Gestern noch war es Aufgabe der Führungsetage, Arbeitsabläufe ihrer Mitarbeiter zu kontrollieren, Prozesse dafür aufzusetzen und die Produktivität eines jeden genau zu dokumentieren. Heute strengen sich Unternehmen an, ihren IT-Mitarbeitern und potenziellen Kandidaten ein möglichst attraktives Arbeitsumfeld zu bieten - Stichwort "Employer Branding" - denn IT-Spezialisten sind dünn gesät und heiß umworben.
Das Münchner Beratungs- und Systemhaus Pentasys beispielsweise bemüht sich nach eigenen Angaben so früh wie möglich um ein gutes Verhältnis zum Bewerber. "Wir bewerben uns letztlich ja auch beim Bewerber", sagt Martin Lehnert, Leiter des Personalmanagements. "Uns ist es wichtig, dass sich die möglichen neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Anfang an gut begleitet fühlen und ein Bewerbungsgespräch auch als wirkliches Gespräch, nicht etwa als Verhör erleben." Darüber hinaus sei es wichtig, auf die Vorstellungen des Bewerbers einzugehen. "Konkret bedeutet das: Wir fragen den Kandidaten beim Erstkontakt nach seinen Erwartungen an den Bewerbungsprozess, an seine künftige Position und an das Unternehmen", so Lehnert. Denn Erwartungssicherheit beim Mitarbeiter zu gewährleisten, sei ein hohes Gut für Pentasys.
Coaching statt Kontrolle
Ralf Hertneck, Geschäftsführer des CRM-Dienstleisters Anywhere24 bringt es auf den Punkt: "Wir sind keine Kontroll-Freaks und machen bewusst auf Mitarbeiterebene kein übertriebenes Controlling. Das Gefühl muss passen und das Gesamtergebnis stimmen. Unser Ansatz ist das Coaching der Mitarbeiter." Die Entscheider in IT-Unternehmen beschreiten neue Wege beim Recruiting: Je mehr sie den Mitarbeiter mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellen, desto präziser lässt sich der Arbeitsrahmen daran ausrichten und desto länger fühlt sich ein Mitarbeiter am Arbeitsplatz wohl und bleibt.
Von herkömmlichen Karrieremodellen und bürokratischen Hürden müssen sich Unternehmen im Wettbewerb um die besten Köpfe schnellstens verabschieden, wollen sie als Coach und nicht länger als Kontrolleur verstanden werden. Das fordern Gabriele Vollmer, Präsidentin der Gesellschaft für Wissensmanagement, und Uwe Rotermund, Geschäftsführer von Noventum Consulting, im aktuellen Thesenpapier zur Studie "Wissensarbeiter und Unternehmen im Spannungsfeld", die der Personaldienstleister Hays in Auftrag gegeben hat. Die beiden Experten raten zu einer ergebnisorientierten Steuerung statt Micro-Management.
Mehr Freiheiten
Sind Mitarbeiter also künftig von Vorschriften und Kontrolle befreit und können sich alles erlauben? Ganz so einfach ist es für Pentasys-Mann Lehnert nicht: "Bei uns müssen auch gewisse Spielregeln eingehalten werden, wie etwa Orientierung an den Anforderungen des jeweiligen Kundenprojekts." Jeder Mitarbeiter des mittelständischen Beratungsunternehmens ist gehalten, die Arbeit vor Ort beim Kunden an die erste Stelle zu setzen.
Siegfried Lautenbacher, geschäftsführender Gesellschafter des IT-Service-Anbieters Beck et al. Services will ebenfalls die Kundenorientierung als wesentlichen Teil des Mitarbeiter-Engagements verstanden wissen: "Neue Mitarbeiter kommen zu uns, weil sie hier selbst bestimmt arbeiten können. Ihnen geht es nicht in erster Linie um den schnellen Aufstieg auf der Karriereleiter, sondern um den Einsatz für den Kunden." Selbstdiszipliniertes und eigenverantwortliches Arbeiten birgt für Lautenbacher aber auch Gefahren: "Unsere Branche ist sehr gefährdet in Bezug auf hohe Arbeitsbelastung, weil die Arbeit Spaß macht. Denn im 'Flow' verliert man oft nur allzu schnell das Zeitgefühl." Damit das nicht zum Dauerzustand wird, steuert das Beck et. al.-Management mit einer ausgeprägten Feedbackkultur gegen: Eine moderne Technologie-Plattform erfasst das Arbeitspensum aller weltweit tätigen Mitarbeiter. So könne sich der Unternehmer schnell ein Bild von ausufernden Nachtschichten machen und eingreifen.