Ein Mitverschulden des Unfallgegners kann die Vorhersehbarkeit eines Unfalls und seiner Folgen für den Unfallverursacher ausschließen, wenn das Mitverschulden in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht.
Ausgehend hiervon hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20.08.2015 die Verurteilung eines angeklagten Unfallverursachers wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung durch die kleine Strafkammer des Landgerichts Essen aufgehoben.
Darauf verweist die Mitteilung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 27.10.2015 zu seinem rechtskräftigen Beschluss vom 20.08.2015 (5 RVs 102/15).
Der 1972 geborene, angeklagte Unfallverursacher aus Bochum befuhr im April 2014 mit seinem Transporter Hyundai im Stadtgebiet von Essen die Halterner Straße aus Gelsenkirchen kommend in Richtung BAB 40. Er beabsichtigte die beampelte Kreuzung Halterner Straße/Ottostraße geradeaus zu überqueren. Von links kommend näherte sich der Unfallgegner aus Bochum mit seinem Pkw Mazda, um die Kreuzung aus seiner Sicht ebenfalls geradeaus zu überqueren. Im Kreuzungsbereich ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt.
Der Angeklagte fuhr mit mindestens 65 km/h in den Kreuzungsbereich ein, der Unfallgegner fuhr ca. 30 km/h. Beide Fahrzeugführer überquerten mit einem geringen zeitlichen Abstand die jeweils für sie geltende Haltelinie. Welcher von ihnen einen Rotlichtverstoß beging, lässt sich nicht mehr klären. Trotz eingeleiteten Bremsmanövers kollidierte der Transporter im Kreuzungsbereich mit der rechten Fahrzeugseite des Mazdas. Neben dem Unfallgegner, der leicht verletzt wurde, erlitt dabei der Beifahrer des Mazdas so schwere Verletzungen, dass er wenige Wochen später verstarb.
Frage des ursächlichen Zusammenhangs
Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeitsüberschreitung als dem verkehrswidrigen Verhalten des Angeklagten und dem Unfall angenommen und den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Köperverletzung zu einer - in der Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von sechs Monaten und einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt. Nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten) ist das Landgericht dabei zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass der Unfallgegner bei Rot in die Kreuzung einfuhr und hat dessen verkehrswidriges Mitverschulden strafmildernd berücksichtigt. Es schließe - so das Landgericht - die Vorhersehbarkeit des Unfalls mit seinen Folgen für den Angeklagten nicht aus.
Die Revision des Angeklagten gegen die landgerichtliche Verurteilung war - vorläufig - erfolgreich. Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen, die den Fall erneut zu verhandeln und zu entscheiden hat.
Das Landgericht habe - so der 5. Strafsenat - den Unfall mit seinen erheblichen Folgen zwar rechtsfehlerfrei dem fahrlässigen Geschwindigkeitsverstoß des Angeklagten zugerechnet. Wäre der Angeklagte beim Passieren der Haltlinie durch den Unfallgegner, das sei der Beginn der kritischen Verkehrssituation, nur 50 km/h gefahren, hätte der Mazda die Unfallstelle bereits passiert, bevor sie der Transporter des Angeklagten erreicht hätte.