Eigentlich schienen die Zeiten, als das Deutschlandgeschäft des britischen Haushaltsgerätespezialisten AO ein Wackelkandidat war, vorbei zu sein. In den ersten fünf Jahren nach dem Markteintritt in Deutschland erwirtschaftete das Unternehmen hohe Verluste, doch mit dem im Zuge der Corona-Krise einsetzenden Online-Boom kam der Umschwung: 2020 erreichte AO hierzulande erstmals das selbstgesteckte Umsatzziel von 250 Millionen Euro und damit auch die Profitabilität.
Doch mit dem Abflauen der Coronapandemie endete auch der zwischenzeitliche Höhenflug von AO. Im Weihnachtsgeschäft 2021 fiel der Elektronikversender in Deutschland beim Umsatz um 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Und am Ende des Geschäftsjahres 2021/22 lag AO mit 216 Millionen Euro (minus 15 Prozent) wieder deutlich unter den eigenen Umsatzvorgaben.
"Unser deutsches Geschäft wird durch eine Reihe von Veränderungen im lokalen Handelsumfeld beeinträchtigt: Der Wettbewerb auf dem Online-Markt hat sich verschärft, während die Online-Penetration wieder auf das Niveau vor der Pandemie zurückgekehrt ist", kommentierte CEO John Roberts die Entwicklung. Zudem seien die Marketingkosten gegenüber dem Niveau vor der Pandemie erheblich gestiegen und sei auch das Warenangebot deutlich eingeschränkt. "Wir gehen davon aus, dass sich diese Trends auf absehbare Zeit auf dem deutschen Markt fortsetzen werden", erklärte Roberts bereits zu Jahresanfang.
In sechs Jahren mehr als 150 Millionen Pfund verbrannt
Auch auf dem britischen Heimatmarkt sieht sich AO mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert. Gegenüber dem Vorjahr ging der Gruppenumsatz 2021/22 um 6 Prozent auf 1,5 Milliarden Britische Pfund zurück. Vor diesem Hintergrund fiel nun schließlich die Entscheidung zum Rückzug aus dem deutschen Markt - ähnlich wie es AO 2019 bereits in den Niederlanden vorexerziert hat. "Nach Prüfung einer Reihe strategischer Optionen hat der Vorstand entschieden, dass die Schließung des deutschen Geschäfts die beste Vorgehensweise ist", teilte das Unternehmen Anfang Juli mit.
Die Entscheidung basiere auf der anhaltenden Verschlechterung der Aussichten für das deutsche Geschäft sowie auf der Verantwortung des Vorstands gegenüber Aktionären und anderen Interessengruppen, heißt es weiter. Das Geschäft soll noch für einen kurzen Zeitraum weitergeführt werden, um eine strukturierte und geordnete Schließung für die Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter von AO Deutschland zu ermöglichen.
Wie die Führung von AO in der Mitteilung weiter ausführte, repräsentierte das deutsche Geschäft zuletzt rund zehn Prozent des Gesamtumsatzes der AO-Gruppe. Das Unternehmen erwartet, dass die Schließung des Deutschlandgeschäfts Barkosten zwischen null und 15 Millionen Pfund verursachen wird. Vergleichsweise günstig, wenn man die Kosten für das gut sechs Jahre dauernde Engagement in Deutschland gegenrechnet: Bis zum Erreichen der Profitabilität kostete das Auslandsabenteuer den britischen Elektronikversender mehr als 150 Millionen Britische Pfund.
Katerstimmung in der Online-Elektronikbranche
Trotz aller individuellen Fehler hat das Scheitern von AO in Deutschland dennoch auch eine übergeordnete Bedeutung. Denn nicht nur der britische Haushaltsgerätespezialist, sondern die gesamte E-Commerce-Branche - und damit auch alle Elektronikversender - befinden sich aktuell in ihrer bislang schwersten Krise. Dafür verantwortlich ist zum einen die zunehmende Rückkehr zur Normalität nach zwei Jahren Corona-Ausnahmezustand.
Die Konsumenten kaufen wieder vermehrt über stationäre Kanäle ein, wodurch Online-Händler sich nicht mehr am Umsatzniveau von 2020/21 messen können, sondern eher auf dem Niveau von 2019 zurück sind - ein Novum in einer bisher auf Wachstum konditionierten Branche. Zum anderen wirft der Ukraine-Krieg seine Schatten auch auf den E-Commerce. Höhere Kosten und allgemeine Unsicherheit dämpfen die Kauffreude der Konsumenten, während die weltweite Warenverfügbarkeit weiter angespannt bleibt.
"Die Umsätze gehen bei den Online-Händlern derzeit durch die Bank dramatisch runter und das bedeutet, dass es dann auch beim Cashflow nicht mehr so toll aussieht. Es herrscht eine große Katerstimmung in der Branche", erzählt Andreas Müller, Geschäftsführer des Elektronikversender Deltatecc. Die Containerpreise seien weiterhin hoch und die Ware, die man bekomme, gebe es nur zu deutlich höheren Einkaufspreisen. "Außerdem kommen keine spannenden neuen Produkte, keine Innovationen mehr.
Das hängt damit zusammen, dass die Handelsabnehmer in Europa und den USA nicht mehr nach China reisen können und dort einfach auf dem letzten Stand weiterproduziert wird. In vielen Segmenten führt das nun zu einer Sättigung der Kunden", sagt Müller. Wie andere Branchenkenner auch kann er sich gut vorstellen, dass der Rückzug von AO nur der Beginn einer umfangreicheren Bereinigung auf dem deutschen Elektronik-Onlinemarkt ist.
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