Apples S-Klasse

iPhone 12 Pro im Test

Stephan Wiesend schreibt für die Computerwoche als Experte zu den Themen Mac-OS, iOS, Software und Praxis. Nach Studium, Volontariat und Redakteursstelle bei dem Magazin Macwelt arbeitet er seit 2003 als freier Autor in München. Er schreibt regelmäßig für die Magazine Macwelt, iPhonewelt und iPadwelt.

5G: Killer-Feature oder Gimmick?

Die Kurzfassung: 5G ist eine tolle Technologie, aber mit mieser Verfügbarkeit...

Bei der Bewertung der neuen Technologie 5G hat man als Tester ein Problem: Im Stadtgebiet München sollte für Telekom-Kunden 5G flächendeckend verfügbar sein, allerdings sehen wir fast überall nur das vertraute LTE-Symbol. Anfangs zweifeln wir sogar, ob unsere Test-Karte wirklich für 5G freigeschaltet war. In einem nahen Industriegebiet finden wir dann aber doch eine Straßenecke mit erstklassigen 5G-Empfang. Laut Nperf erzielt unser iPhone eine durchschnittliche Downloadrate von 683 MB/s und eine Upload-Rate von 90,8 MB/s – wir sind beeindruckt. Ausgezeichnet ist ebenso die Latenz von 21 ms.

Enttäuschend dagegen ist die Reichweite: Schon hundert Meter weiter ist es mit dem 5G-Empfang vorbei und nur noch herkömmliches LTE steht zur Verfügung. Es sind aber nicht nur die tollen Download-Raten, die 5G attraktiv machen, auch simples Surfen wird rasant beschleunigt. Zum Vergleich rufen wir mit zwei iPhones über 5G und LTE mehrere Webseiten und Dienste auf – der Unterschied in der Ladezeit ist beeindruckend und man fühlt sich mit 5G, als surfe man mit einer DSL-Verbindung. Eine Besonderheit von 5G ist die Unterstützung von Facetime-Anrufen per HD, aber auch aufwendige Spiele werden von der besseren Latenz profitieren.

Diese verbesserte Latenz sollte nicht unterschätzt werden: Webanwendungen werden immer aufwendiger und bei der Nutzung von Online-Apps wie Google Office kann eine schnellere Reaktivität ein echter Produktivitätsgewinn sein. Auch wenn man nur schnell eine Webseite aufrufen will, ist 5G LTE überlegen – Die Webseite ist (wohl auch dank des schnellen A14-Chips) sofort da, das E-Mail-Konto schneller abgefragt. In den nächsten Jahren könnte man sich vielleicht ärgern, dass man kein 5G nutzen kann.

Flach, flacher, iPhone.
Flach, flacher, iPhone.
Foto: Macwelt

Von der schlechten Netzabdeckung sind wir aber irritiert, fraglich ist schließlich, ob sich dies in der nächsten Zukunft ändern wird. Aktuell erinnert uns das Konzept von 5G eher an WLAN-Hotspots als Mobilfunk. So sieht nicht zuletzt die Telekom 5G in Zukunft immer öfter in Innenräumen und öffentlichen Plätzen – als Ersatz für WLAN. In der Allianz-Arena wurde etwa großflächig 5G-Unterstützung ergänzt. Ein weiterer Nachteil von 5G ist der höhere Energieverbrauch als bei LTE, allerdings liegen hier bisher nur wenig Messdaten aus der Praxis vor.

Apple bietet aber wohl nicht ohne Grund mehrere Einstellungsmöglichkeiten, um die 5G-Nutzung zu begrenzen, so schaltet das iPhone im Smart Data Mode automatische einen Gang runter, wenn 5G nicht mehr zur Verfügung stellt. Das noch bedeutend schnellere 5G per Millimeterwelle, das Verizon stolz auf der Apple-Keynote zeigte, steht in Europa gar nicht erst zur Verfügung, Apple liefert hier andere Telefone aus. Doch hat mmWave hierzulande den Experimentierstatus noch nicht verlassen.

Man kann die Nutzung von 5G minimieren, Grund dafür ist der hohe Energieverbrauch.
Man kann die Nutzung von 5G minimieren, Grund dafür ist der hohe Energieverbrauch.

Hohe Fotoqualität – aber eher nicht gleichauf mit dem Max Pro

Die „Hardware“ der Kamera des kleinen iPhone 12 Pro hat Apple eigentlich nur wenig verbessert, alle iPhone 12 Pro bieten wie das iPhone 11 Pro ein Drei-Kamera-System aus Teleobjektiv, Weitwinkel und Ultraweitwinkel. Etwas verbessert hat Apple das Objektiv der Hauptkamera, diese erhält bei beiden Modellen ein lichtstärkeres Objektiv aus sieben Komponenten mit einer Blende von f/1,6. Laut Apple sorgt dies für ein um 27 Prozent höhere Lichtempfindlichkeit, sollte also in Innenräumen oder bei schlechten Lichtverhältnissen etwas bessere Bilder produzieren. Gegenüber der Kamera des iPhone 11 Pro eine nicht unbeträchtliche Verbesserung, an der auch der A14 mitwirkt.

Mit dem iPhone 12 Pro sind sehr detailreiche Fotos mit toller Dynamik möglich.
Mit dem iPhone 12 Pro sind sehr detailreiche Fotos mit toller Dynamik möglich.

Weit mehr Verbesserungen erfolgen aber im Bereich Software, bzw. der „Computational Photography“. So bietet der neue A14-Chip einen verbesserten HDR-Modus „Smart HDR 3“, der für natürlicher wirkemde Bilder etwa unterschiedliche Weißabgleich in unterschiedlichen Bildteilen vornehmen kann und erstmals steht der Nachtmodus auch für die Frontkamera und die Ultraweitwinkelkamera zur Verfügung. Schade: Statt solche Verbesserungen per Update auch älteren Modellen zugänglich zu machen, profitieren nur neue Geräte. Interessanter Aspekt beim Nachtmodus der Selfie-Kamera: Der Bildschirm leuchtet hier nur kurz auf, um die Szene zu beleuchten, die Daten des dabei aufgenommen Frames spielen eine wichtige Rolle bei der Echtzeitberechnung des fertigen Bildes.

Was man noch nicht testen kann: Erstmals erhalten die Pro-Modelle einen RAW-Modus namens Apple ProRAW. Dieses ermöglicht die Nachbearbeitung von Dynamik, Farbe und Detail von Aufnahmen, wird aber erst im Laufe des Jahres nachgeliefert. Das ist sicher hilfreich, wenn man mit den Ergebnissen von SmartHDR nicht zufrieden ist, etwa eine Nachtaufnahme zu stark oder zu wenig aufgehellt wurde. Das iPhone 12 bekommt diese Option nicht, exklusiv dem Pro vorbehalten bleibt außerdem die oben erwähnte Funktion „Nachtmodus Porträt“.

Nicht zu vergessen: Das iPhone 12 Pro Max bietet eine noch bessere Kamera als das iPhone 12 Pro: Das Teleobjektiv des Max-Modell bietet erstmals 65 statt 55 mm (also 2,5 statt 2-fachem Zoom) und dadurch einen bis zu 12-fachem statt 10-fachem digitalen Zoom. Nur das Max-Modell bietet außerdem eine optische Bildstabilisierung per Sensor Shift. Das Modell Max erhält außerdem einen neuen Sensor mit 1,7µm Pixeln, der deutlich lichtstärker ist – laut Apple um 87 Prozent. Will man die beste Kamera, muss man also eigentlich gleich zum Pro Max greifen, das wir jedoch noch nicht testen konnten, Apple liefert die großen iPhone 12 Pro ab November aus.

Ein der wichtigsten Neuerung ist außerdem die Unterstützung von Dolby Vision, einem HDR-Format. Während etwa Samsung bei seinem Top-Modell nun auf 8K-Video setzt, hat sich Apple offenbar für HDR entschieden. Dolby Vision ermöglicht bei Videoaufnahmen eine besonders hohe Dynamik, etwa um zugleich einen hellen Himmel als auch Schattenbereiche aufzunehmen. Die Nachbearbeitung ist aber aktuell nur auf dem iPhone möglich. Zu diesem Thema werden wir aber einen eigenen Artikel nachreichen.

Wie oft bei neuen iPhones traten dann doch kleinere Bugs auf: Ein Video wurde in der Fotos App plötzlich viel zu dunkel abgespielt, was wir aber mit einem Neustart beheben konnten.

Lidar für schnellen Autofokus

Beim Fotografieren von Kindern oder anderen schnell sich bewegenden Objekten ist das Ergebnis oft unscharf: Hier soll der neue LiDAR-Sensor sehr nützlich sein. Er unterstützt den Autofokus und kann vor allem bei schlechten Lichtverhältnissen und nahen Motiven für scharfe Bilder sorgen. Profitieren soll außerdem die Porträt-Funktion. Mit Smart HDR 3 wurde der HDR-Modus zugleich verbessert und die Selfie-Kamera unterstützt den Nachtmodus. Eigentlich soll der LiDAR-Sender aber eine ganze Welt an neuen Anwendungen erschließen. Per Laser kann er den Abstand und die Geschwindigkeit von Objekten in bis zu fünf Metern Entfernung messen. Das ist für AR-Anwendungen ideal, die bisher auf wirklich exakte Positionsdaten verzichten mussten. Das ist nicht nur für die Maßband- und Ikea-App hochinteressant. Zuletzt ist das Thema AR aber doch etwas aus dem Fokus der Medien verschwunden.

Akkulaufzeit

Einen ausführlichen Test der Akkulaufzeit liefern wir nach, nach ersten Tests entspricht die Leistung den Vorgängermodellen. Gut ist die Ladezeit an einem neuen 20W-Apple-Ladegerät. Nach 30 Minuten ist der Akku halb geladen, nach einer weiteren halben Stunde zu 85 Prozent.

Performance

Bei unseren ersten Geekbench-Tests erzielte das iPhone 12 Pro im Single-Core-Test einen Wert von 1599, im Multicore-Test 4059 Punkte – das iPhone 11 Pro 1327 bzw. 3289 Punkte. Laut Apple ist die CPU zwar „50 Prozent schneller als jeder andere Smartphone-Chip“ allerdings nur knapp 20 bis 25 Prozent schneller als die A13-CPU des Vorgängers. Da hatten wir mehr erwartet, aber noch größere Performance-Sprünge sollen Spezial-Chips wie die neue Neural Engine bringen. Verbessert hat Apple aber auch die Grafikleistung: Der Grafikbenchmark Wild Life bescheinigt dem iPhone 12 Pro 6644 Punkte, beim GFX Metal-Test 1080p Manhattan sind es 10886 Punkte. Auch im Benchmark Linpack kann das Pro mit 20 001,17 Mflops/s überzeugen. (Eine ausführliche Tabelle mit Vergleichsdaten liefern wir nach). Wir haben bereits das iPad Air der vierten Generation getestet und die Performance überprüft, dabei baut Apple den gleichen A14-Chip ein, allerdings mit einem anderen Thermal Design, was Unterschiede bei den Benchmarks erklären kann.

Fazit: Kein Vernunftkauf

In unserem vorläufigen Test kann das neue iPhone Pro begeistern. Das neue Design ist gelungen, die verbesserte Kamera macht einfach Freude und den hohen Preis muss man akzeptieren. Der preisliche Abstand zum iPhone 12 ist nebenbei geringer geworden, gibt es das Pro-Modell doch schon für 244 Euro Aufpreis. Nimmt man das iPhone 12 mit 128 GB als Vergleichspunkt, sind es sogar nur noch 195 Euro. Gegenüber dem iPhone 12 sind aber auch die Vorteile gering und beschränken sich vor allem auf das gediegenere Design und die Tele-Kamera. LiDAR und 5G sehen wir aktuell eher als Investition in die Zukunft. Aus Sicht des Preis-Leistungsverhältnisses ist für die meisten Anwender wohl das iPhone 12 trotzdem die vernünftigere Wahl. (Macwelt)

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