Zum Preis von 21.500 US-Dollar gibt es das Büro der Zukunft schon heute. Es ist eine Art Mischung aus Zahnarztstuhl und Raketenleitstand. Lichttherapie und Luftfilter sind schon inklusive bei dem umgerechnet 19.000 Euro teuren High-Tech-System. Der Anbieter aus Kanada verspricht damit "die Zukunft der Büro-Arbeitsumgebung".
Für Büroangestellte aber könnte der High-Tech-Trend etwas anderes bedeuten als eine Science-Fiction-Welt mit einer Bildschirmphalanx und ergonomischem Thron in der Mitte. Die Technik könnte den Menschen in der Mitte verschwinden lassen. Wenn zum Beispiel die Logistikkette bald nahtlos per Mini-Chip zu verfolgen ist, muss kein Mensch mehr Lieferscheine prüfen, Bestelllisten abhaken und Rechnungen schreiben.
"Alles wird vernetzt", sagte Telekom-Chef Timotheus Höttges vor wenigen Tagen vor den Aktionären in Köln. "Und auch die fertigen Produkte sind vernetzt und liefern Daten." Dieter Kempf, der Chef des Branchenverbandes Bitkom, drückte es zur weltgrößten IT-Messe CeBIT diesen Frühling so aus: "In der Wirtschaft wird kein Stein auf dem anderen bleiben." Zur Industrie-Weltleitmesse in Hannover kritisierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) diesen April den Nachholbedarf bei der Digitalisierung: "Wir müssen in Europa einfach einen Zahn zulegen, genauso wie wir auch in Deutschland einen Zahn zulegen müssen."
Dabei wollen die Netzbetreiber eine Schlüsselrolle spielen. "Wir werden in den nächsten Jahren das industrielle Internet bauen und damit ein Tor für ganz neue Wertschöpfungsketten aufstoßen", sagte Vodafone-Deutschlandchef Jens Schulte-Bockum zur CeBIT.
Fakt ist: Schon heute gibt es längst Firmen mit dem Geschäftsmodell, Büroarbeit durch Algorithmen zu ersetzen. Die 2004 gegründete Firma Celaton aus Großbritannien etwa nimmt für sich in Anspruch: "Wir sind das erste Unternehmen, das künstliche Intelligenz entwickelt und zur Anwendung bringt, um arbeitsintensive Büroarbeit zu rationalisieren und zu automatisieren." Dabei gehe es auch um jenen "unstrukturierten Kram, den Organisationen und Regierungen von Kunden und Bürgern jeden Tag bekommen, sei es per E-Mail, Post, Fax oder soziale Netzwerke". Celaton automatisiert zum Beispiel schon das Rechnungswesen.
Diese Trends sind nicht neu. Der Super-Computer Watson von IBM etwa hat schon Funktionen eines Call-Centers übernommen. Geschichtlich betrachtet vernichtet der Fortschritt schon immer Berufsbilder. Den Schriftsetzer im Druckwesen gibt es nicht mehr. Radmacher (Wagner) und Fassmacher (Böttcher) kennt die Jugend heute nur als Nachname.
- Das Watson Headquarter
Das Hauptquartier von Watson befindet sich „standesgemäß“ am Aston Place, Teil von New Yorks Silicon Alley. - Watson-Avatar
Bei Jeopardy war Watson mit diesem Avatar vertreten, der bald zum Logo des Systems werden sollte. Im Februar 2011 hat es in der US-Quizshow die Supercracks Ken Jennings und Brad Rutter haushoch besiegt. Das hat aber etwas Anlauf gebraucht. - Holpriger Jeopardy-Start
Das Erscheinen des 74-fachen Jeopardy-Gewinners Jennings 2004 in einem Restaurant gilt als Geburtsstunde von Watson. Ein Jahr später hat man begonnen, das aus dem DeepQA-Projekt weiterentwickelte System mit früheren Jeopardy-Fragen und den richtigen Antworten zu füttern. Aber noch bis zum großen Sieg Anfang 2011 ist Watson immer wieder über Fangfragen und semantische oder kontextuelle Ungereimtheiten gestolpert. - Anfangs noch raumfüllend
Der 2011 bei Jeopardy für Watson eingesetzte Superrechner war damals noch mehr als schrankgroß. Denn er musste Platz für 90 IBM Power 70 Server mit Power7-Prozessoren bieten, die durch Multithreading 2.880 CPU-Kerne mit 16 Terabyte RAM zur Verfügung stellen, um in einer Sekunde 500 GB an Daten verarbeiten zu können. - Watson-Entscheidungsprozesse
Kognitiv weiß Watson, Sachverhalte zu beobachten, zu interpretieren und zu bewerten, um schließlich wie in der US-Quizshow Jeopardy eine Entscheidung zu treffen. - Watson Health Unit
Produktmanagerin Leanne LeBlanc zeigt hier, wie sich über eine Million Gigabyte an Gesundheitsdaten, die bei einem Menschen in seinem Leben zusammen kommen, über ein Tablet abrufen lassen. - Watson im Kampf gegen Leukämie
Am Andy Anderson Center der University of Texas MD Anderson Cancer Center nutzt die Leukämiespezialistin Courtney DiNardo Watson bei der Visite, um Einsicht in die Patientendaten zu nehmen. - Watson Analytics für jedermann
Wie Watson Analytics zu jedermann finden soll, zeigt dieses Bild. - Watson geht nach Japan
Anfang April 2015 wurde bekannt, dass Japans Mobilfunkriese SoftBank Mobile den Kundenservice in den Shops und im Callcenter mit IBM Watson vorantreiben will. Dazu ist aber nötig, dass das System Japanisch lernt, denn ohne dem geht nichts im Land der aufgehenden Sonne. - OCR-Fallen
Das komplexeste chinesische Zeichen besteht aus vier dieser Drachen mit jeweils 16 Strichen (s.o. links) und bedeutet schwatzhaft. Sind die chinesischen oder japanischen Kanji-Zeichen in Regelschrift und nicht zu klein ausgedruckt, sind sie ähnlich wie QR-Codes für OCR-Programme oft leichter lesbar als viele andere Schriften. Watson wird den Sinn wohl blitzschnell über den Kontext erfassen, auch wenn der rechte Strich jeweils nicht wie gepinselt aussieht.
Allein das Tempo der Vernetzung scheint ein neuer Faktor zu sein. Die Fraunhofer-Forscher für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) untersuchen den Wandel der Bürowelt per Langzeitstudie. Kürzlich legten sie Teilergebnisse vor (PDF-Link). Demnach geht es eher um Evolution statt Revolution und die Änderungen dürften vor allem das Wie der Arbeit und weniger das Ob treffen. "Anwesenheitspflicht und feste Arbeitszeiten waren gestern", schreiben die Forscher um Stefan Rief.
Sie haben in einer Erhebung festgehalten, dass erst 40 Prozent der Büroangestellten selbst entscheiden dürfen, wo sie arbeiten wollen. Selbstbestimmte Arbeit, ob nun zu Hause, unterwegs oder im Café, sei der große Trend. "Smartphones und Tablet-PCs ermöglichen ein räumlich autonomes, selbstbestimmtes Arbeiten", sagen die Forscher. Und sie fanden heraus: "Wer seine Arbeit individuell gestalten kann, erlebt eine höhere Work-Life-Balance, mehr Motivation und mehr Leistung."
Im Mittelpunkt stünden daher Chancen für eine vernetzte, räumlich und zeitlich flexible Arbeit, die individuelle Lebenspläne berücksichtigt - und so idealerweise dabei auch noch die Innovationskraft stärkt.
- Arbeiten von zu Hause aus
Im Arbeitsalltag wollen deutsche Entscheider ihre Mitarbeiter lieber im Büro sitzen sehen, als sie ins Home Office zu schicken. Das zeigt eine Studie des Branchenverbandes Bitkom mit dem Titel „Digitalisierung der Arbeitswelt“. Rund 1.500 Geschäftsführer und Personalentscheider verschiedenster Branchen haben daran teilgenommen. - Anwesenheit ist oft Pflicht
In drei Vierteln der Unternehmen (75 Prozent) besteht nach wie vor Anwesenheitspflicht für alle Mitarbeiter. - Bedeutung des Büroarbeitsplatzes
Sieben von zehn Befragten sind denn auch davon überzeugt, dass der klassische Büroarbeitsplatz in seiner Bedeutung konstant bleiben wird. - Home Office nicht vorgesehen
Hier haben die Autoren der Umfrage nach den Gründen geforscht. Fazit: Knapp zwei Drittel der Befragten (64 Prozent) erklären, die Arbeit vom Home Office aus sei "generell nicht vorgesehen". - Künftig mehr Freie
Ohne eine Flexibilisierung der Arbeitsplatzstrukturen wird es aber nicht gehen. Denn 31 Prozent der Befragten wollen künftig stärker als bisher mit freien Mitarbeitern kooperieren. - Vorteile externer Spezialisten
In solche Kooperationen setzen die Befragten große Erwartungen. 73 Prozent erwarten, dass das Innovationstempo steigt. 67 Prozent freuen sich auf einen interessanteren Arbeitsalltag. - Chancen der Digitalisierung
Grundsätzlich schreiben die Befragten der Digitalisierung große Vorteile zu.
Dass Algorithmen die Büros entvölkern, ist weit unwahrscheinlicher als die Notwendigkeit, Büroangestellte mit monotonen Aufgaben fit zu machen für die vernetzte Industrie. "Sie wird ein hohes Qualifikationsniveau der Beschäftigten erfordern - das muss unser Bildungssystem sicherstellen", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zur Industriemesse Mitte April in Hannover. Der Innovationssprung dürfe vor allem nicht am Mittelstand vorbeigehen.
Deutschlands größter privater Arbeitgeber Volkswagen ist schon mitten in dieser digitalen Qualifizierungsoffensive. Zwar sagt der Chef des Konzernbetriebsrates, Bernd Osterloh: "Wir kennen bis heute keine seriösen Berechnungen, die aussagen, in welchem Maße Büroarbeit von fortschreitender Digitalisierung berührt sein wird. Aber genauso klar ist: Es wird strukturelle Veränderungen geben." Wichtig sei es bei VW vor allem, dass bei den Schulungen alle Beschäftigten teilhaben. Dazu schneidert VW Programme individuell zu auf die Berufsfamilien.
Osterloh warnt vor Panikmache: "In der Debatte um die Zukunft der Büroarbeit wird die fortschreitende Digitalisierung ja entweder als Produktivitätswunder gelobt oder man ängstigt sich vor ihr wegen ihres Potenzials zur Rationalisierung." Die Arbeitnehmerseite bei VW sehe das Thema dagegen grundlegender: Es gelte, die Digitalisierung aktiv mitzubestimmen und im Sinne der Belegschaft zu gestalten.
So sehen denn auch die Gewerkschaften die Digitalisierung nicht als Teufelswerk. Zumal laut IG Metall auch schon bei der Automatisierung der Fabriken kein Zusammenhang nachweisbar ist zwischen der Zahl der Roboter und der der Beschäftigten. Zuletzt seien zwar auch Jobs durch Automatisierung verloren gegangen. Das sei aber durch Aufbau anderswo abgefedert, häufig sogar übertroffen worden. "Wir gehen davon aus, dass die Digitalisierung der Industrie gerade in Deutschland große Chancen und enormes Potenzial bietet", sagte IG-Metall-Vize Jörg Hofmann kürzlich bei Europas größter Robotik-Konferenz in Wien. (dpa/rs/tc)