Herrr Cantuniar, Sie sind nun seit rund sechs Monaten CEO und Vorsitzender der Geschäftsleitung bei Ricoh Deutschland. Was sind Ihre Eindrücke nach den ersten Wochen bei Ihrem neuen Arbeitgeber?
Niculae Cantuniar: Meine Eindrücke sind zahlreich, vielfältig und - abgesehen von den im Augenblick leider unbefriedigenden Geschäftsergebnissen - positiv. Ich habe von Beginn an sehr viel Zeit investiert, um so viele Kunden und Partner wie möglich persönlich kennenzulernen. Das war und ist mir nach wie vor sehr wichtig. Denn so bekomme ich ein unmittelbares Feedback aus dem Markt. Natürlich habe ich mir auch die Organisation angeschaut, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen habe ich mir angesehen, wie wir im Moment arbeiten, also die Prozesse, und zum anderen, mit wem wir arbeiten, sprich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ungeachtet der Größe unseres Unternehmens lege ich grundsätzlich großen Wert auf die direkte Kommunikation und einen offenen Umgang mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So hat sich bei mir relativ schnell ein Eindruck bestätigt, den ich eigentlich schon im Vorfeld von Ricoh hatte und der für mich mit ausschlaggebend war, diesen Job anzunehmen. Das Unternehmen hat ein außerordentlich großes Potenzial. Mein Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass wir dieses Potenzial noch besser ausschöpfen können. Wir müssen und werden das, was wir können und zu bieten haben, noch schneller und effektiver auf die Straße bringen.
Die Führungsspitze in Deutschland wurde ja gehörig umgekrempelt. Ist die Neuaufstellung der Geschäftsleitung ein Ergebnis dieser Analyse?
Cantuniar: Schlanke Strukturen, kurze Entscheidungswege und eine enge und schnelle Abstimmung im Management sind für mich ein ganz wesentlicher Schlüssel, um nicht zu sagen eine Voraussetzung, um unsere Ziele zu erreichen. Dies war und ist einer der Gründe für die Veränderungen im Management und der Organisation. Es geht hierbei nicht in erster Line um Kosteneffizienz. Viel wichtiger ist die Frage, wie man sich als Team und Organisation aufstellt, um angesichts der weiter zunehmenden Marktdynamik auch kurzfristig, und vor allem schlagkräftig agieren zu können. Die neue Aufstellung und Aufgabenverteilung im Management helfen uns dabei, zwei unserer vorrangigen Geschäftsziele jetzt noch stärker in den Fokus zu rücken. Damit meine ich zum einen den Ausbau unseres operativen Kerngeschäfts, also MPS/MDS und Produktionsdruck, und zum anderen die Weiterentwicklung und Forcierung des strategischen Neugeschäfts, insbesondere IT-Services und Business Process Services.
Sie haben nun auch die Gesamtverantwortung für den Vertrieb übernommen. Sind das nicht zu viele zusätzliche Aufgaben zu Ihrer eigentlichen Position als CEO?
Cantuniar: Die Antwort lautet ganz klar: Nein. Dies hat in erster Linie etwas mit meinem Führungsverständnis beziehungsweise meinem Management-Ansatz zu tun. Eine ganz zentrale Rolle spielt hierbei das Empowerment. Das bedeutet ganz konkret: Ich werde den für die jeweiligen Vertriebsbereiche verantwortlichen Managern deutlich mehr Kompetenzen und Entscheidungsfreiheiten geben. Ich selbst werde die Vertriebsorganisation und die operative Führungsebene somit in erster Linie strategisch leiten. Dieser Ansatz ist für mich auch im Hinblick auf meinen Plan und unseren Erfolg von entscheidender Bedeutung. Dazu gehören auch eine gute Planung und Abstimmung der Aufgaben innerhalb der Geschäftsleitung sowie der konsequente, interne Aufbau von Nachwuchskräften für Schlüsselpositionen. Dies ist meiner Meinung nach in der Vergangenheit etwas aus dem Fokus geraten. Deshalb sind diese und weitere Punkte nun feste Bestandteile eines Change-Management-Plans, den ich zusammen mit meinem Team schnell und strukturiert umsetzen werde. Am Ende des Tages werde ich mich somit tatsächlich weniger um zusätzliche operative Aufgaben kümmern müssen und mich stattdessen wesentlich auf meine strategische Leitungsfunktion konzentrieren können. Wofür ich mir auch weiterhin Zeit nehmen werde, sind Kunden- und Partnerbesuche.
Bisher waren Sie überwiegend in internationalen Positionen tätig. Was hat Sie bewogen, einen Job mit Fokus auf das Deutschlandgeschäft anzunehmen?
Cantuniar: Der deutsche Markt und mit ihm das gesamte operative Deutschlandgeschäft spielen für Ricoh eine ganz wichtige Rolle. Zum einen ist Deutschland nach wie vor der größte Absatzmarkt für unsere Kernprodukte, also Drucker und MFP, in Westeuropa. Der deutsche Markt macht hier rund ein Viertel des europäischen Gesamtmarktes aus. Zum anderen hat der deutsche Markt für Ricoh auch im Hinblick auf die strategische Geschäftsentwicklung einen besonderen Stellenwert. Nicht umsonst hat Ricoh in Deutschland in den letzten Jahren einige signifikante und für die Konzernausrichtung repräsentative Investitionen getätigt. Der Konzern beobachtet deshalb sehr genau, was wir tun und wie sich der deutsche Markt entwickelt. Deutschland liefert so auch wichtige Impulse für Innovationen und Investitionen im Bereich der Forschung und Entwicklung. Selbst wenn der Fokus auf dem lokalen Geschäft liegt, reicht der Wirkungsgrad unserer Aktivitäten über die Grenzen hinaus, zumal auch der Austausch und die enge Zusammenarbeit der europäischen Landesgesellschaften innerhalb der Gruppe immer intensiver wird. Nicht ganz zufällig bin ich deshalb auch im erweiterten Management-Board von Ricoh Europe. Mein vorrangiges Ziel ist es aber, dieses Unternehmen wieder in die Führungsposition zu bringen, in der es war, und zwar sowohl am Markt als auch innerhalb der Ricoh-Gruppe.
Sie waren bei großen US-amerikanischen Firmen wie Xerox, Dell, Sun und Lexmark unter Vertrag. Nun sind sie in einer Führungsposition eines japanischen Konzerns tätig. Wo sehen sie aus ihrer Erfahrung die Unterschiede zwischen einer amerikanischen und einer japanischen Unternehmenskultur?
Cantuniar: Es gibt durchaus und nach wie vor Unterschiede, selbst wenn diese nicht mehr ganz so eklatant ausfallen wie vielleicht noch vor 30 Jahren. Landläufige Vorstellungen, welche die amerikanische Unternehmenskultur, oder sagen wir, das sie prägende Management-Denken, als schnell, kurzfristig und risikofreudig und im Gegensatz dazu die japanische als langsam, langfristig und zögerlich beschreiben, greifen meiner Meinung nach zu kurz. Ich würde den aus meiner Sicht wesentlichen Unterschied eher so beschreiben. In der amerikanischen Unternehmenskultur tendiert man dazu, eher spezifisch zu denken und Probleme aus ihrem Kontext herausgelöst zu betrachten. Das japanische Denken tendiert eher dazu, ganzheitlich geprägt zu sein. Es gibt übrigens ganz interessante Untersuchungen zu diesem Phänomen. Es lässt sich aber auch mehr oder weniger deutlich von der historischen Entwicklung sowie vom philosophischen Denken beider Kulturen ableiten. Heute, in der globalisierten Wirtschafts- und Informationswelt, sind die Unterschiede aber, wie bereits erwähnt, eher fließend. Was ich bei Ricoh sehr schätze, ist, dass die Vision und langfristige Strategie konsequent zur Grundlage der mittelfristigen globalen Geschäftsplanung gemacht werden. Diese mittelfristige Planung und die Festlegung der strategischen Geschäftsziele in Dreijahresplänen gewährleisten Kontinuität, ohne dabei die erforderliche Agilität und Flexibilität einzuschränken. Das halte ich für sehr vernünftig.
Bei Ricoh treffen verschiedene Vertriebsmodelle aufeinander: Direktvertrieb, vertraglich gebundene Mono- und Multibrand-Händler sowie der noch relativ junge Distributionskanal. Welchen Stellenwert messen Sie den jeweiligen Vertriebsformen bei?
Cantuniar: Der Multi-Channel-Ansatz von Ricoh hat sich seit jeher bewährt. Es gibt überhaupt keinen Grund, diesen Ansatz zur Disposition zu stellen. Ganz im Gegenteil. Ein ausgewogenes und gut aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel der Vertriebskanäle ist grundlegend für unsere gesamte Go-To-Market-Strategie und somit entscheidend für das Erreichen unserer Geschäfts- und Wachstumsziele.