöhen
  • Laut McKinsey sind 60 Prozent der Firmen schlecht auf Industrie 4.0 vorbereitet
  • Es herrscht Mangel an Know-how und Standards
  • Es droht Verdrängung - auch durch unerwartete Wettbewerber
Die digitale Reife ist von Branche zu Branche höchst unterschiedlich, wie diese Zahlen von Roland Berger zeigen.
Die digitale Reife ist von Branche zu Branche höchst unterschiedlich, wie diese Zahlen von Roland Berger zeigen.
Foto: Roland Berger Strategy Consultants

Frankfurt liegt im Herzen von Europa, so sagt man dort - und Visionen wachsen am Main sowieso gerne in luftige Höhen. Da wäre das angrenzende Bad Vilbel vielleicht wirklich ein geeigneter Ort für das, was es zwischen Atlantik und Ural tatsächlich nicht gibt: "Silicon Valley - das klingt nach Ideen, Träumen und großen Innovationen", schrieb unlängst Jens Joachim in der FAZ. "Was in Kalifornien funktioniert, will ein Unternehmer nun auch in Europa realisieren - im beschaulichen Bad Vilbel."

Der Hintergrund der Geschichte: Der Bad Homburger Unternehmers Jörg-Peter Schultheis hat vor, bis 2019 im Bad Vilbeler Quellenpark einen Campus für Start-up-Unternehmen nach kalifornischem Vorbild zu etablieren. Ob das Projekt tatsächlich realisiert wird und ob es dann tatsächlich die angekündigten wegweisenden Dimensionen erreicht, steht indes noch in den Sternen.

Ein europäisches "Digital Valley"

Die Meldung aus dem Rhein-Main-Gebiet trifft aber in jedem Fall einen Nerv. Denn exakt für eine Plattform wie das Silicon Valley auch in Europa machen sich renommierte Berater stark angesichts der diagnostizierten Defizite bei der digitalen Transformation. So fordert Roland Berger die Gründung eines europäischen "Digital Valley", um die digitale Wirtschaft besser zu unterstützen. "Verglichen mit den USA ist die digitale Landschaft in Europa in hohem Maße zersplittert, geprägt von der Heterogenität seiner Akteure", sagt Stefan Schaible, CEO für Deutschland und Central Europe von Roland Berger Strategy Consultants.

Vor allem die Vernetzung dreier wesentlicher Bestandteile sei für den Erfolg digitaler Plattformen wie im amerikanischen Silicon Valley oder in Shanghai Shenzhen in China wesentlich: Innovatoren, Venture Capital und Talente. "Aber auch weitere Stakeholder wie Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Entscheidungsträger müssen Teil eines großen europäischen Netzwerks werden", so Roland Berger Consultants weiter.

Studien von Roland Berger und McKinsey

Der Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung erscheint in jedem Fall enorm. In Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) untersucht Roland Berger in der Studie "Die digitale Transformation der Industrie" Ursachen und Auswirkungen der Digitalisierung auf die Industrie in Deutschland und Europa und erkennt beträchtliche Defizite bei der digitalen Reife.

Neben Roland Berger bläst auch McKinsey in dieses Horn. McKinsey stellt in einer eigenen Studie "Industry 4.0 - How to navigate digitization of the manufacturing sector" fest, dass sich nur sechs von zehn Unternehmen in Deutschland gut auf Industrie 4.0 gut vorbereitet fühlen. "Viele Unternehmen fangen erst jetzt an, sich konkret mit Industrie 4.0 auseinanderzusetzen", sagt McKinsey-Berater Detlef Kayser. "Vorteile neuer Technologien wie 3D-Druck, Big Data und Internet der Dinge werden zu oft als Risiko und nicht als Chance gesehen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen."

Die größten Hindernisse für Industrie 4.0

300 Entscheider aus Deutschland, Japan und den USA befragte McKinsey. Als größte Hindernisse auf dem Weg zur Industrie 4.0 wurden hierzulande das Wissen der Mitarbeiter, Datensicherheit und einheitliche Datenstandards gesehen. Knapp 60 Prozent aller Unternehmen würde ihre Systeme zwar outsourcen, 81 Prozent aber nur innerhalb Deutschlands. Für ein Drittel der Befragten kommt eine Auslagerung nur innerhalb Europas in Frage.

91 Prozent betrachten die Digitalisierung der industriellen Produktion als Chance. Von Angriffen aufs Kerngeschäft durch branchenfremde Konkurrenz - zum Beispiel aus der IT-Branche - rechnen in der Bundesrepublik hingegen nur rund 50 Prozent. In Japan sind es demgegenüber 63 Prozent, in den USA sogar 92 Prozent.

Zu wenig Investitionen in Forschung für Industrie 4.0

Diese Sorglosigkeit ist offenbar nur ein Teil des Problems. Laut McKinsey investieren deutsche Unternehmen nur 14 Prozent ihres jährlichen Forschungsetats in für Industrie 4.0 relevante Themen. Es klaffe eine zweifache Lücke: "Zum einen geben US-Unternehmen mehr als doppelt so viel Geld aus. Zum anderen sind die 14 Prozent auch ein Unterinvestment gemessen an den eigenen Umsatzerwartungen, da sich die deutsche Industrie im Durchschnitt ein Umsatzwachstum von 20 Prozent dank der neuen Technologien erhofft."

Gemeinsame Initiativen und Standards innerhalb der Industrie könnten nach Einschätzung von McKinsey ein Weg sein, Vorteile von Industrie 4.0 zu realisieren. Genau dieses Rezept empfiehlt auch die Roland Berger-Studie, um die Herausforderung der digitalen Transformation zu bewältigen.

Die Berater von Roland Berger prognostizieren bis 2025 ein zusätzliches kumuliertes Wertschöpfungspotenzial von 425 Milliarden Euro alleine in Deutschland durch die Digitalisierung der Industrie. Für Europa seien es sogar 1,25 Billionen Euro. Die möglichen Einbußen durch ein Misslingen der digitalen Transformation beziffert Roland Berger auf bis zu 605 Milliarden Euro europaweit.

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